Hamburg. Mit Balthasar-Neumann-Ensembles brachte Thomas Hengelbrock das Programm eines Wiener Konzerts von 1908 in die Laeiszhalle.

Der Untertitel „Klingendes Museum“ wäre zwar leicht garstig gewesen, aber auch angemessen. Denn da der Dirigent Thomas Hengelbrock so tickt, wie er tickt, machte er bei der historisch bestens informierten Umsetzung seiner Ideen keine halben Sachen. Beethovens Wiener Akademie-Konzert von 1808 stand auf dem Programm, ein epochaler Uraufführungs-Marathon für die Nachwelt, aber auch ein krachender Reinfall am Abend selbst, weil er so unterprobt war und so überehrgeizig.

Hengelbrock brachte Wiener Konzert von 1908 in die Laeiszhalle

Komplett nachgespielt wurde dieses Konzert nun im Großen Saal der Laeisz­halle, mit zwei der revolutionärsten Sinfonien, dem 4. Klavierkonzert, Teilen der C-Dur-Messe und der so fast nie zu hörenden, alle Konventionen sprengenden Chorfantasie als weltumarmender Abschluss. Doch auch mit dem passenden Fach-Werkzeug bei Hengelbrocks Balthasar-Neumann-Ensemble, um das Klangbild für heutige Beethoven-Hörer dramatisch anders scharf zu stellen: Geigen mit Darmsaiten, alte Holzblasinstrumente, bis hin zum ofenrohrartig verlängerten Kontrafagott.

Hochrisiko-Naturhörner ohne Ventile, Posaunen mit Spezial-Zug und mittendrin ein Hammerflügel, virtuos bespielt von Kristian Bezui­denhout. Damals das, womit Beethoven sich zu arrangieren hatte, heute ein schwachbrüstiger Konzertflügel-Vorläufer, mit deutlich weniger PS unter der Haube, verhalten perlend, wo der heutige Urenkel raumfüllend loslegen kann. Eine sehr spezielle Spezial-Klangfarbe. Halbe Kraft also im großen Ganzen, aber randvoll mit Detail-Überraschungen und damit auch ein weiterer Teil der Erziehungsmaßnahme, die dieses Konzert war, ganz abgesehen vom Gratulationsaspekt im Beethoven-Jubiläumsjahr.

Kopfsatz klang wie Tarantino-Soundtrack

Doch bei dieser stürmisch bejubelten Lektion hatte Hengelbrock offenkundig nicht vor, es sich im Gemächlichen bequem zu machen. Die „Pastorale“ war ein erstes, noch nicht das deutlichste Beispiel für sein Beethoven-Verständnis. Sie kündigte mit klug inszenierter Tiefenschärfe im Zusammenspiel an, was nach der Pause in der Fünften folgen sollte: ein Beethoven mit chronischem Bluthochdruck, dem Kompromisse fernlagen. Forsche Tempi, steil ausgereizte dynamische Kontraste, die sich nicht nur aus den Lautstärke- und Ba­lance-Möglichkeiten des handlich besetzten Orchesters ergaben, sondern die auch zeigen sollten, wie mutig diese Musik „gebaut“ war und wie aus wenigen Tönen tragende Strukturen entstehen. Der Kopfsatz klang bei Hengelbrock, als wäre er für einen Tarantino-Soundtrack gedacht.

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Das so gern herbeizitierte Schicksal klopfte da nicht nur an die Pforte, es machte Kleinholz aus ihr. Das hatte zwar nicht die klar überwältigende Brillanz einer Currentzis-Attacke, doch es war durchgehend packend. Bezuidenhout hatte im Rahmen des Möglichen im G-Dur-Klavierkonzert seine lichten und schönen Momente; in den Messe-Teilen, von der Rampe aus gesungen, stellte der Balthasar-Neumann-Chor seine Güte unter Beweis; in der „Ah! perfido“-Solo-Szene war die Sopranistin Katarina Karnéus eine weitere Freude, auch ohne schöne Götterfunken. Wirklich visionär wurde es aber erst im Konzert-Finale, dieser Fantasie, die versprach, was das Finale der Neunten halten sollte.

Nächstes Hengelbrock-Konzert: 19.4., 20 Uhr, Elbphilharmonie, Gr. Saal: Liszt „Via Crucis“, Werke von Bruckner, Reger u. a. Ausverkauft, evtl. Restkarten