Hamburg. Die Bühne erhält die mit 50.000 Euro dotierte Auszeichnung unter anderem für den vierteiligen Kempowski-Zyklus.

Die Idee klingt erst einmal simpel. „Wir spielen Bücher“, verkündet das Altonaer Theater seit einigen Jahren. Also: keine genuine Theaterliteratur, sondern Romane. Bestseller am liebsten. Titel, die das Publikum kennt und für die es – so die Hoffnung – schon darum gern Karten kauft. Das ist kein Makel, und das tun natürlich auch die großen Staatsbühnen: Houellebecq und Tolstois „Anna Karenina“ (wenn auch „mit anderem Text und auch anderer Melodie“) am Schauspielhaus, Siegfried Lenz, Herman Melville, Fontane am Thalia Theater.

Und es zahlt sich aus, wenn man es richtig anpackt. So hat nun vor allem ein Projekt des Altonaer Bücher-Mottos ganz entscheidend dazu beigetragen, dass Axel Schneiders Haus in diesem Jahr Hamburgs höchstdotierte Bühnenauszeichnung erhält, den Barbara-Kisseler-Theaterpreis, verbunden mit 50.000 Euro: „Getreu seinem Motto ‚Wir spielen Bücher‘ hat sich das Altonaer Theater mit den sechs Romanen aus Walter Kempowskis ‚Deutscher Chronik‘ an ein literarisches Monumentalwerk gewagt“, lobt der oder die anonym bleibende Juror oder Jurorin den Schwerpunkt dieser und der kommenden Altonaer Saison.

Außergewöhnliches Zeitdokument

„Mit seiner vierteiligen Theaterfassung hat Intendant Axel Schneider ein außergewöhnliches Zeitdokument auf die Bühne gebracht, das mit großem erzählerischen Bogen, prägnantem szenischen Zugriff und glaubwürdigen Charakteren deutsche Geschichte in deutschen Geschichten aufspürt.“ Neben den regulären Inszenierungen „Baskerville“, „Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ und „Absolute Giganten“ (nicht nach einem Roman, sondern nach dem gleichnamigen Kultfilm) war der Kempowski-Reigen der dramaturgische Kern der Spielplangestaltung, eine bewusst gewählte „lange Reise“, wie Schneider es zum Auftakt selbst formuliert hatte – und eine enorme künstlerische wie auch ökonomische Herausforderung für eine Privatbühne.

Der vierte Teil, „Herzlich willkommen“, war bereits im Rahmen eines Kempowski-Marathons gezeigt worden, die offizielle Premiere des Finales findet am 20. September statt. Kultursenator Carsten Brosda (SPD), nach dessen 2016 verstorbener parteiloser Vorgängerin der Preis benannt ist, lobte die „hervorragende Wahl des unbekannten Jurors oder der unbekannten Jurorin“. Das Altonaer Theater, in dem regelmäßig die Eröffnung der (ebenfalls von Axel Schneider initiierten) Privattheatertage stattfindet, sei „eine große Bereicherung für das vielfältige Angebot der Kulturstadt Hamburg“, die Auszeichnung zeige „auch im Rückblick auf die letzten Entscheidungen“ die Vielfältigkeit der hiesigen Theaterlandschaft.

Auch Henrike Reemtsma zeigte sich zufrieden

Die ersten beiden Kisseler-Preise waren 2017 an die freie Kindertheatergruppe Kirschkern & Compes und 2018 an das Lichthof-Theater gegangen. Auch Henrike Reemtsma von der Hermann Reemtsma Stiftung, die die Auszeichnung auslobt, zeigte sich zufrieden: „In der Spielzeit 2018/19 ist das Altonaer Theater voll ins Risiko gegangen, künstlerisch und wirtschaftlich. Eine vierteilige Kempowski-Saga, das hätte auch schiefgehen können“, erklärte sie. „Am Ende stand ein großer Erfolg.“ Intendant Axel Schneider, der bei allen vier Kempowski-Teilen selbst Regie führte, freute sich über die Wertschätzung: „Das kam wirklich überraschend. Große Freude! Wenn das, was wir geleistet haben, so ankommt, macht das natürlich Mut für Weiteres.“