Hamburg. Vor 50 Jahren wurde Boy Gobert Intendant des Thalia Theaters. Die Anfeindungen von Kollegen und Medien hielt er zehn Jahre aus ...

Nicht nur älteren Hamburgern ist der Name Boy Gobert ein Begriff. Gobert, der vor 50 Jahren, am 1. August 1969, Intendant des Thalia Theaters wurde, hat dieser Bühne einen so starken Stempel aufgedrückt, dass von seiner rund zehn Jahre dauernden Intendanz heute immer noch fast mit Ehrfurcht gesprochen wird – und das sogar generationsübergreifend. Doch die hohe, weitgehend uneingeschränkte Anerkennung, die diesem Ausnahmekünstler rückblickend zuteil wird, hat es zwischen 1969 und 1980 in Hamburg so nicht gegeben.

Gobert, der mit dem Anspruch angetreten war, „aus einem zweiten Theater ein zweites erstes Schauspielhaus“ zu machen, war zwar ein Publikumsliebling, sah sich aber fast ununterbrochen Anfeindungen von „kritischen“ Kollegen, Kulturpolitikern und Journalisten ausgesetzt. Er hatte das Pech, dass seine Intendanz in eine Zeit aggressiv ausgetragener politischer Diskurse fiel, die in zunehmendem Maße auch die Theater erfassten. Zu seicht, zu bürgerlich war nun angeblich plötzlich das, was die Zuschauer nach wie vor begeisterte, Gobert biedere sich beim Publikum an, sei ein „Amüsieronkel“, hieß es.

„Man hat uns immer dafür angegriffen, dass wir einen anderen Weg gegangen sind“, sagte er gegen Ende seiner Hamburger Zeit in einem Interview. Intoleranz und Missachtung hätten ihn schwer getroffen, unendliche Grundsatzdiskussionen zermürbt. Dass er ursprünglich von der leichten Muse kam und in den 50er- und frühen 60er-Jahren in vielen seichten Unterhaltungsfilmen mitgespielt hatte, schien seine Gegner zu bestätigen: Dieser Intendant würde letztlich immer nur oberflächliches Theater bieten.

Gobert wollte nicht alle Moden mitmachen

Das Paradoxe dabei: Gobert selbst hatte das Thalia dem zeitgenössischen Regietheater geöffnet und Regisseure wie Peter Zadek, Hans Neuenfels und Jürgen Flimm geholt. Es war eben nicht so, dass Gobert die Veränderungen der Zeit nicht verstanden hatte. Allerdings war er nicht bereit, alle Moden mitzumachen – schon gar nicht, wenn die Zuschauer dafür in Scharen wegblieben.

Christian (Boy) Gobert war 1925 als Sohn des Kaufmanns Ascan Klée Gobert in Hamburg geboren worden. Der Vater wurde gleich nach dem Zweiten Weltkrieg für kurze Zeit Kultursenator, was dem Junior zeitlebens das Prädikat einbrachte, ein „Senatorensohn“ zu sein. Entscheidender ist, dass Ascan Klée Gobert sich auch als Schriftsteller sah und sowohl die kaufmännische als auch die künstlerische Ader seines Sohnes offenkundig entscheidend mitprägte. Sein Buch „Zacke und Loch“ über Hamburgs Großbürgertum um 1900 war weit verbreitet.

Sein „Richard III.“ geriet zunächst zu einem Desaster

Immer wieder wird die Anekdote kolportiert, Gobert senior habe dem Sohn geraten, lieber als mittelmäßiger Kaufmann in Hamburg gut zu leben, statt als mittelmäßiger Schauspieler zu dilettieren. Das liest sich lustig, aber niemandem ist bislang aufgefallen, dass hier ein Spannungsfeld vorgegeben wurde, das Boy Goberts spätere Arbeit ganz entscheidend prägte.

In seiner ersten Spielzeit lieferte Goberts Thalia ausschließlich Boulevardstücke, danach öffnete er die Bühne auch für Klassiker und zeitgenössische Werke. Während das Schauspielhaus im Laufe der Zeit durch Skandale und Skandälchen sowie einen massiven Zuschauer-Exodus Schlagzeilen machte, blieb Gobert unverdrossen seinem Stil treu. Das Thalia galt den selbst ernannten Kultur-Revoluzzern und ihren Fans in der Kulturbehörde und den Feuilletons bald als Hort der Reaktion.

Die bürgerlichen Zuschauer machten es sich in ihren Sitzen bequem und setzten den öffentlichen Angriffen gegen ihren Liebling nicht viel entgegen. Der wurde nicht zuletzt auch dafür attackiert, dass er Künstler und (Hamburger) Kaufmann in einem sein wollte, den Spagat zwischen Kunst und Kommerz zu schaffen versuchte. Dass die Abo-Zahlen des Thalia unter seiner Intendanz stiegen, wurde ihm entsprechend negativ ausgelegt – wie auch sein Versuch, ein „Optimum an Kunst und Kasse“ (O-Ton Gobert) hinzubekommen.

Keine Erfolge am Fließband

Die Kritik an Gobert mag in Teilen berechtigt gewesen sein. Auch er konnte keine Erfolge am Fließband liefern, brachte mit Inszenierungen wie „Die schöne Helena“ und – in Berlin – „Wallenstein“ auch Flops auf die Bühne. Sein „Richard III.“, bei dem das Premierenpublikum in verlegenes Gelächter ausbrach, geriet in den ersten Wochen zum Desaster. Man warf ihm vor, auf zu vielen Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen und dabei oftmals nur Halbgares abzuliefern. So schrieb der „Spiegel“ 1978 mit dem üblichen Sarkasmus, das Thalia Theater stehe „unter der dreifaltigen Leitung eines Bühnenstars, eines Regisseurs und eines Theatermanagers, die alle auf den Namen Boy Gobert hören“ (und) „in Hamburg vor allem eine Daueraufführung auf dem Spielplan hat – die, everybody’s darling zu sein“.

Doch die Art, wie diese Kritik vorgebracht wurde, muss heute irritierend wirken. Häme und Aggressivität haben Gobert, der gleichermaßen ehrgeizig wie sensibel war, schwer zugesetzt.

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge soll sich der Intendant 1980 von Hamburg verabschiedet haben. Bei einer internen Feier unmittelbar nach seinem letzten Auftritt im „Faust“, drückte ihm Kanzlergattin Loki Schmidt – wohl gleichermaßen Zeichen für Anerkennung, Solidarität und ein bisschen Trost – einen Lorbeerkranz aufs Haupt. Eilig verlieh man ihm noch die Medaille für Kunst und Wissenschaft. Mit den Tränen habe er beim Abschied gekämpft, schrieb eine Zeitung, aber in einem „Zeit“-Interview sprach der Künstler später mit Blick auf die Hamburger Jahre von einer „Horrorszene“. Auch seine Berliner Generalintendanz endete im Unfrieden. Gobert erfuhr Ende 1983 erst ganz kurzfristig, dass sein Vertrag nicht verlängert werden würde, und kritisierte später die Berliner Kulturpolitik ähnlich heftig wie einst die in Hamburg.

Anerkennung kam um Jahre zu spät

Als Boy Gobert, mittlerweile Intendant des Theaters an der Josefstadt, 1986 überraschend in Wien an Herzversagen starb – unmittelbar vor der Premiere seiner ersten Inszenierung –, überschlugen sich Hamburgs Feuilletons mit Lob für den „großen Sohn der Stadt“. Jürgen Flimm, einer von Goberts Nachfolgern und zeitweise einer seiner schärfsten Kritiker, bedauerte später: „Er konnte nur sein Theater machen; wir besserwisserischen Geisterreiter auf den Wellenkämmen des Zeitgeistes wollten dies nicht erlauben.“

Manche mögen es damals ähnlich gesehen haben – die Zeiten hatten sich geändert. Doch für Boy Gobert kam diese nun plötzlich so uneingeschränkte Anerkennung in Hamburg um Jahre zu spät.

Sein Grab befindet sich in Wien.