Hamburg. “Lessons in Love and Violence“ ist eine finstere Geschichte über Macht. An der gelungenen Premiere hat der Dirigent großen Anteil.

Die gute Nachricht zuerst: Man muss kein promovierter Kenner der englischen Royals und der Verästelungen ihrer Intrigen im frühen 14. Jahrhundert sein, um den historischen Feinheiten dieser sehr eigenwilligen Oper zu folgen. Umstürze, Hinterlist und Gewalt bleiben Umstürze, Hinterlist und Gewalt – egal, ob sie in einer Burg passierten oder in einem cool ausgestatteten Designer-Palast mit Gemälden wie von Francis Bacon an den Wänden.

Wie bei seinem Vorgänger-Meisterwerk "Written on Skin", das im vergangenen November – leider nur konzertant – im Großen Saal der Elbphilharmonie beeindruckte, ist es Sir George Benjamin auch bei "Lessons in Love and Violence" mit bestechender Effizienz gelungen, einen vielschichtigen Stoff mit Wurzeln im Mittelalter schnörkellos, zeitgemäß und rasiermesserscharf zu erzählen. Dort alles Üble in dieser Kunst-Welt schonungslos und aktualisiert offenzulegen, ohne dabei unterkomplex zu werden. Nachdem das mit großer Spannung erwartete Stück im vergangenen Jahr in London uraufgeführt wurde, kam die internationale Auftragsarbeit nun zu einem der Paten-Häuser für das Deutschland-Debüt an die Staatsoper.

Eine fast schon lakonische Erzählform

Das Leben, Lieben und Meucheln rund um Edward II. ist durchaus speziell als Folie für eine eisige Parabel über Macht, ihre Parasiten und ihr Verderben, ein Trauerspiel, eine komplett verunglückte Familienaufstellung. Benjamins Stamm-Librettist, der Dramatiker Martin Crimp, hat dieses Elend, das sich fatal im Kreis dreht, in eine Erzählform gebracht, die fast schon lakonisch ist, aber bestens zu dem ständigen Gefühl leisen Unwohlseins passt, das Benjamins Orchesterapparat hervorruft, mit perfider Brillanz, aber weniger Überraschungen als in „Written…“.

Kaum ein zeitgenössischer Komponist ist derart clever beim Umgang nicht nur mit Tönen, gefühlten Tempi und Effekten, sondern auch mit den Haken und Ösen seiner Muttersprache. Benjamins Musik schmiegt sich so elegant und eng an seinen englischen Text, wie es sonst nur seinem Landsmann Britten oder Janacek im Tschechischen gelang. Doch man sitzt nicht so sehr wie bei „Written“, mit offenem Mund staunend, vor dem Ergebnis, weil die Musik diesmal etwas gediegener und gestriegelter wirkt, weil sich das Vokabular der Tonsprache eher variiert und weniger erneuert oder erweitert.

Nagano und Benjamin lernten bei Messiaen

Dass diese Musik so geschmeidig gut klang, wie sie geschrieben wurde, hat sie auch Generalmusikdirektor Kent Nagano zu verdanken, der Benjamins Arbeiten seit vielen Jahren gern ins Rampenlicht stellt. Beide gingen bei dem französischen Komponisten Olivier Messiaen in die Lehre, das prägt und verbindet. Und das hörte man in der detailgenauen Einsichtigkeit, mit der Nagano die Philharmoniker durch die Abgründe und Wendungen der Partitur lotste. Nagano war in dieser Dechiffrieraufgabe in seinem Element, das Orchester spielte gewissenhaft und mit süffiger Strenge.

Crimps König bleibt in diesem Königs-Drama namenlos, denn für Briten, die ihre Geschichts-Hausaufgaben gemacht haben, ist auch ohne Namensschild am „King“ glasklar, wer mit der pikanten Dreieckskonstruktion aus Monarch, seiner Königin Isabel und seinem Liebhaber Gaveston gemeint ist. Abgehoben, weltfremd leben die Herrscher im Hier und Jetzt in ihrer Luxus-Suite, die wohl auch eine Knast-Zelle ohne Gitter ist. Der König (feinsinnig gezeichnet und anmutig gesungen von Evan Hughes) hat nur Augen und Hände für den Earl of Cornwall (Gyula Orendt), die beiden sind zwei Herzen unter einer Krone. Schon die erste Szene mit dem versierten Synchronankleiden beweist das. Und während das Volk darbt und murrt, wirft die arrogante Monarchin vor den Augen der Aufständischen schon mal eine ihrer Perlen in Essig, um dem Pöbel voller Verachtung zu zeigen ist, wo dessen Platz ist im Unten und Oben.

Kunstvoll verwirbelte Orchesterzwischenspiele

Diese Sollen-sie-doch-Kuchen-essen-Mentalität der Blaublüter rächt sich jedoch, auch, weil die Oberhofschranze Mortimer (schön mies: Peter Hoare) am Thron-Bein sägt und des Königs toy boy umbringen ließ, um die Karten in diesem „House of Cards“ neu zu mischen. Zwischen die sieben Episoden (die gesamte Oper dauert gerade einmal anderthalb Stunden) hat Benjamin kunstvoll verwirbelte Orchesterzwischenspiele installiert, die Stückchen für Stückchen seine Könnerschaft beim Halten von Spannung bezeugen. In diesen Passagen wärmt die Musik beinahe schon durch heftige Reibung das Herz, während sie ansonsten eher cool die Szenen kommentiert.

Dass Regisseurin Katie Mitchell – auch sie mit ihrer Bühnenbildnerin Vicki Mortimer feste Größe in Benjamins Team – diese kleine Geschichte mit fiesen Männern und Frauen nur im königlichen Schlafzimmer spielen lässt, ist nur konsequent. Wo immer es Sinn macht, bremst Mitchell gemeinsam mit der Musik die Zurschaustellung der Unmoral die Bewegung kurz auf Zeitlupe ab.

Ein Hofknicks Richtung "Hamlet"

Mit einem Hauch von Shakespeare-Aroma verfeinerten Benjamin und Crimp ihr Drama weiter: Königin Isabel, deren penetrant in anstrengende Höhen gelegten Trauma-Töne bei Georgia Jarman bestens aufgehoben sind, taumelt wie Lady Macbeth ihrem finsteren Schicksal entgegen; die kurze Szene mit einem Lehr-Stück im Stück macht einen Hofknicks Richtung „Hamlet“. Und damit klar wird, dass niemand der Erwachsenen hier aus seiner maßgeschneiderten Haut heraus kann, installierte Mitchell als Überdruckventil eine stumme Königinnen-Tochter (Ocean Barrington-Cook) ins Drama. Sie ist es, die alles mitansehen, alles mitanhören muss; die nächste Herrscher-Generation wird es letztlich sein, die kurz vor dem Abblend-Schluss für einen letzten Moment der Stille vor einem Schuss verantwortlich ist. Alles zurück auf Los also, doch kein Happy End, nirgends.

Info

Weitere Termine: 10. / 12. / 18. April, jeweils 19.30 Uhr. Karten unter T. 356868. www.staatsoper-hamburg.de. Am 9. April (19 Uhr) und 11. April (21.15 Uhr) zeigt das Metropolis Kino Derek Jarmans Film „Edward II“ mit Tilda Swinton.