Hamburg. Frank Thannhäusers Fassung von Bram Stokers Grusel-Roman erlebt im Imperial eine gefeierte Premiere - trotz anfänglicher Lichtprobleme.
England, insbesondere das England vergangener Jahrhunderte – im Imperial Theater ist es immer wieder spannend nachzuerleben. Und so hat Deutschlands renommiertestes Krimitheater, bekannt für seine zahlreichen Edgar-Wallace-Adaptionen, nicht nur sich, sondern alten und womöglich einigen neuen Fans zum 28. Geburtstag ein ungewöhnliches Geschenk bereitet: den prominentesten Klassiker der viktorianischen Grusel-Literatur, „Dracula“.
Als erste Hamburger Bühne bringt das Imperial den 125 Jahre alten (Brief-)Roman des irischen Autors Bram Stoker als Theaterfassung heraus. Regisseur und Chef-Ausstatter Frank Thannhäuser hat sich wie schon seinen Wallace-Bearbeitungen bei „Dracula“ frei von diversen Verfilmungen gemacht und seine ganz eigene originelle Version kreiert. Der Intendant lässt das Geschehen um den mysteriöse Grafen aus Transsilvanien ausschließlich im Örtchen Whitby in der Grafschaft Yorkshire spielen, in einem Sanatorium nahe London.
„Dracula“: Der Holländer van Helsing weiß, wie Vampire ticken
Im prächtig ausgestatteten Salon mit Bibliothek, Kamin und geheimnisvollen Ahnenporträts herrscht bei Nervenarzt Dr. Seward (Gosta Liptow) jedoch gedrückte Stimmung. Seine Verlobte Lucy (Eileen Weidel) wird von Albträumen heimgesucht, seit ein gewisser Dracula ins Nachbarhaus eingezogen ist. Zudem leidet sie unter Blutarmut und hat zwei seltsame Male am Hals. Seward, den Liptow bewusst als hilflosen Seelenklempner gibt, hat deshalb Lucys Freundin Mina (Jessica Neumann) und seinen Mentor, den Gelehrten van Helsing (Janis Zaurins), ins Haus gebeten.
Dieser Holländer weiß, wie Vampire ticken, wie ihnen zu begegnen ist. Er ahnt, dass mit Dracula etwas nicht stimmt. Zaurins spielt van Helsing als Experten für Okkultismus mit brauner Arzttasche (Inhalt: spezielle Pflanzen und Werkzeuge) ebenso überzeugend wie Jessica Neumann als seine Vampirjäger-Verbündete, die mit ihrer Pistole auf der Jagd nach einer Fledermaus für den ersten Knalleffekt des Abends sorgt.
Ein kräftiger Biss lässt das Publikum erst Blut für den zweiten Akt lecken
Da ist Dracula schon mehrmals ins Haus geschneit. Anfangs noch ganz normal durch die Haustür, bei Dunkelheit dann meist wie aus dem Nichts durch die geöffnete Terrassentür. Christian Richard Bauer, spielt den Grafen in seiner ersten Titelrolle im Imperial mit dunkler Frisur a la Albrecht Dürer, bleichem Gesicht und schwarzem Cape gekonnt als eine Art Bela Lugosi 2.0. vom Kiez. Der Schauspieler, am Ohnsorg-Theater auch Spracherklärer in der „Platt2Go“-Reihe, gibt nun den bösen Menschen in hübscher Gestalt. Und frei nach Thannhäusers These „Es geht doch nichts über einen guten Mord zur Pause“ gilt für Bauer im Duett mit der zwischen Verzweiflung und Leidenschaft changierenden Lucy von Eileen Weidel: Ein kräftiger Biss lässt das Publikum erst Blut für den zweiten Akt lecken.
Denn dramaturgisch zieht sich der erste Teil leider etwas, bis es spannend und schön gruselig wird. Und das liegt keineswegs an den Nebendarstellern. Patrick Michel sorgt als pockennarbiger, fliegen- und spinnenfressender verrückter Dracula-Gehilfe Renfield – eine Figur, die in kaum einem Film auftaucht - für Horror und Lacher gleichermaßen. Letzteres gilt ebenso für Bianca Arndt als vom „Meister“ hypnotisiertes Dienstmädchen Wells mit kesser Lippe. Und an Sönke Städtler, der als Renfields überforderter Pfleger Butterworth nicht nur versucht, mit ihr anzubandeln, sondern sogar dem großen van Helsing verbal entgegentritt („Ihr Holländer habt es nicht so mit frischer Luft“), weil der aus Schutz vor Dracula die Fenster geschlossen halten will.
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„Dracula“: Wolfswurz, geweihte Kruzifixe, Hammer und Holzpfahl
Mit Wolfswurz und geweihten Kruzifixen, Hammer und Holzpfahl geht es im zweiten Teil dann richtig effektvoll zur Sache. Künstlicher Nebel auf der Bühne, Weihwasser, heulende Hunde im Hintergrund, eine sich öffnende Geheimtür auf der Drehbühne und die von Marko Formanek eigens produzierte Musik leiten die Szenen ein und dramatisieren sie zusätzlich. Zwischendurch löst sich Graf Dracula mal eben in Luft auf, als wäre auf der Bühne Magie im Spiel – bis hin zum großen Puff- und Knalleffekt beim recht abrupten Ende.
Da ließ es sich schließlich verschmerzen, dass die Premiere mit gut einer halbe Stunde Verspätung begonnen hatte: Drei Techniker hatten wegen Problemen an Kabeln und Lampen emsig herumgeschraubt. Mit Erfolg. Speziell Draculas Hypnose- und Liebesszenen wirken im kunstvollen Lichtdesign in Grün und Rot überaus stimmungsvoll. Und den Gutenacht-Epilog für den Nachhauseweg sollten alte und neue Grusel-Fans im Imperial ebenso wenig verpassen wie diesmal das begeisterte Premierenpublikum,
„Dracula“ bis August 2023, Do-Sa, jew. 20.00, Imperial (U St. Pauli), Reeperbahn 5, Karten zu 21,- bis 40,- unter T. 31 31 14; www.imperial-theater.de