Hamburg. In einer Stellinger Lagerhalle fügen das Ensemble und Regisseur Axel Ranisch den Opern-Dreier zusammen. Ein Blick hinter die Kulissen.
Es riecht nach Kaffee und nach Arbeit. Freitag früh, kurz vor 10 Uhr, in einem Gewerbegebiet in Stellingen Oper zu proben, das muss man schon wollen. Gegenüber, im Nieselregen, parken die Lastwagen eines Caterers, hinter dem Haus rumpeln Lieferwagen und leicht ziehen tut es in den hinteren Stuhlreihen auch.
Hinter der schnöden Lagerhallen-Fassade hat die Staatsoper in ihrer Probe-Filiale ein nobles Haus in Florenz wie eine klassische Sitcom-Bühne aufgebaut. Ähnlichkeiten zum Wohnzimmer der Bundys in „Eine schrecklich nette Familie“ sind eindeutig beabsichtigt. Ein zentrales Sofa, eine Treppe für die Ein- und Abgänge, eine Tür, rechts – noch sehr nach Pappe aussehend, die wird noch originalgetreuer hergerichtet – das Bodydouble einer noblen italienischen Kaffeemaschine.
Staatsoper Hamburg: Ein Besuch bei einer Probe von "Il trittico"
Davor stehen allerdings keine Kameras, sondern der Flügel für das Ein-Mann-Orchester, das der Korrepetitor spielt; dazu etliche Tische und Stühle, viel Kram und Zeug. Noten, Regienotizen, was man so braucht für eine lange Probe. Der Regisseur Axel Ranisch, schon um diese Uhrzeit mit scheinbar unerschütterbarer Freundlichkeit und Geduld gesegnet, erarbeitet hier nicht eines, nicht zwei, nein: drei kurze, völlig unterschiedliche Stücke für einen Opern-Abend, Puccinis Dreierpack „Il trittico“, als Sonder-Angebot zum Auftakt der diesjährigen Italienischen Opernwochen an der Dammtorstraße.
Geboten werden drei Einakter für eine Eintrittskarte: das Eifersuchtsdrama „Il tabarro“, die hochdramatische Tragödie „Suor Angelica“ und „Gianni Schicchi“, eben diese Komödie mit eingebautem Liebespaar. Ranisch kommt vom Film und ist, das darf man so formulieren, ein liebevoller Klassik-Nerd; er und der Schauspieler und Geschmacks-Gefährte Devid Striesow schwärmen sich auf Deutschlandfunk Kultur in „Klassisch drastisch“ regelmäßig von ihren Lieblingsstücken vor und haben daraus ein Buch gemacht.
Regisseur Axel Ranisch hat bei den Proben den Überblick
Seit Ende Januar wird geprobt, heute ist dieser „Gianni Schicchi“ dran. Ein gewollt alberner Erbschleicher-Klimbim, mit allem, was so dazu gehört: Der Clan-Chef hat gerade seine letzte Pasta gegessen, die eher nicht trauernde Familie will tricksen, um dessen Testament in ihrem Sinne und am Gesetz vorbei neu zu formulieren, und natürlich geht das schief.
Kein Top-Ten-Stück dieses erfolgsverwöhnten Komponisten wie seine „Bohème“ oder die „Tosca“, aber es hat mit dem Tränendrückerchen „O mio babbino caro“ mal eben einen der größten Publikumslieblinge überhaupt vorzuweisen. Wie „baut“ man das als Regisseur, ohne sich in drei Portionen verzetteln? Wie arrangiert man diese Boulevardmischung aus Kammerspiel und Klamauk? Ranisch lässt entspannt und freundlich laufen und ausprobieren, hat aber dennoch die Details im Blick, um zu klären, wer wann wohin und wie und mit wem. Und möchte jemand dem Komödien-Affen eine große Portion Zucker geben, hat Ranisch nichts dagegen. Der Sopranistin Hellen Kwon – mit untergejubeltem Bühnen-Bauch etwa im 15. Monat schwanger – macht dieser Teil ihres Jobs gerade besonders viel Spaß.
Noch geht es bei Gesang um die Pointen – nicht um die Lautstärke
Die Regieanweisungen gibt es wegen der Internationalität des Casts in buntem Sprachendurcheinander. Dirigent Giampaolo Bisanti poliert von seinem mittig aufgestellten Partitur-Leitstand aus die Aussprache-Details. Schmettern und schmelzen ist hier noch nicht. Gesangslinien werden nur angedeutet. Das Timing für die Pointen ist wichtiger als die Lautstärke, die hebt man sich für das Große Haus und das Finale vor Publikum auf.
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In dieser frühen Phase ist Ranischs Job vergleichbar mit dem einen Fußballtrainers: Laufwege erklären, Positionen besetzen und tunlichst hin und wieder einen reinhauen, um wichtige Punkte zu machen. Deswegen könnte es durchaus sein, dass bei der Premiere am 12. März zu sehen sein wird, dass der alte Buoso Donati noch nicht so ganz und gar durch und durch hinüber ist. Und dass die lieben Verwandten kurz und energisch seinem Ableben nachhelfen. Vielleicht aber auch nicht. Bisanti gefällt dieser Einfall, er amüsiert sich auch, als ihm Ranisch erklärt, wie er den Schicchi sieht: „Yes, he’s a Schlitzohr.“ Als im nächsten Moment eine bunt gemusterte Unterhose von Schicci (Roberto Frontali) freigelegt wird, erkennt Bisanti, dass seine Musik, sei sie auch noch so delikat dirigiert, gegen solche Pointen nur schwer ankommt, weil „das Publikum die ganze Zeit nur lacht.
Während der Probe werden die Szenen Stück für Stück immer runder
„I’m sorry…“, entschuldigt sich der Regisseur kurz, dann geht es schon wieder weiter zur nächsten Korrektur der Familienaufstellung, weil gleich der Notar, den alle reinlegen wollen, den Raum zu betreten hat. Eine der ganz kniffligen Ensembleszenen. Wie der Notar das idealerweise hinbekommt, bis wohin und mit welcher Körpersprache, das überlegen Ranisch und der dafür zuständige Sänger Mateusz Ługowski gemeinsam.
Und weil sich die fragenden Blicke des Ensembles gerade etwas ballen, nimmt Ranisch kurz Druck aus dem Kessel: „Diese Sorge: Funktioniert das oder nicht? Es funktioniert! Das ist gut!“ Man kann sich mühelos etliche Regie-Instanzen vorstellen, bei denen Ansagen in deutlich verspannterem Tonfall passieren würden.
Damit klarer wird, was er wie möchte, verkörpert Ranisch vor, die anderen übernehmen und bieten Gesten an. So wird die Szene immer runder, während der Korrepetitor am Flügel gerade wenig erfreut über die nicht zum Stück gehörende Geräuschkulisse von außen ist. Während alle proben, übt sich der gerade nicht benötigte Dirigent in Geduld. Seine Zeit wird bei späteren Probenabschnitten schon noch kommen, erst recht, wenn der Flügel durch das vorgesehene Orchester im Graben ersetzt wird und sich ganz andere Koordinationsherausforderungen präsentieren. Kein Wunder also, dass irgendwann auch ein ewiger Klassiker des Theater-Probenalltags zum Einsatz kommt: „Das ergibt sich schon, das kommt später.“
„Il trittico”. Premiere 12.3., weitere Termine: 15., 18., 21., 24., 28., 31.3. Weitere Informationen: www.staatsoper-hamburg.de. Buch: Axel Ranisch / Devid Striesow „Klassik drastisch. Lippenbekenntnisse zweier Musik-Nerds“ (Ullstein, 208 S., 20 Euro)