Hamburg. Die niederländische Musiktheatergruppe erzeugt eine nostalgische Jahrmarkt-Atmosphäre. Manchmal wird es allerdings extrem schräg.
Diese Künstler brauchen keinen Vorhang – die Zuschauer sind Zeugen der Konzert-Vorbereitungen der fünf Musiker, vielmehr Musikkomödianten. Ein großes mechanisches Klavier klimpert wie von selbst – nur eines von zahlreichen Instrumenten. Auf der großen Bühne des Ernst Deutsch Theaters herrscht eine nostalgische Jahrmarkt-Atmosphäre im Stil der 1920er-Jahre, schon bevor das Quintett seinen ersten Song „Fairground“ (Rummelplatz) anstimmt.
Släpstick heißt die Musiktheatergruppe aus den Niederlanden. Der Name ist Programm und ihr erstes von zwei nahezu ausverkauften Hamburg-Gastspielen beim Schleswig-Holstein Musik Festival ein neuer Beweis, dass dieses Fest nicht mehr nur auf Klassik und das nördliche Bundesland fixiert ist. Musiker, die eine klassische Ausbildung genossen haben und auf dieser Basis gepflegt Quatsch machen, gibt es inzwischen wie Land am Meer.
Das Hamburger Trio Bidla Buh – in diesem Jahr erneut beim SHMF vertreten –, die Münchner Gruppe Blechschaden oder die Wiener Blechbläser-Combo Mnozil Brass etwa. Släpstick indes fährt richtig groß auf und zeigt, wie seine fünf Mitglieder, allesamt Multikünstler, mehr als 50 Instrumente beherrschen:
Zwei Klaviere, eine Orgel, dazu diverse Schlagwerkzeuge und Blechinstrumente – die musikalische Zeitreise umfasst damit Dixieland, Swing, Ragtime bis hin zu Gypsy und Pop. Oder a cappella „Regentropfen fallen auf meinen Kopf“, die deutsche Version von „Raindrops Keep Fallin’ On My Head“.
Volkstanz zu "Eye of the Tiger"
Vieles der Släpstick-Kunst beruht zudem auf Mimik und Artistik. Wenn die fünf etwa synchron zu einem alten Schwarz-Weiß-Film von Laurel & Hardy oder zu ihren eigenen „The Lady And The Dog“ schauspielern und musizieren oder zur „Rocky“-Hymne „Eye Of The Tiger“ immer wieder Volkstänze einstreuen, anstatt zu boxen.
Auch die Parodie auf die inflationären Auftritte von Straßenmusikern an nahezu jeder Ecke trägt groteske Züge. Und der komödiantisch umschriebene Begriff der „Anal-Violine“ wird bei Släpstick um jenen der Genital-Geige erweitert, indem die Kollegen diesem Instrument vor dem Schritt des Schlagzeugers Rogier Bosman besonders schräge Töne entlocken.
"Unforgettable" – schräge Erinnerung an die Demenz
Doch trotz der musikalischen Bandbreite und Virtuosität: Etwas mehr Straffung in der Regie hätte der – inklusive Pause – fast zweieinhalbstündigen Släpstick-Show gut getan. Willem van Baarsens „Unforgettable“-Nummer als an Demenz und Schüttelkrankheit leidender Sänger-Oldie etwa wirkt deplatziert und despektierlich; auch das Dosenwerfen, von Saxofonist und Klarinettist Jon Bittmann als Marktschreier mehrmals im Publikum eingefordert, war am Ende etwas zu viel des Guten, ebenso die finale Kissenschlacht. Die gehört nicht auf den Jahrmarkt. Umso mehr blieb der schön nostalgische Släpstick-Song „Fairground“ im Ohr.