Hamburg. Geir Lysnes Jazz-Komposition „Chromatic Aberration“ ist glänzend, facettenreich – aber sehr lang. Einige verlassen den Saal vorzeitig.

Es sieht aus, als würde Florian Weber im Inneren seines Flügels mit einem schwarzen Tuch Staub wischen. Doch mit seinen sanften Bewegungen über die Saiten erzeugt er Geräusche, die wie Wind klingen. Trompeter Percy Pursglove lässt sein Instrument leise pfeifen, dann spielt er durch den Dämpfer verhangene Töne. Die Komposition „Chromatic Aberration“, die Geir Lysne, Chef der NDR Bigband, für Weber und Pursglove sowie sein Ensemble geschrieben hat, fängt leise und behutsam an.

Doch sehr bald nimmt die Intensität zu, und auch der Rest der Bigband sowie Schlagzeuger Jim Black, als Gast des Ensembles in der ausverkauften Elbphilharmonie dabei, steigen in das komplexe Werk ein. Lysne schlägt dabei nicht den Takt wie das beim Dirigieren eigentlich üblich ist, er imitiert mit den Armen Wellen- oder Kreisbewegungen und macht seinem Ensemble so deutlich, wie sie die Partitur des 90-minütigen Werkes umsetzen sollen. Wie ein Hexenmeister setzt er seine Musiker in Bewegung.

Jazzpianist Weber glänzt in der Elbphilharmonie – und überfordert einen Teil des Publikums

Seit Lysne die NDR Bigband vor einigen Jahren als Leiter übernommen hat, ist sie dank des Chefs zu einem der besten Großensembles in Europa geworden. Der Norweger schafft es, das Potenzial jedes einzelnen Musikers im Sinne des Gesamtklanges auszuschöpfen.

Mit Florian Weber hat er jetzt einen Musiker dazugewonnen, der neben Michael Wollny der beste Jazzpianist ist, den es hierzulande gibt. Weber glänzt an diesem Abend mit verblüffenden fingerfertigen Soli, das Stück gibt ihm und auch dem famosen Percy Pursglove reichlich Möglichkeiten improvisatorisch zu glänzen.

Geir Lysne hat lyrische Stimmungen notiert, es gibt langsame Sequenzen wie bei einem klassischen Adagio und auch viel wilde Passagen, die wie Free Jazz anmuten, aber notiert sind. Cool Jazz, Hardbop, Free, Jazzrock – in „Chromatic Aberration“ finden sich verschiedene Elemente der Jazzgeschichte. Aber sie sind immer nur angedeutet, aus dem Standard-Repertoire des Jazz wird nicht zitiert.

Einige Zuhörer verlassen den Großen Saal vorzeitig

Wer im Publikum einen gemütlichen Adventsabend mit etwas Swing erwartet hat, wird enttäuscht. Eine Reihe von Zuhörern ist mit der Komplexität und vielleicht auch der Länge von Lysnes Komposition nicht einverstanden und verlässt den Großen Saal vorzeitig. Man könnte dem Komponisten und Dirigenten vorwerfen, dass er Probleme hat, zum Schluss zu kommen.

Als 70-minütiges Werk angekündigt, dauert es am Ende 90 Minuten. In den letzten 15 Minuten läuft die Musik immer wieder auf einen Schluss hin, um dann doch noch mal einen neuen Anlauf zu nehmen. Aber das ist nur ein leichter Kritikpunkt an einem facettenreichen Werk, mit dem Geir Lysne und die NDR Bigband Maßstäbe setzen.