Hamburg. Headbanging: Polleschs „Probleme Probleme Probleme“ beschließt eine eigenartig höhepunktlose Schauspielhaus-Saison.

Es wird Theater gespielt. Das kennt man so noch nicht von René Pollesch, dass seine Schauspielerinnen nicht nur Thesenträgerinnen sind, sondern tatsächlich Figuren mit Leben füllen. Aber: In „Probleme Probleme Probleme“ am Schauspielhaus wird gespielt, wirklich gespielt. Sophie Rois etwa: Die spielt eine reizend überspannte Schauspielerin, die sich gegen die Technisierung der Kunst wehrt und stattdessen den Zauber des alten Theaters beschwört.

Marie Rosa Tietjen spielt ihr tief dekolletiertes Gegenstück, das sich wie ein Fisch im Wasser zwischen Mikroports und Videoscreens bewegt. Angelika Richter und Bettina Stucky spielen die Nebenfiguren, souverän, ironisch, beobachtend. Sachiko Hara spielt den Blick von außen. Und alle keifen, zetern, intrigieren, dass es eine Lust ist. Schauspielerinnen spielen hier Schauspielerinnen, die Distanzierung hält sich in Grenzen, aber das ändert nichts daran, dass „Probleme Probleme Probleme“ Rollen entwirft, tatsächlich: Es wird Theater gespielt. Und das ist neu.

Publikum verliert Überblick

Was schon ein bisschen älter ist: Pollesch entdeckt im Theateralltag Phänomene, die er mit der allgemeinen Entfremdung in der neoliberalen Gesellschaft kurzschließt. In „Probleme Probleme Probleme“ allerdings findet dieser Kurzschluss nicht mehr statt, der gerade mal eine gute Stunde dauernde Abend bleibt bis zum Schluss im Theater. „Diese Doppelvorstellungen machen mich ganz schön fertig!“, stöhnt Tietjens Figur zu Beginn, und das ist ein Satz, den jede Schauspielerin in der Tretmühle des Repertoiretheaters schon einmal entnervt gestöhnt hat.

Hier ist das allerdings in ein frappierend einleuchtendes Bild gesetzt: Barbara Steiners Bühne besteht aus zwei Theaterportalen, durch die die Schauspielerinnen immer wieder treten und stöhnen, wie sie die Doppelvorstellungen fertig machen. Ein großes Durcheinandergestöhne, bei dem erst das Publikum den Überblick verliert, wer sich gerade über was beschwert und dann die Schauspielerinnen. Wird jetzt eigentlich „Der Sommernachtstraum“ gespielt oder „Das Käthchen von Heilbronn“? Da kann man schon den Überblick verlieren, bei diesen ständigen Doppelvorstellungen.

Hochvergnügte Verwirrung

Arrangiert ist diese hochvergnügte Verwirrung als Versuchsanordnung, genauer: als Doppelspaltexperiment, ein 1802 erstmals durchgeführtes grundlegendes quantenphysikalisches Experiment, bei dem kohärente Wellen durch zwei schmale Spalte geschossen werden. Pollesch schießt entsprechend Schauspielerinnen durch zwei Bühnenportale, um zu beobachten, was das mit ihnen macht. „Nein!“, hyperventiliert Rois’ Figur an einer Stelle. „Das hier ist ein Theater! Ich brauche keine Experimente!“, ein hübscher Seitenhieb auf eine Bühnenkunst, die sich grundsätzlich als experimentell versteht. Und dann folgt wieder so eine brüllend komische Pollesch-Punchline, wenn Rois weiter zetert „Ich dachte, wir spielen hier ,Sommernachtstraum‘ und nicht ,Wer hat Angst vor Werner Heisenberg‘“, und Tietjen darauf mit der Souveränität der Besserwisserin „Nils Bohr“ antwortet.

Das ist lustig, die gesellschaftspolitische Schärfe früherer Pollesch-Arbeiten erreicht es allerdings nicht. Spätestens als das Geschehen per Live-Kamera (Video: Ute Schall) gedoppelt wird, hat sich der Abend vollkommen ins Selbstreferentielle verabschiedet. Ein Großteil der Handlung findet mittlerweile in einer Gewächshauskulisse (Sommernachtstraum! Endlich!) auf der Hinterbühne statt und wird zum Kommentar auf die Theatermode Live-Film, die ein gehypter Regisseur wie der Dortmunder Intendant Kay Voges kürzlich am Schauspielhaus mit „Die Stadt der Blinden“ zu Meisterschaft brachte. Rois wehrt sich: „Ich hasse Stücke mit Leinwand!“, aber sie muss aufpassen, wenn sie solche Positionen vertritt. „Na, hoffentlich bekommt sie dafür nicht Applaus von der falschen Seite.“

Headbanging zu ohrenbetäubendem Bluesrock

Pollesch hält dem Schauspielhaus mit „Probleme Probleme Probleme“ als letzter großen Premiere der (eigenartig höhepunktlosen) Saison einen Spiegel vor: Gezeigt wird ein Theater, das experimentell sein will, sich dabei aber im Kleinklein verliert. Das ist selbstkritisch, witzig, virtuos, das besteht nicht zuletzt aus großartigen Horrorminiaturen wie Haras abgründigem Headbanging zu ohrenbetäubendem Bluesrock. Aber es dreht sich im Kreis: „Probleme Probleme Probleme“ ist das erste Stück Polleschs, das nichts mehr über unsere Welt zu sagen weiß und nur noch über die Kunst. Es wird Theater gespielt, und zwar atemberaubendes. Schade eigentlich.

Wieder am 20. und 24. 4., 3., 14. und 23. 5., Deutsches Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter 248713 oder www.schauspielhaus.de

Stimmen aus dem Publikum

„Das Stück machte ganz großen Spaß. Aber mal ehrlich: Der Abend hätte keine Minute länger sein dürfen. Noch ein bisschen länger, und es wäre langweilig geworden.“ Birgit Wagner, Hoheluft

„Ich verstehe nichts von Physik, dieses Experiment, das da beschrieben wurde – gibt es das eigentlich wirklich? Aber wahrscheinlich war das auch gar nicht wichtig. Die Schauspielerinnen jedenfalls waren toll, alle fünf.“ Steffen Meier, Hohenfelde

„Sophie Rois kann ja alles spielen, das ist immer grandios. Aber die anderen Schauspielerinnen waren auch sehenswert. Ob das Stück jetzt das beste von Pollesch ist, da habe ich meine Zweifel, aber, gut, anschauen sollte man es sich trotzdem.“ Mara Feist, Schanzenviertel