Hamburg. Stück über gescheiterten SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz eröffnet Privattheatertage – einige Zuschauer gingen schon in der Pause.
Gewinnen macht Spaß, verlieren weniger. Doch Gewinner sind oft langweilig – Verlierer bieten den besseren Stoff für Komödien. Martin Schulz war laut einer Umfrage der „Verlierer des Jahres 2017“ , das Buch des „Spiegel“-Reporters Markus Feldenkirchen über „ein Jahr zwischen Höhenflug und Absturz“ 2018 ein Bestseller. Und "Die Schulz-Story" galt als bühnenreifes Sujet, um das sich Regisseur Christof Küster als Erster bemühte.
Im März dieses Jahres hatte das Stück in seinem kleinen Studio Theater Stuttgart Uraufführung gefeiert, am Dienstagabend eröffnete es die achten Privattheatertage in Hamburg: im ausverkauften Altonaer Theater, zwar nicht in Anwesenheit gescheiterter Kanzlerkandidaten und SPD-Vorsitzender, jedoch im Beisein des Autors Feldenkirchen und des Hamburger Kultursenators Carsten Brosda (SPD), der in seinem Grußwort mahnte: „Nehmen wir die demokratischen Politiker ernst mit all ihren Fehlern, die sie haben.“
Welche Fehler Schulz und insbesondere seine von immer neuen Meinungsumfragen getriebenen Berater im Bundestagswahlkampf 2017 machten, zeigt "Die Schulz-Story". „Gott bin ich müde, so unfassbar müde“, stöhnt der Protagonist. Ob er jemals wieder fit werde, zweifelt Martin Schulz an sich. Aus dem Hintergrund ertönt Karnevalsmusik der Black Föös. Es ist Rosenmontag 2018: An jenem für Rheinländer wie ihn eigentlich so fröhlichen Tag wird er auch den Verzicht auf das ersehnte Amt des Außenministers erklären (müssen). Auf Druck aus den eigenen Reihen.
Sebastian Schäfer verkörpert Martin Schulz
Schulz, knapp ein Jahr zuvor mit 100 Prozent zum neuen SPD-Chef gewählt, ist da bereits Ex-Kanzlerkandidat, ein paar Tage später wird der einstige „Sankt Martin“ („Der Spiegel“) auch Ex-SPD-Chef und nur noch einfacher Bundestagsabgeordneter sein. Der Schauspieler Sebastian Schäfer, Schulz in Gesicht und Statur stark ähnelnd, verkörpert den Politiker mit all seinen zunehmenden Selbstzweifeln überzeugend, bis hin zu dessen Gangart. Schäfer, Moritz Brendel (als ins Stück integrierter Kommentator Feldenkirchen) und den vier weiteren Schauspielern gilt am Ende der größte Beifall. Sie sind auch als Sigmar Gabriel, Hubertus Heil und Andrea Nahles zu erleben.
Dramaturgische Schwächen und Längen im ersten Teil
Indes hatten einige Besucher das Altonaer Theater da schon zur Pause verlassen. Die fast dreistündige Inszenierung Küsters, dessen Bühne bei den Privattheatertagen in der Vergangenheit schon in allen drei Kategorien Komödie, (Zeitgenössisches) Drama und (Moderner) Klassiker ausgezeichnet worden war, hat trotz vieler Szenenwechsel insbesondere im ersten Teil einige Längen und dramaturgische Schwächen.
Zu sehr orientiert sie sich in der Kulisse von verschiebbaren Stellwänden und Pulten an Feldenkirchens Buch. Doch eine starke Langzeit-Reportage macht noch keine gute Theaterfassung, seien die Blicke hinter die Kulissen noch so entlarvend.
Erst nach der Pause wird halbwegs klar, weshalb die Jury „Die Schulz-Story“ für den Bereich Komödie nominiert hat. Da entsteht Situationskomik, wenn sich der Kandidat beim ungeliebten Fotoshooting müht oder beim Einsprechen eines Wahlwerbespots versucht wird, ihm seine rheinisch gefärbte Mundart abzutrainieren – und es bei ihm doch meist „mantsche“ statt „manche“ Menschen heißt.
Es menschelt dann noch in diesem Polit-Lehrstück
Richtig aus der Haut fährt Schäfers Schulz beim zweitägigen Coaching fürs TV-Duell mit Angela Merkel; verzweifelt klagt er über sieben Monate „Kaputt-Beratung“. Hier gerät das Stück zur Farce. Weniger Würselen und mehr Wurst, also: programmatisches Fleisch – das wär es für Schulz gewesen.
Letztlich macht ihn nur Currywurst, da ist der überzeugte Europäer typisch deutsch, satt und glücklich. Die viel beschworene „Authentizität“ des Mannes aus der Kleinstadt bei Aachen wird im Berliner Politik-Betrieb aufgrund von schlechten und populistischen Strategie-Beratern stetig verwässert. Schulz erscheint so als Ex-Hoffnungsträger von der traurigen Gestalt. Bei all der Demontage menschelt es dann noch in diesem Polit-Lehrstück. Ersetzt Populismus politische Werte, ist Demoskopie wichtiger als Demokratie? Wir leben im Zeitalter der Mediendemokratie – und die ist verdammt schnelllebig.
Regisseur Küster ändert Schluss in Hamburg
Das musste auch Regisseur Küster erkennen: In Hamburg änderte er den Schluss. Zu Gilbert Bécauds Chansons „L’important c’est la rose“ teilte Andrea Nahles (Schirin Brendel), inzwischen ebenfalls Ex-SPD-Vorsitzende, den ihr zugedachten Strauß roter Rosen sogleich unter ihren Vorgängern Gabriel und Schulz auf. So, als sollten die sich an den Dornen die Finger piksen.
Vor Beginn der „Schulz-Story“ hatte sich Senator Brosda noch vom Bühnenbild mit Tor und Ball an den SPD-Bundestagswahlkampf 1998 und die damalige einfache Taktik eines Franz Müntefering erinnert gefühlt: „Wir stürmen über links, und in der Mitte steht Gerd Schröder und macht das Ding rein!“, hieß es damals. Ganz andere Zeiten waren das.