Hamburg. Beim Galaabend hatten auch Ehemann und Sohn der Primadonna einen Auftritt. Hamburger Publikum liegt Netrebko zu Füßen.

Wie sich doch die Debüts unterscheiden. Zweieinhalb Jahre nach der Eröffnung ist alles, was in der Sängerwelt Rang und Namen hat, in der Elbphilharmonie abgestiegen, oft mit hochkarätigen Kollegen zur Seite und ambitionierten Programmen. Nur die Primadonna assoluta Anna Netrebko hat sich bis jetzt Zeit gelassen und rückte gleichsam im erweiterten Familien- und Freundeskreis an, im Gepäck einen Galaabend.

Galas muss man mögen. Das Häppchenhafte, das viele Auf- und Abtreten, das Getuschel über die Garderobe, die Blitzlichter zur Unzeit. Diese hier hatte aber ein dramaturgisches Konzept, das über den handelsüblichen Wechsel von Schmachten und Höher-Schneller-Weiter-Koloraturen hinausging.

Netrebko brachte ihren Ehemann Yusif mit

Netrebko hatte nicht nur vier russische Sängerkollegen um sich versammelt – darunter ihr Ehemann Yusif Eyvazov, der sein Debüt kürzlich schon mal in kleinem Kreis im Kleinen Saal absolviert hatte – und als Sekundanten den Russen Pavel Klinichev am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen, auch die Musik war rein russisch.

Wie wir es von den Elbklassik Konzerten kennen, wartete das Programmheft zwar mit vielen bunten Bildern, aber wenig Text auf. Es beschränkte sich auf kurze Angaben zu den einzelnen Werken, verlor aber kein Wort zu den Hintergründen. Wie sinnfällig diese Gala konzipiert war, das war ihm nicht zu entnehmen. Sie schlug nämlich einen hübschen Bogen durch die russische Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts.

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Publikum begrüßt Netrebko mit Jubelrufen

Das begann mit der schmissig präsentierten Ouvertüre zu Michail Glinkas Oper „Ruslan und Ludmila“, einer Art klingendem Gründungsmythos des russischen Nationalempfindens, setzte sich mit Arien und Romanzen von Rimsky-Korssakow und Rachmaninow fort und endete mit Tschaikowsky. Der wiederum war damals als westlich orientierter Komponist gewissermaßen der musikalische Gegenpol zu Glinka. Ein bisschen schade. Aber was zählte, war natürlich in erster Linie Anna Netrebko.

Als die nach der Ouvertüre zum ersten Duett auftrat, wurde sie schon mit Jubelrufen begrüßt, winkte in die Runde und fasste ihre Kollegin, die Mezzosopranistin Agunda Kulajewa am Arm. Freundinnen unter sich. Die beiden schickten ein Duett aus Tschaikowskys „Pique Dame“ in den Saal, aus einem Atem heraus gesungen, perfekt synchron in den Schleifer und Verzierungen und kaum länger als ein genussvoller Seufzer.

In der Arie der Marfa aus der „Zarenbraut“ von Rimski-Korssakow verströmte die Netrebko dann das Rotgold ihres Timbres, führte ihre körperreiche, volle Tiefe vor und die Mühelosigkeit, mit der sie die höchsten Töne hielt und Phrasen immer noch weiterspann. Den jubelnden Beifall beantwortete Netrebko mit einer Drehung bei winkend erhobenem Arm.

Mit Winken allein hat noch niemand ein Publikum erobert

Es wurde überhaupt viel gewunken und sich viel um die eigene Achse gedreht an diesem Abend, so als wollten die Sänger das Kaufmann-Menetekel mit der Akustik bannen und bloß sichergehen, dass sie den ganzen Saal mit dem Wohllaut ihrer Stimmen erreichten. Das war bisweilen so schematisch, dass es an unfreiwillige Komik grenzte. Und mit Winken allein hat auch noch niemand ein Publikum erobert.

Yusif Eyvazovs Arie des Lenski aus „Eugen Onegin“ war jedenfalls nicht dazu angetan, Herzen zu brechen, so einfarbig und unraffiniert wie er sie gestaltete. Sein Tenorkollege Ila Selivanov machte es in der Arie des Levko aus Rimsi-Korssakows Oper „Mainacht“ aber auch nicht besser, und der Bariton Nikolay Kazanskij ließ es an Parfum und Raffinesse fehlen. Da musste sich schon Agunda Kulajewa hinstellen und, ganz ohne Drehung und fast unbegleitet, das Lied der Ljubaschaaus Rimski-Korssakows „Zarenbraut“ singen. Theatralische Gesten hatte sie nicht nötig, sie nahm sich die Zeit, den seelischen Regungen ihrer Figur bis ins Detail hinterherzuspüren. Das war ein in seiner künstlerischen Wahrhaftigkeit tief berührender Moment.

Die Blumen durfte Netrebkos Sohn übergeben

Bis zur Pause hatte Netrebko gerade mal drei kurze, wenn auch erlesene Nümmerchen absolviert. Kaum genug zum Warmwerden. Gala eben. Umso stringenter die zweite Konzerthälfte. Die stand nämlich ganz im Zeichen Tschaikowskys und verband Szenen und Instrumentalstücke aus „Pique Dame“, „Eugen Onegin“ und „ Iolanta“ zu einer zusammenhängenden musikalischen Erzählung.

Bei der Introduktion zu „Pique Dame“ fielen im Orchester ein paar Späne von der Hobelbank. Doch in der Szene zwischen Lisa und Hermann – ebenfalls aus „Pique Dame“ – schilderten die Musik Lisas Grauen genauso plastisch wie den Moment, in dem die junge Frau Hoffnung fasst. Auch Netrebko war im Ausdruck ganz bei sich und zog klanglich noch einmal ganz andere Register. Die Blumen durfte Netrebkos Sohn übergeben. Und als Zugabe, man lässt sich ja nicht lumpen, sangen sie alle miteinander „Midnight in Moscow“. Auf Russisch natürlich.

Das sagen die Zuhörer nach dem Netrebko-Konzert

Guido Breide aus Hamburg: "Sie haben alles auf russisch gesungen, das war gewöhnungsbedürftig. Aber wir fanden es großartig. Wir haben Anna Netrebko und ihren Mann schon in der Laeiszhalle gesehen und freuen uns sehr, sie jetzt hier in der Elbphilharmonie erlebt zu haben."

Willi und Mojgan Henrich aus München: "Es gehört schon Mut dazu, einen runden Saal zu bauen. Wir sind zum ersten Mal hier. Die Akustik ist toll, aber wenn die Sänger einem den Rücken zudrehen, hört man sie nicht. Wir haben hinter den Posaunen gesessen, die haben genau von uns weggeblasen."

Ulf Gehrckens aus Hamburg: "Alle Stimmen haben mir sehr gut gefallen. Ich bin ganz überrascht über Yusif Eyvazov. Ehemänner werden unterschätzt!"