Hamburg. Der Komponist und Electro-Minimalist kuratiert am Hafen die Reihe „Reflektor“. Nicht alle seine Gäste erreichen sein Niveau.
Die Seitentür öffnet sich, und Nils Frahm hüpft auf die Bühne der Elbphilharmonie. Er strahlt, winkt kurz in den ausverkauften Saal und nimmt dann hinter dem Harmonium Platz. Die Bühne ist voll gestellt mit verschiedenen Tasteninstrumenten: Ein Flügel steht dort, ein Fender Rhodes Piano, eine Orgel, verschiedene Synthesizer. Überragt wird diese Burg aus Klaviaturen von einem Turm, von dem aus Frahm seine Musik um elektronische Klänge erweitern oder verfremden kann. Von der Decke des Konzertsaales hängen schwarze Lautsprecher herunter, die man in der Elbphilharmonie sonst so gut wie nie sieht und die darauf hindeuten, dass es laut werden wird. Der Auftakt des Abends unter dem Titel „All Melody“ beginnt jedoch leise. „Harm Hymn“ heißt die erste Komposition. Durch dieses getragene Stück bei gedimmtem Licht verwandelt sich die Elbphilharmonie in eine Kirche. Nicht in einen mächtigen Dom, sondern eher in eine kleine hölzerne Dorfkirche irgendwo auf dem Lande.
Die „liebe Heimat an der Elbe“
Ein gut gewählter Auftakt an diesem Pfingstsonnabend. Doch die sakrale Stimmung wird bald abgelöst, als der Pianist mit der rechten Hand ein Piano spielt und in das nächste Stück hinüber gleitet. Gleich wird es laut und elektrisch.
Das gesamte Pfingstwochenende widmete sich die Elbphilharmonie in ihren beiden Sälen und den Kaistudios dem international gefeierten Künstler, für den sein Konzert ein Heimspiel war. Zwar lebt und arbeitet Frahm seit einigen Jahren in Berlin, doch aufgewachsen ist er in Bergedorf.
Als er sein Publikum nach 25 Minuten noch einmal herzlich begrüßt, spricht er von der „lieben Heimat an der Elbe“. Intendant Lieben-Seutter hat Frahm in der Reihe „Reflektor“ eine Spielwiese zur Verfügung gestellt, die er selbst kuratieren durfte. „Ich darf machen, was ich will“, sagt er und es klingt, als würde einem Kind ein Spielzeug-Paradies aufgeschlossen. Der wagemutige Klangtüftler ist zwar 36 Jahre alt, doch er hat sich in seiner Kunst und in seinem Auftreten eine spielerische Leichtigkeit bewahrt, die angesichts der Komplexität seiner Werke nicht selbstverständlich ist. „Ich hoffe, dass ich die richtigen Knöpfe drücke, es sind so viele“, sagt er selbstironisch mit Blick auf das hohe Mischpult hinter ihm.
Auch Devendra Banhart war in der Stadt
Sieben Konzerte gehören zu dieser „Reflektor“-Serie, nur eins bringt Frahms Musik zu Gehör. Nicht überraschend hat er Künstler eingeladen, die ebenfalls elektronisch arbeiten wie die finnischen Brüder Samu und Ville Kuukka, die sich The Gentleman Losers nennen, den Hamburger Gitarristen und Komponisten Martin Heyne, das Duo Schneider Kacirek. Doch Nils Frahm hat auch ein Faible für Songs. Der norwegische Sänger Erlend Øye und das italienische Gitarren-Trio La Comitiva beenden den Pfingst-„Reflektor“, und auch den texanische Folksänger Devendra Banhart hat Frahm nach Hamburg geholt.
Neben den Konzerten gibt es ein Rahmenprogramm. In Frahms Fall werden Filme gezeigt: Sebastian Schippers „Victoria“, Julian Rosefeldts „Manifesto“ und der Kurzfilm „Ellis“, für die Frahm die Filmmusik geschrieben hat. Außerdem präsentiert er eine Ausstellung mit Fotografien seines Vaters im Foyer der Kaistudios. Klaus Frahm zeigt mit der Serie „The Fourth Wall“ Innenansichten aus europäischen Theatern – sein Kamerablick geht von der Bühne in den Zuschauerraum und liefert so ungewöhnliche Blickwinkel.
Für den Bereich Pop steht an diesem abwechslungsreichen Pfingstwochenende in der Elbphilharmonie vor allem Devendra Banhart. Auch er musiziert im ausverkauften Großen Saal. Die Songs des Sängers aus Texas erinnern an den Hippie-Folk der 60er-Jahre, als junge Männer mit langen Bärten und wuscheligen Haaren nur mit einer Gitarre auf den Knien verträumte Liebeslieder sangen und Mädchen mit Blumen im Haar an ihren Lippen hingen. Nach fünf Liedern, die Banhart allein vorgetragen hat, gesellt sich der Gitarrist Noah Georgeson hinzu und macht die schmucklosen Songs spannender. Der Auftritt des Duos ha etwas von einem Wohnzimmerkonzert. Wirklich spannend wird es, als das siebenköpfige Streicher- und Bläser-Ensemble Stargaze sich hinter Banhart und Georgeson aufstellt und die puristischen Lieder mit neuen Klangfarben ausmalt.
Virtuose Melodien, flächige Sounds
Das Publikum beklatscht Banhart lautstark, aber der Applaus bei Frahms Soloauftritt einen Abend zuvor – ein Orkan. Das kundige Publikum feiert den unkonventionellen Klangkünstler für ein 135 Minuten langes Konzert, in dem Frahm zeigt, über welche enormen kompositorischen Fähigkeiten er verfügt. Viele seiner Stücke entwickeln sich aus einer minimalistischen Struktur. Mit seinem technischen Inventar schichtet Frahm verschiedene Rhythmen übereinander, spielt dazu virtuose Melodien und kreiert Klanggebirge oder flächige Sounds. Frahm arbeitet Musik: Er springt von Keyboard zu Keyboard, er dreht und drückt Knöpfe, bewegt sich im Rhythmus, stampft ihn manchmal mit dem Fuß wie ein Bluesmusiker. Am Ende dieses einzigartigen und umwerfenden Konzertes hüpft Nils Frahm unter tosendem Applaus von der Bühne. Die Magie seiner Musik wirkt lange nach.