Hamburg. Nina Stemme kann sich aussuchen, wo sie wann und mit wem singt. Zweimal sang sie nun in Hamburg – und blieb dabei verspannt.

Für Drahtseilakte wie dieses Konzertereignis lässt sich, wie auch für sonstige Krisen aller Größen, bei Wagner das passende Bonmot finden: „Nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen.“ Damit hatte er zwar seine Oper „Tristan und Isolde“ und deren radikal vertonte Glut gemeint. Doch die Prognose passt auch zum ersten der beiden Elbphilharmonie-Termine, bei denen Nina Stemme – in Bestform wagnerweltweit unübertreffbar als Isolde oder Brünnhilde – und das NDR Elbphilharmonie Orchester unter Leitung des Wagner-Könners Marek Janowski es mit dieser wahnsinnlichen Musik, den eigenen Befindlichkeiten und dem Großen Saal aufnehmen sollten.

Das war ein Angstgegner zu viel, mindestens. Denn wegen dieses ersten Abends mit etwas „Tannhäuser“, etwas „Tristan“ und einer Portion „Götterdämmerung“ wurde niemand verrückt. Weil er sich nur im solide organisierten Irgendwie bewegte, anstatt selig-irre an Grenzen zu gehen oder gar darüber hinaus.

Am Vortag, nach einer Probe, hatte Nina Stemme angenehm pragmatisch und uneitel in ihrer Garderobe über die Höchstleistungskunst Wagner-Gesang gesprochen. „Ich kann auf der Bühne eine Diva sein, das genügt mir“, hatte sie einmal ihre Perspektive erklärt, von „La Stemme“-Attitüden ist sie jedenfalls weit entfernt. Ihre 100. Isolde absolvierte die Schwedin 2016 an der New Yorker Met; wie viele Brünnhilden es inzwischen sind, hatte sie gerade nicht parat. Stemme, 2018 verdient mit dem Birgit-Nilsson-Preis geehrt, kann sich längst aussuchen, wo sie wann und mit wem eine ihrer hochdramatischen Paraderollen singt. „Man muss die Ausdauer trainieren“, sagte sie also, vor dem Konzert. „Ich weiß, wo die Schwierigkeiten liegen. Und: Man wird auch nicht jünger. Es ist also inzwischen etwas mehr von der Tagesform abhängig.“

Stemme klang und begann nicht nur verspannt, sie blieb es

Episch war ihr Pensum für diesen Auftritt nur bedingt, theoretisch. Insgesamt eine knappe halbe Stunde, normalerweise ihr minimaler Vorglühzeitraum, doch diese knapp 30 Minuten hatten es nun mal in sich, obwohl sie vorlauflos kamen. Vor Isoldes Liebestod hätte Stemme auf einer Opernbühne schon Stunden durchlitten, ebenso als Brünnhilde mit ihrem Schlussgesang am Ende der „Götterdämmerung“. Es könnte also alles frisch klingen, mühelos womöglich. Als Stemme sich aber mit Isoldes ersten Schlussworten „Mild und leise“ auf den Weg ins transzendierende Verlöschen machte, wurde schnell, zu schnell klar: Dieser Abend war nicht ihrer, der Strahl schwächelte. Stemme unterwältigte nur.

Wie schon bei Anja Kampe, die 2017 neben Christian Thielemann und unmittelbar vor der größtbesetzten Dresdner Staatskapelle als Brünnhilde im Wagner-Klangrausch unterging, rächte sich auch hier die Idee, eine einzige Sängerin an dieser Stelle zu positionieren, in der Hoffnung, sie werde da gegen diese Musikmassen schon heil durchkommen.

Stemme klang und begann nicht nur verspannt, sie blieb es. Der Fluss der Erzählung wollte sich nicht einstellen, diese großartige Sängerin hielt sich mit Technik, Erfahrung und Routine über Wasser, anstatt – jede Note ein funkelnder Herztreffer – frei und todesverachtendmutig abzuheben. Dass das NDR-Orchester, dem Wagner nur alle Jubeljahre auf die Pulte kommt, in dieser Situation auch mit sich selbst zu tun hatte und keine sprichwörtlichen Hände mehr frei hatte, um eine „sich verhauchende“ Isolde hingebungsvoll ins „wehende All“ zu tragen, kann und sollte kein Vorwurf sein. Auch Vollzeit-Opernorchester scheitern daran, sich in diesen Flow zu erregen.

Viel zu oft wurden Details klar, die man lieber nur geahnt hätte

Dass man andererseits 2017 mit Janowski, der tief in dieser Repertoire-Materie zuhause ist, ein gutes „Rheingold“ in der Elbphilharmonie geschmiedet hatte, verhinderte nicht das Überheben mit den ungleich größeren Wagner-Brocken, um die es nun ging. Viel zu oft wurden Details klar, die man lieber nur geahnt hätte, denn die Bühne dieses Saals ist mit ihrer erbarmungslosen Trennschärfe das genaue Gegenteil jenes „mystischen Abgrunds“, der ein Orchestergraben für Wagner sein sollte.

Hat ein Horn bei entscheidenden Stellen Fracksausen, hört man das; sind die Holzbläsersätze nicht immer feinst ausgewogen, sondern benachbarte Einzelteile, hört man das. Fremdelt ein ganzes Orchester, ob nun wegen Respekt, Stress oder Unsicherheit mit der Aufgabe Wagner, hört man das. All das hörte man also. Und weil Janowskis Wagner-Dirigat schon beim „Tannhäuser“-Sortiment ins Kleinteilige tendierte, machte dessen Dirigat die Sache nicht einfacher. Und so wurden aus den erhofften Sternstunden mit mindestens einem Wagner-Weltstar eher Nachhilfestunden.