Ensemble Resonanz spielte die Auftragsarbeit „Migrants“ von Georges Aperghis. Es war ganz bewusst kein Vergnügen für das Publikum.
- Auftragsarbeit "Migrants" soll in der Elbphilharmonie bewusst verstören
- Keine Wohlklänge vom Ensemble Resonanz
- Sterben und Elend an den Außengrenzen Europas werden thematisiert
Gequält klingen die Geigen, wie sie ihre hohen, lauten Töne aufeinanderhäufen. Jede hat eine eigene Stimme, doch das Ganze ist hörbar aufeinander bezogen. Tonschönheit ist offenkundig nicht gefragt, stattdessen drücken die Bögen so auf die Saiten, dass diese bestimmt nicht frei schwingen können.
Dieser Abend kann kein Vergnügen sein. Weder für die Künstlerinnen und Künstler noch fürs Publikum. Soll er auch nicht. Der griechisch-französische Komponist Georges Aperghis hat im Auftrag des Ensemble Resonanz „Migrants“ geschrieben, eine Musik zu einem der furchtbarsten Themen der Gegenwart: dem Sterben und dem Elend an den Außengrenzen Europas.
Elbphilharmonie: Ensemble Resonanz spielt bedrückendes Werk
Die ersten drei Sätze sind bereits 2018 uraufgeführt worden, 2019 und 2021 kamen weitere Sätze hinzu. Nun hat das Ensemble Resonanz das Werk in seiner neuen, fünfteiligen Gestalt im Kleinen Saal der Elbphilharmonie vorgestellt.
Aperghis hat bewusst Abstand davon genommen, allzu dokumentarisch vorzugehen. Statt Betroffene zu zitieren, legt er seiner Musik Texte aus Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ zugrunde, in dem der Autor 1899 Kolonialverbrechen in Zentralafrika anprangerte. „Sie starben langsam“, heißt es da, oder: „Langsam erhoben sich die Augenlider, und die in tiefen Höhlen liegenden Augen sahen zu mir hoch, riesengroß und leer.“
- Extraportion Schmelz: Jakub Hrůša triggert die Glückshormone
- Pianistin Su Yeon Kim flogen die Besucherherzen zu
- Von verzweifelt bis fast märchenhaft: Konzert der Kontraste
Die Sopranistin Agata Zubel und die Mezzosopranistin Christina Daletska tragen diese markerschütternden Zeilen im Wechsel oder auch gemeinsam vor, sprechend, singend, begleitet vom Orchester oder auch von ihm jäh unterbrochen. Die Streicher des Ensembles, drei Schlagwerker und zwei Pianisten sind unter der Leitung von Emilio Pomàrico mit fesselnder Aufmerksamkeit und Präzision dabei.
Projektionen von menschleeren Landschaften
Die Szenografin Annette Kurz lässt währenddessen über die Bühnenrückwand Videoprojektionen von menschenleeren Landschaften laufen. Die stillen Bilder gehen mit der Musik nicht wirklich eine Verbindung ein. Seine Wirkung entfaltet der Abend unabhängig von ihnen. So eine gespannte Stille könnte man sich für den Großen Saal nur sehnlichst wünschen.
Nicht eine Sekunde lang hört das Zerren an den Nerven auf. Manchen Dingen muss man sich eben aussetzen, auch wenn sie keinen Spaß machen, und sei es nur für einen Abend. Das Sterben vor Europas Küsten dauert länger.