Hamburg. Pedro Almodóvars Komödie „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ erlebt als Musical im Altonaer Theater umjubelte Premiere.

Temperaturen auch am Wochenende um die 30 Grad – da liegt sogar in Hamburg der Gedanke an eine Gazpacho nah. Die kalte, gern auch würzige spanische Suppe aus püriertem Gemüse wird zunächst bis Anfang September im Altonaer Theater serviert – zumindest auf der Bühne und mit einem ungewöhnlichen Zusatz: Valium.

So verrückt ging es schon vor 30 Jahren in Pedro Almodóvars Kinofilm „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ zu. Und so verrückt ist auch die Musical-Fassung in Altona, die im klimatisierten Saal an der Museumstraße eine stürmisch umjubelte Premiere feierte. Franz-Joseph Dieken hat sich weniger am 2010 uraufgeführten Broadway-Musical orientiert. Vielmehr liegt Madrid nun in Hamburg, frei nach dem neuen Motto des Altonaer Theaters: „Wir spielen auch Drehbücher“. So lässt der The­aterregisseur mit seinem Team bewusst Reminiszenzen an die späten 80er-Jahre aufkommen, als Spaniens inzwischen Oscar-prämierter erfolgreichster Filmregisseur Almodóvar mit seiner schrillen Großstadtkomödie auch hierzulande seinen Durchbruch erlebte.

Die Kulisse: Sitzgruppen und Telefone mit Schnur

Die leicht schräge Altonaer Bühne mit drei Sitzgruppen und mit mehreren Telefonen, allesamt mit Schnur, Tasten oder Wählscheiben, sind in der Ausstattung von Yvonne Marcour und Sabine Kohlstedt das sichtbare Retro-Indiz. Handys gab es damals noch nicht, wohl aber schon Anrufbeantworter, kurz AB. In dieser schönen Kulisse scheint Pepa den Boden unter den Füßen zu verlieren: Ihr Geliebter und Kollege Iván hat per Nachricht auf dem AB mit ihr Schluss gemacht. Pepa jedoch, von Beruf Schauspielerin und Synchronsprecherin, ist schwanger. Daraufhin startet die Mittdreißigerin, die bis dato fest im Leben steht, ihre Art Rachefeldzug – da muss in ihrer Wohnung nicht nur das eine oder andere Telefon mitsamt Schnur dran glauben ...

Lisa Huk spielt die Pepa mal als erboste Furie, indes auch als feminine und nachdenkliche Emanze. Ihre Figur hat bei aller Komik als einzige auch Tiefe und Brüche. Das ist gut gespielt, bei manchen Liedern sogar noch besser gesungen, etwa im Duett „Lüg mich an“ mit Iván. Dirk Hoener gibt den Möchtegern-Galan gekonnt als überheblichen Mittfünfziger, der zu wissen glaubt, was Frauen wollen, und seine Gitarre fast so sehr liebt wie die Damenwelt.

Scheidung im Wohnzimmer

Dumm nur, dass Pepa Iváns Doppelleben entlarvt und alsbald Lucia als herrische Ehefrau und Mutter des gemeinsamen erwachsenen Sohnes ins Spiel kommt. Als solche heimst Katrin Gerken mehrmals Szenenbeifall ein, kulminierend in einer grotesken Scheidungs-Gerichtsverhandlung in Wohnzimmer-Kulisse mit der Forderung: „Ich will meine Zeit zurück, 20 Jahre!“

Die Dialoge haben es in „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ ohnehin in sich, ihr Wortwitz trägt zum Tempo des Stücks bei. „Candela, du bist das klügste Model, das ich kenne“, sagt etwa Pepa zu ihrer Freundin. „Echt!?“, antwortet die von Angesicht zu Angesicht, nachdem sie zunächst verzweifelt Anschluss unter Pepas Telefonnummer gesucht hatte. Sie hat sich mit einem schiitischen Terroristen eingelassen und ist nun auf der Flucht vor der Polizei. Sophia Gorgi spielt die mannstolle Suizid-Kandidatin Candela ebenso überzeichnet wie Joseph Reichelt den Terroristen und auch einen Taxifahrer, der Pepa mehrmals durchs hektische Madrid chauffiert – in der Altonaer Kulisse auf einem Sessel mit Rollen. Auch Madeleine Lauw als von Pepa engagierte feministische Anwältin Paulina überzeugt.

Der erfahrene Theatermann Dieken, in Altona bereits für das Musical „Backbeat – Die Beatles in Hamburg“ und die Adaption des Films „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ verantwortlich, hat „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ als Screwball-Komödie angelegt. Bis auf ganz wenige Szenen im finalen zweiten Akt besticht die Rasanz seiner Inszenierung; man folgt dieser absurd-konstruierten Geschichte als Zuschauer großteils gespannt und äußerst amüsiert.

Einschlafen tut hier niemand

Der Song „Chaos pur“, wie die meisten Lieder von Latino-Rhythmen geprägt, drückt eigentlich alles aus. Doch fügen sich alle 14 Titel, die der musikalische Leiter Jens Wrede arrangiert hat, in die Handlung ein. Die von Sven Niemeyer entwickelten und von den beteiligten Schauspielern klasse umgesetzten Choreografien sind das optische Sahnehäubchen des Abends.

Und ganz nebenbei erfährt man – als ein Running Gag des Stücks und zu Klängen von Beethoven –, wie viele Darsteller in eine Telefonzelle passen: sechs, sieben oder sogar (beinahe) alle acht.

Bliebe noch die Sache mit der kalten spanischen Suppe. Wie sagt Pepa in einer Szene in ihrer Wohnung doch so schön: „Für eine Gazpacho ist es nie zu spät.“ Dass die Valium-Suppe nicht wie geplant Iván, sondern andere auslöffeln, steht auf einem anderen Blatt. Einschlafen wird bei diesem Stück kaum jemand.

„Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ wieder Do 1.8., 20.00, bis 1.9., Altonaer Theater (S Altona), Museumstraße 17, Karten zu 36,- bis 56,-: T. 39 90 58 70; www.altonaer-theater.de