Hamburg. Das London Symphony Orchestra begeisterte in der Elbphilharmonie mit Werken von Sibelius, Rachmaninow und Dvořák.

Lauter silbrige „Pling“ schweben durch die Elbphilharmonie, verteilen sich wie Sternenstaub über dem dritten Slawischen Tanz von Dvořák. Das ganze London Symphony Orchestra wiegt sich im diskreten Rhythmus der Triangel. Simon Rattle am Pult lässt es geschehen. Autoritätsgehabe, Taktstockdiktat? Nicht mit ihm. Er weiß, dass er sich auf seine Musiker verlassen kann.

So wird der junge Schlagwerker ganz hinten im Orchester in den paar Minuten der Zugabe zum Star eines außergewöhnlichen Konzerts. Denn er schlägt mitnichten einfach nur stumpf den Takt. Er macht alle Temporückungen mit, gewinnt seinem kleinen Instrument immer noch weitere Piano-Nuancen ab und serviert zum Schluss einen piekfeinen Triangelwirbel. Das Einfachste ist ja oft das Schwerste. Jeder im Saal würde hören, wenn sich der junge Mann verschlüge.

Elbphilharmonie: Sibelius macht das Kontrafagott zum Meerungeheuer

Mit seinem Engelsklang krönt er einen Abend, an dem die Beteiligten hinreißend beseelt miteinander musizieren. Einen Solisten haben sie nicht mitgebracht, denn auf dem handverlesenen Programm stehen zwei Sinfonische Dichtungen von Sibelius und die dritte Sinfonie von Rachmaninow.

„Die Okeaniden“ zu Beginn stellen sie hin wie ein impressionistisch überhauchtes Gemälde. Die Geigen lassen im gemächlichen Dreierrhythmus die Wellen anrollen, die Flöten schwelgen zu zweit darüber. Das alles wirkt so idyllisch, verträumt und gelassen, dass die unterschwellige Komplexität des musikalischen Gewebes zur Nebensache wird. Kein Seestück ohne Meerungeheuer, das bei Sibelius in Gestalt des Kontrafagotts auftaucht. Aber dann beruhigt sich das Bild auch schon.

Elbphilharmonie: Glücksmomente und großer Jubel für Rattle und die Londoner

Ausgedehnter, düsterer, persönlicher ist „Tapiola“. Da weckt Sibelius keine bildlichen Assoziationen, sondern geht in genuin musikalischer Sprache auf eine Forschungsreise in die Feinheiten der Empfindung. Zu Herzen geht der mehrstimmige Gesang der Bratschen. Nicht umsonst gilt sie als das Streichinstrument, das dem Klang der menschlichen Stimme am nächsten ist. Die frechen Staccati der Holzbläser und Streicher sind auf die lässige Weise perfekt zusammen, die für dieses Orchester kennzeichnet ist.

Nach der Pause folgt Rach drei. Fast. Dieser umgangssprachliche Ehrentitel ist nämlich Rachmaninows drittem Klavierkonzert vorbehalten. Das Klavierkonzert ist ein Schlager des Repertoires, die dritte Sinfonie dagegen sehr selten zu hören. Schade eigentlich. Sehr späte, aber sehr feine Romantik, gewürzt mit etwas Neoklassizismus im gravitätisch gespreizten Scherzo.

Die Streicher entfalten einen glutvoll warmen Klang, angeführt von ihrem phänomenal intensiv musizierenden Konzertmeister; bisweilen ist er ein wenig aus seiner Gruppe herauszuhören. Der Solohornist besticht mit einem variablen, erdigen Ton und weitgespannten Phrasen. Und das sind nur einige der Glücksmomente, die die Londoner dem Publikum bescheren. Musizieren soll schwer sein? An diesem Abend ist das nicht zu glauben. Großer Jubel.