Hamburg. GrauSchumacher tauchte in der Elbphilharmonie mit dem Avantgarde-Klassiker „Mantra“ in die Kompositionen des 20. Jahrhunderts ab.

Schon der Labor-Aufbau auf der Bühne des Kleinen Saals der Elbphilharmonie war ein interessantes, ganz sanft drohendes Versprechen: Anschnallen, tief durchatmen, das wird jetzt mehr als nur ein wenig verwirren. Geboten wurden zwei Flügel, eine Portion Kabelsalat, etwas Schlagwerk auf und je zwei Sinusgeneratoren und Ringmodulatoren neben den Instrumenten. Was genau was war und was welcher Apparat mitsamt dem dazugehörigen Klangregisseur in der Tiefe des Konzertraums bewirkte? Keine Ahnung, im Detail.

Aber es klang vom ersten manipulierten Klavier-Ton an fantastisch, buchstäblich wie sprichwörtlich. Die installierte Technik für das 1970 uraufgeführte Stück darf man als Antiquitäten der elektronischen Musik bezeichnen. Doch auch hier, wie für Monteverdi bis mindestens Bach, bis gilt die Pflicht historisch korrekter Aufführungspraxis, obwohl die Rechenleistung eines Durchschnitts-Smartphones mehrere Mondlandungen parallel managen könnte und das bisschen Klangwellen-Arbeit hier erst recht.

Elbphilharmonie: Klavierduo Grauschumacher überzeugt mit Stockhausen

Wenn 2023 tatsächlich und trotz seines Klassiker-Status gewagt wird, reinen, perlenden, rasend anders als alles andere seienden Stockhausen aufs Programm zu setzen, darf man nicht schwänzen; der Saal war bestens mit Interessierten gefüllt.

Für sein „Mantra“ hatte die NDR-Reihe „das neue werk“ dort zwei ältere Herren vom Fach aufgeboten, das Klavierduo GrauSchumacher hat des Meisters Anweisungen bei einer Einspielung noch höchstselbst empfangen dürfen. Unter allumfassender Weltformel machte es der reife Stockhausen bekanntlich nicht, auch „Mantra“ basiert auf der Jonglage mit einer 13-tönigen Formel, deren Bestandteile durch präzise konstruierte Daseinsveränderungen gejagt werden. „12 Formen von Spreizungen und 13 x 12 Transkriptionen, keine Variationen“, so hatte Stockhausen seinen Bauplan erläutert.

Pianisten schafften es, die Musik lebendig werden zu lassen

GrauSchumacher verwandelten die Struktur-Vorgaben in knapp 70 Minuten Musik, von denen nicht eine der benachbarten ähnelte. Klangnebel waberten auf und schlossen sich wieder, die beiden Flügel flatterten wild und zügellos durch einen nach allen Seiten offenen Möglichkeitsraum, sie stießen in Rhythmus-Galaxien vor, die nie zuvor ein Klavier-Duo gesehen hatte. Wie Stockhausen es damals visionär vorempfunden hatte, spürte man das „harmonische Atmen“ der Bestandteile. Das war keine Musik mehr, die in Noten fixiert wurde, das war ein schillernd lebender Organismus, die „musikalische Miniatur der einheitlichen Makro-Struktur des Kosmos“, oder, um Stockhausens Schüler Wolfgang Rihm zu zitieren: „Es geht in dieser wachen Musik um Wahrheit.“ Ob alles „richtig“ gespielt wurde? Egal. Es wurde lebendig, nur das zählt.