Hamburg. Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle Dresden mit Mahlers riesig besetzter Dritter Sinfonie in der Elbphilharmonie.
Kann man eine Mahler-Sinfonie zu verharmlosend „schön“ spielen lassen als Dirigent? Und falls ja, wäre das wirklich verwerflich oder gar verkehrt?
Als Christian Thielemann 2019 zum Ehrenmitglied der Hamburger Mahler-Gesellschaft ernannt wurde, hatte er seinen guten Vorsatz über die Zugangssuche in dessen extreme Klangwelten so beschrieben: „Ich nehme mit, was ich bei Wagner und Strauss gelernt habe, und wende es jetzt bei Mahler an.“ Kann man so machen. Ein Traditions-Orchester wie die Sächsische Staatskapelle ist dafür ein passgenaues Präzisionswerkzeug, Wagner hat ihr seinerzeit nicht grundlos das Etikett „Wunderharfe“ anvertraut.
Elbphilharmonie: Christian Thielemann erzählt von Mahler
Im Tournee-Angebot der Dresdner mit ihrem Noch-Chef für die Elbphilharmonie war es nun die heikle Dritte als Prüfungsaufgabe, nicht die größte, aber die längste, und unter Mahlers vielen ohnehin schon problematischen eines der noch problematischeren Befindlichkeits-Panoramen.
Man könnte dabei angesichts der vielen wild zusammencollagierten Versatzstückchen glatt eine Runde Mahler-Bingo spielen, weil im Laufe der ersten fünf Sätze so viele Standard-Stimmungsbilder auftauchen: das wilde, suchende Rasen durch die schroffe Natur, die pastorale Postkarten-Idylle, der verschrobene Humor, die Marsch-Momente, das Aufbäumen gegen alles und jeden, der Kinderchor, die philosophierende Sinnsuche … Thielemann mittendrin erwies sich dafür als akribischer Organisator von angenehm durchzuhörenden, aber reibungsarmen Stellen. Sich wahnsinnig zu echauffieren ist vor den Dresdnern nicht mehr notwendig, seinen Gestik-Aufwand konnte er trotz der riesigen Besetzung auf ein moderates Mittelmaß beschränkt halten.
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Mahler-Konzert mit einem schön inszenierten Spezialeffekt
Toll, wie detailscharf diese Musik in den Klangraum gebracht wurde, wie ein nobles Ausstellungsstück, das man stolz von allen Seiten betrachten darf, überall erstaunliche Transparenz, makellos austarierte Klangschattierungen. Acht Hörner, die wie eines klangen, trittsicheres hohes Blech auch in den extremeren Lagen. Schön inszenierter Spezialeffekt: das verträumt poetische Posthorn-Solo aus dem Off.
Die samtig strahlende Mezzosopranistin Christina Meyer platzierte Thielemann nicht, wie im Großen Saal sonst üblich und wegen der Akustik empfehlenswerter, eher weiter oben und hinten, sondern direkt vor seinem Pult, mitten ins opulente Tutti. Könnte schnell schiefgehen, hier aber nahm sich das Orchester sensibel so sehr zurück, dass der Nietzsche-Text, zumindest nach vorn, nicht im Gesamtklang versank.
Elbphilharmonie: Orchestrales Schaulaufen vor begeistertem Publikum
Fünf feine Sätze lang also vor allem größtorchestrales Schaulaufen vor Publikum. Wirklich interessant, tiefgründig und bewegend wurde es allerdings – wo in der Dritten, wenn nicht dort? – im „Was mir die Liebe erzählt“-Schlusssatz.
Thielemann ließ alles Plakative fahren und vergrub sich, als wäre es später Wagner oder reifer Bruckner, in die unendlich wirkenden Streicherflächen. Der Sicherheitsgurt war offen, alle gingen gemeinsam ins Risiko, sich von dieser Ausdruckskraft überwältigen zu lassen, bis die große Coda mit allem Drum und Dran und mächtigen Schlussakkorden den Himmel weit aufriss. Enormer Beifall.