Hamburg. Ein Spitzenmusiker an den Tasten und eine meisterhafte Fado-Sängerin begeistern in der Laeiszhalle – nach einer Schieflage zu Beginn.

Schumanns „Dichterliebe“ scheint ihr besonders am Herzen zu liegen. Schon zum dritten Mal hat Martha Argerich den Liedzyklus bei ihrem Festival in der Laeiszhalle aufgeführt, jeweils mit prominenten Sängern an der Seite.

Thomas Hampson musste sie vor fünf Jahren erst mit ihrem Feuer anstecken; in Michael Volle hatte sie im vergangenen Sommer ein gleichwertig ausdruckskraftstrotzendes Gegenüber.

Martha Argerich: Leichte Schieflage im Zusammenspiel

Beim Auftritt mit Bo Skovhus schlüpfte sie jetzt erstmals, etwas überraschend, in die Rolle der Begleiterin. Argerich, die sonst so mitreißende Tasten- und Temperamentskünstlerin, wirkte verhalten, um nicht zu sagen: schüchtern. Auch als sie am Flügel saß.

Da Skovhus mit seinem Charisma, dem hellen Bariton und einer textnahen Artikulation mühelos den Raum füllte, hatte die Balance zwischen Gesang und Klavier eine leichte Schieflage.

Bei Schumann deutet Argerich berührenden Reichtum an

Erst in der zweiten Hälfte des Zyklus, als die Liebesschwärmerei endgültig in den Schmerz des Zurückgewiesenen gekippt ist, fanden die beiden näher zusammen. Auch weil Skovhus da mehr Anteile der Kopfstimme in den Klang mischte und zarte, verletzliche Töne zuließ.

Wie im Lied „Ich hab im Traum geweinet“ oder im Stück davor, als die Blumen im Garten den „traurigen, blassen Mann“ bedauern. Herzzerreißend. Und zutiefst romantisch. In solchen Momenten deutete auch Martha Argerich jenen Reichtum an Farben an, mit dem sie, gerade in der Musik von Schumann, so berühren kann.

Insgesamt blieb sie trotzdem eher defensiv. Aber es zeugt ja von Größe, wenn man anderen Raum zur Entfaltung gibt. Das tat Argerich auch am Beginn und Ende des Abends, in dem sie nicht als aktive Musikerin, sondern mit ihren Besetzungs- und Programmideen in Erscheinung trat. Und die waren richtig, richtig gut.

„Irrer“ Pianist Gigashvili lässt die Tastatur explodieren

Etwa im Fall von Giorgi Gigashvili. Der junge georgische Pianist, von Argerich 2019 als Juryvorsitzende bei einem Wettbewerb entdeckt, war erst kurzfristig eingesprungen und hatte sich den Mephisto-Walzer von Liszt in Rekordzeit draufgeschafft.

Aber wie! Irre, mit welcher Präzision und welchem Tempo er die prägnanten Gesten des Stücks in die Tasten häckselte und in einen ekstatischen Tanz steigerte. Stark aber auch seine samtpfotigen Sounds. Erst beim faustischen Liebeswerben und danach in einem Walzer von Skrjabin, der sich zunächst leise aus der Realität wegträumt – bevor die Stimmung umschlägt und Gigashvili die Tastatur förmlich explodieren ließ.

Ein Spitzenmusiker, dieser sympathische Typ. Von dem man anschließend wahrscheinlich noch mehr geschwärmt hätte, wenn da nicht noch die zweite Hälfte gekommen wäre.

Argerich-Festival: Fado als Kontrast in der Laeiszhalle

Eine andere Welt, ein hypnotischer Sog. Ausgelöst von der portugiesischen Fado-Sängerin Carminho. Mit ihrer Musik, aber auch mit einer aufs Wesentliche verdichteten Präsenz. Anfangs steht sie – ganz in Schwarz gekleidet, die Haare streng zurückgebunden – im Bühnendunkel.

Um sie herum vier Gitarristen, auch schwer zu erkennen. Ein bleicher Spot beleuchtet ihr Gesicht, das ist alles. Nichts soll vom Gesang ablenken. Und der ist, auf eine schwer zu beschreibende Art, magisch.

Ihre Stimme und das Mikrofon gehen eine Liebesbeziehung ein. Carminho raunt, haucht, fleht und tröstet, sie klingt zugleich warm, samtig und rau – und hat immer diesen unverkennbaren Schwermutston der Fadista im Timbre. Ob in den leisen Passagen oder dort, wo das Gefühl von Sehnsucht und Schmerz in glühenden Rufen aufflammt.

Fado-Sängerin Carminho mit meisterhafter Moderation

Die Sängerin und ihre Band sind fest in der Tradition des Fado verwurzelt, finden aber ihren eigenen Weg, sie am Leben zu halten und neue Impulse zu setzen. Wie sie diesen Weg mit den Kollegen sucht, immer bereit, sich inspirieren zu lassen – davon erzählt Carminho in ihren Moderationen.

Auch diese Monologe sind kleine Meisterwerke der Kommunikation. Sie bestärken die intime Atmosphäre und machen die Musik nahbar, ohne ihre geheimnisvolle Aura zu zerstören. Großartig. Und sehr anrührend.

Nächstes Festival-Konzert: 28.6. 19.30 Uhr, Laeiszhalle, Kleiner Saal: Martha Argerich, Elena Bashkirova, Kaushiki Chakraborty u. a. mit Werken von Schumann, Hensel und Mozart sowie klassische indische Musik. Festival-Infos unter: www.symphonikerhamburg.de