Hamburg. Die NDR Elbphilharmonie gratuliert zum 100. Geburtstag des berühmten Komponisten. Dabei kamen auch seine musikalischen Erben nicht zu kurz.

Zwei zentrale Aspekte dieses Abends haben nur indirekt mit der Qualität der Aufführung zu tun: „Früher“ hätte man eher erstaunt registriert, dass ein so großer Saal wie der der Elbphilharmonie trotz des konsequent zeitgenössischen Programms sehr gut gefüllt war. Heutzutage aber darf man wohl vermuten, dass das erfreulich gemischte Publikum, am Ende lautstark begeistert, genau wegen dieses Programms zum „neuen werk“-Konzert des NDR kam. Nicht wegen jahrelanger, in Avantgarde-Seminaren geschulter Kennerschaft, sondern wegen einer Neugierde auf neue, andere, auch herausfordernde Töne aus der und für die Gegenwart. Kultur- und Weiterbildungsauftrag bestens erfüllt also.

Obwohl: auch nicht so ganz. Denn zum 100. Geburtstag von György Ligeti – epochal wichtiger Klassiker der Moderne, hat lange in Hamburg gelebt und sich scharf über die üblichen kulturpolitischen Defizite aufgeregt – im Mai hätte es gern deutlich mehr und konziser sein dürfen als das eine oder andere im Gesamtplan verstreute Programm.

Ligeti-Hommage: Tadellos und hochspannend

Die Abendleistung an sich jedoch war tadellos und hochspannend: Zunächst ein Klavierkonzert aus der mittelbaren Erbfolgelinie Ligetis; eine erste großorchestrale Grübelei des Franzosen Tristan Murail über die Fragen nach Wesen und Beschaffenheit von musikalischen Ereignissen, die nicht mehr in Kategorien wie Melodie oder schnell erkennbarer Strukturen erdacht wurden. Stefan Asbury, auf solche Herausforderungen spezialisiert, organisierte den weit aufgefächerten Klangapparat mit gespannter Gelassenheit und detailscharfer Übersicht.

François-Frédéric Guy, auf Murail spezialisiert, modellierte aus dessen Vorgaben eine Klangfläche, die in ihrer Verrätselung ein Eigenleben entwickeln konnte, die immer wieder auf sich selbst Bezug nahm und mit flirrenden Reibungsebenen auslotete. Schön auch die interessant eingesetzten Unterschiede in der Intonation von Bläsern und Streichern, als weiterer Störfaktor traditionellerer Hörgewohnheiten.

Danach: drei Klangfarben Ligeti in drei Schlüsselwerken, ineinander übergehend, um die evolutionäre Entwicklung in der philosophischen Architektur seiner Musik erlebbar zu machen. Großartige Idee, dieser so simple Trick. Zunächst Ligetis größter Hit, „Atmosphères“ von 1961 (Such-Stichworte: Stanley Kubrick, „2001“): eine pulsierende Klangfläche, die von einem Farbwert zum nächsten wabert wie Plasma in einer Lava-Lampe. Über die einzige konkrete Soll-Bruchstelle, den Absturz von den gemein hohen Piccolo-Flöten zum archaischen Gerumpel der Kontrabässe, dirigierte Asbury allerdings zu pauschalisierend hinweg.

Jederzeit mehr von Ligeti

Danach folgte „Lontano“, sechs Jahre älter und logische Weiterentwicklung, als nächste Generation dieser Ästhetik. Und schließlich das Mittsiebziger-Stück „San Francisco Polyphony“ als mit Anspielungen auf frühe US-Minimalisten wie Reich oder Glass. Ligeti-Meisterwerke im kompakt erhellenden Schnelldurchlauf? Jederzeit gern mehr davon.