Hamburg. Von Mussorgsky und Grigorian über Messiaen bis Metzmacher: Die Pläne für die nächste Saison sind ambitioniert.
Eine Portion Déja-vù und Traditionspflege, dazu eine Portion rhetorisch behaupteter Blick nach vorn: Für ihre vorletzte Saison in der Staatsopern-Chefetage haben sich Intendant Georges Delnon und Generalmusikdirektor Kent Nagano einiges vorgenommen.
„Neu“ im Sinne von komplett unbekannt ist dabei aber nicht alles, die Zwangs-Verschiebungen während der Corona-Zeit werden nun vor allem im Opern-Spielplan nachgeholt: Mit drei Jahren Verspätung eröffnet Mussorgskys große Chor-Oper „Boris Godunov“, von Frank Castorf entsprechend episch in Szene zu setzen, das Premieren-Sortiment. Noch länger war die Wartezeit auf Naganos Herzensangelegenheit, das so ziemlich jeden Rahmen sprengende Musik-Theater „Saint François d’Asssise“ von Messiaen – jetzt also wirklich, aber lediglich drei Mal in der Elbphilharmonie, „mit minimalen szenischen Akzenten“, so Delnon. In Romeo Castelluccis abstrakt glühender Inszenierung bei den Salzburger Festspielen 2018 wurde Asmik Grigorian über Nacht zur legendären Salome. Nagano und Regisseur Dmitri Tcherniakov wollen ihre Hamburger Strauss-Trilogie damit fortsetzen, diese Sopranistin in ihrer Paradepartie dann auch an der Dammtorstraße statt in der Felsenreitschule wirken zu lassen.
Auch der gestreckte Mozart-Zyklus geht weiter
Verdi geht immer; „Il trovatore“ allerdings ist nicht nur vom Plot her extra heikel: Hier sollen Giampaolo Bisanti (Dirigent) und die Londoner ENO-Chefin Annilese Miskimmon (Regie) den Stoff in den Griff bekommen. Auch der gestreckte Mozart-Zyklus geht weiter, mit „La clemenza di Tito“ und wieder mit Adam Fischer vor dem Orchester; als Regisseurin debütiert; nun auch endlich in Hamburg, die US-Amerikanerin Lyda Steier.
Bonbon aus dem Spartenprogramm ist eine reizende Operetten-Rarität: Reynaldo Hahns „Ciboulette“, Baujahr 1923, über die amourösen Verstrickungen einer Gemüsegärtnerin namens Schnittlauch, eine Opernstudio-Produktion in der Opera stabile. Ebendort wird Gustav Peter Wöhler in Johannes Harneits „Händel’s Factory“die Titelrolle verkörpern. David Bösch erarbeitet nach Udo Zimmermanns „Weiße Rose“ über die Geschwister Scholl seine zweite „Graphic Opera“, über „Das Tagebuch der Anne Frank“.
- Eine schwarze Jugend in Hamburg: Bloß weg aus Volksdorf
- Rossini am Allee Theater: Bartolo ist jetzt Mafiaboss
- John Scofield wandelte auf den Spuren der Grateful Dead
Naganos Konzertreihe werde sich „auf die Zukunft fokussieren“, erklärte er, untermauert durch das erneuerte Reflektieren über Hamburgs Tradition als Hafenstadt. Dabei helfen sollen neben fünf international verteilten Kompositionsaufträgen auch ein „limitierter Mahler-Zyklus“, bestehend aus der 1., 4. und 7. Sinfonie. Für sein mäzenatisches Engagement – Opern-Neubau hin oder her – wird Klaus-Michael Kühne mit einem namentlich gewidmeten Sonderkonzert erfreut, der Rest des Publikum bekommt ebenfalls Elina Garanca in handverlesenen Opernszenen zu hören.
In einem Programm mendelssohnt es
Besonders typisch für die dramaturgischen Klammer-Konzepte ist der Saisonstart, bei dem Nagano Weberns „Im Sommerwind“ und Mahlers Erste mit Vokalmusik von Leonin und Perotin – Notre-Dame-Schule, 13. Jahrhundert – koppelt. In einem Programm mendelssohnt es; ein anderes kontrastiert Beethovens utopische Chor-Fantasie mit Schostakowitschs erschütternder 13. Sinfonie „Babi Jar“, die an das 1942 verübte Massaker vor den Toren Kiews erinnert, wo mehr als 33.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder ermordet wurden.
Ein ganz besonderer Termin ist das 4. Philharmoniker-Konzert im Dezember, weil 18 Jahre nach seinem, vorsichtig ausgedrückt: nicht ganz reibungsfreien Abschied Naganos Vor-Vorgänger Ingo Metzmacher erstmals wieder sein ehemaliges Orchester dirigieren wird. Auf den Notenpulten: Ives’ „Central Park in the Dark“ und Mahlers Siebente. Bei Thema Publikums-Rückkehr ist die Opern-Chefetage demonstrativ optimistisch; die Kartenpreise bleiben, wie sie sind.
Weitere Infos: www.staatsoper-hamburg.de, staatsorchester-hamburg.de