Hamburg. Chefdirigent Alan Gilbert kombiniert Messiaen und Bruckner. Der Aufmerksamkeitsmagnet aber ist US-Sopranistin Renée Fleming.

Wenige Tage nach dem Besuch des Eröffnungskonzerts der Isarphilharmonie ist das erste groß besetzte Orchesterkonzert, zurück im Großen Saal der Elbphilharmonie, vor allem eines: ein kleiner, lehrreicher Schock. Die Trennschärfe, die Detailzeichnung dort – so ganz anders als in München – ist so toll wie bei einem riesigen Ultra-HD-Bildschirm, aber deswegen eben auch unerbittlich bis erbarmungslos.

Der Beginn von Bruckners Vierter bietet für diese Spezial-Befindlichkeit ein brutal ideales Beispiel: Über das hauchzarte Grundraunen der Streicher hat das Solo-Horn, ganz allein, offen und komplett ungeschützt, eine dieser Motiv-Keimzellen zu spielen, aus denen Bruckner buchstäblich stundenlang seine Sinfonie-Kathedralen in den Himmel wachsen ließ.

Elbphilharmonie: Begeisterter Beifall für Gilbert

Wenn diese wenigen Töne makellos kommen, ist es wunderbar; wenn nicht so ganz, wie am Donnerstag beim ersten der zwei Konzert-Durchgänge des NDR Elbphilharmonie Orchesters mit seinem Chefdirigenten Alan Gilbert, hört man auch das, ebenso genau. Und so begann eine Interpretation der „Romantischen“ mit einem kleinen Wackler, der sich allerdings zügig wieder einrenkte.

 Gilberts Blick auf Bruckner war an diesem Abend sehr sehnig, fast schon sportlich straff. Episodisches Aneinanderreihen von Einzelteilen betonte das Satzbaukastenartige dieser Musik, anstatt mit transzendierender Ruhe die ganz großen Bögen aufzuziehen und wirken zu lassen. Je vollendeter diese Kathedrale, desto wuchtiger und markanter kamen die finalen Blech-Fanfaren – nach monatelanger Enthaltsamkeit ein satt lautes, entschuldbares guilty pleasure, für das Gilbert begeisterten Beifall erhielt.

Renée Fleming zog Aufmerksamkeit auf sich

Der größere Aufmerksamkeitsmagnet an diesem Abend war Renée Fleming, und das, obwohl die Sopranistin beim Saal-Debüt mit Messiaens Orchesterlied-Zyklus „Poèmes pour Mi“ nichts leicht Eingängiges anbot. Im Gegenteil: Messiaeniger als schon mit diesem Frühwerk kann man kaum werden. Fleming hatte sich dafür am rechten hinteren Rand des Orchesters platziert, neben der Selbstschutzmaßnahme gegen das drohende Überhörtwerden an der vorderen Rampe war das auch eine klare Ansage, Teil des Ganzen sein zu wollen.

Ihre Stimme, Bedeutungsträgerin der assoziationsreichen Texte, wurde so zu einer unter sehr vielen. Sie funkelte elegant im Zusammenklang, verschmolz hin und wieder im Dialog mit den hohen Holzbläsern in dieser Sternenstaub-Vertonung, die Messiaen mit religiösem Verzücken angereichert hatte. Bei der Klangfarben-Verzierung, den sanft verlaufenden Wechseln von einer Nuance in die nächste, fehlte dem Orchester aber die nötige Sensibilität.

Elbphilharmonie: Geschmeidige Übergänge fehlten

Ähnlich wie beim folgenden Bruckner wurden Abschnitte hintereinander konkret in den Raum gestellt, anstatt sich geschmeidig von Übergang zu Übergang zu verwandeln, schwebend und unfassbar. Flemings Stimme wurde dazwischen zwar nicht aufgerieben, doch sie hatte Mühe, mit ihren Qualitäten, dieser seidenweichen Leichtigkeit und Noblesse der klugen Strauss- und Mozart-Interpretin, angemessen herausragend zu faszinieren.

Das Konzert wird am Sonntag, 11 Uhr, wiederholt. Evtl. Restkarten. Aktuelle CD: Renée Fleming / Yannick Nézet-Séguin (Klavier) „Voice of Nature: The Anthropocene“ Lieder von Fauré, Hahn, Liszt u.a. (Decca, ca. 17 Euro)