Hamburg. Stefan Bachmann verbindet „Coriolan“, „Julius Cäsar“ sowie „Antonius und Cleopatra“. Der Shakespeare-Marathon überzeugt.

Das antike Rom hatte einen magischen Klang. Der Volkswille zählte. Doch die Republik war bedroht von Feinden von außen wie im Inneren. Drei erstaunlich aktuelle Geschichten über Macht erzählt Regisseur Stefan Bachmann in seinem klug eingedampften Shakespeare-Kurzmarathon „Rom“ im Thalia Theater.

Macht erscheint hier als ein schwankendes (Männer-)Geschäft. Und die Bühne von Olaf Altmann, eine sich mal nach links, mal nach rechts senkende Schräge in marmoriertem, antiquiertem Gold, verdeutlicht ihre Gewichtsverschiebungen in einem so einfachen, wie klaren Bild. Bachmann und sein Dramaturg Matthias Günther haben aus der Fassung des früheren Thalia-Dramaturgen John von Düffel mit „Coriolan“, „Julius Cäsar“ und „Antonius und Cleopatra“ die drei nochmals verknappten Akte „Verachtung“, „Verrat“ und „Vernichtung“ destilliert.

Thomas Niehaus ist als Cajus Marcius Coriolan, ein erfolgreicher Feldherr, eine schon zu Beginn blutverschmierte Schlachtmaschine, die eigenen Instinkten folgt und damit die Volkstribunen irritiert. Coriolan selbst, aber auch sein Widersacher Aufidius saugen an den vielen Brüsten, die Nicki von Tempelhoff trägt, als Mutter Volumnia eine urwüchsig zerzauste römische Wölfin. Volkstribun Brutus (Jirka Zett) hat Bedenken, ob Coriolan sich, sollte das Volk ihn zum Konsul erwählen, auch an das vorgesehene demokratische Drehbuch hält. Es herrscht Populismus gegen „die da oben“, die leeren Versprechungen der Mächtigen, die „satten Herren im Senat“, eine Sehnsucht nach dem starken Mann und zugleich die Furcht vor dessen Volksverachtung.

Der Mächtige hat einen gefährlichen Beigeschmack

Den großen Dichter und hellsichtigen Menschenkenner William Shakespeare trieben diese heute wieder erschreckend verbreiteten Gedanken schon damals um. Der Mächtige, der mithilfe seines Amtes alle übrigen Ämter abserviert und die Despotie nach sich zieht, das hat einen historisch gefährlichen Beigeschmack.

Bachmann setzt in diesem ersten Akt auf Deklamation Richtung Publikum, auch auf chorischen Gesang zum Live-Orgelspiel von Sven Kaiser. Auf eine klare Trennung von oben und unten, in der sich auch Nichtkenner antiker Verhältnisse zurechtfinden. Die Kostümbildner Jana Findeklee und Joki Tewes haben die Volkstribunen statuengleich weiß gekalkt und in rohes Fell gekleidet. Der gnadenlos ehrliche Coriolan kann nicht anders, als das Volk und die „Schwarmdummheit“ zu verhöhnen – es kostet ihn Macht und Leben.

Und schon sind wir Hunderte Jahre weiter. Jirka Zett ist jetzt ein anderer Brutus, jener der den Verrat an Julius Cäsar anführt. Aufgestachelt von Brutus’ aasigen Bruder Cassius (Merlin Sandmeyer) verbirgt sich die Meuchlertruppe in glänzenden Anzügen hinter antiken Masken. Und wieder geht die Angst um, dass der beliebte und weithin geschätzte Herrscher Cäsar, den Thomas Niehaus hier gänzlich sprachlos aber gestenreich gibt, die Macht missbrauchen könnte. Dieser Mittelteil ist der wortreichste, konzentrierteste der drei. Er setzt wenig auf Bewegung, sondern ganz auf Strenge und Rhetorik, doch dieser Wechsel der Spielform tut dem Abend gut.

André Szymanskis Marcus Antonius ist herrlich verlottert

Ganz in Shakespeares Sinne dürfte es auch sein, dass, Brutus’ Frau Portia (Sebastian Jakob Doppelbauer) von einem männlichen Darsteller gespielt wird. Den Tod Cäsars betrauert vor allem einer: Marcus Antonius. André Szymanski, viel zu häufig eher in der zweiten Reihe zu finden, spielt sich an diesem Abend allmählich und souverän ganz nach vorn. In seiner Trauerrede betont er die Ehrenhaftigkeit der Männer, die gute Gründe hatten, Cäsar mit Gewalt zu stoppen. Und lässt dabei elegant den Zweifel zwischen den Zeilen und aus seinem verwitterten Gesicht sprechen. Der Monolog leitet über in den dritten, finalen Akt.

Die Republik droht erneut zu scheitern. Schuld ist das dysfunktionale Triumvirat, nunmehr in aberwitzige Versace-artige Antik-Print-Kostüme gehüllt. André Szymanskis Marcus Antonius, jetzt herrlich verlottert als Junkie mit wirrem Blondhaar und verhängnisvoller Leidenschaft für die von Pascal Houdus gespielte Cleopatra, interessiert sich zu wenig für Politik und zu sehr für Suff und Liebesrausch. Auch Lepidus (Nicki von Tempelhoff) ist dem Alkohol verfallen.

Macht verkommt zur Karikatur

Wen wundert’s also, dass das junge, kapriziöse Bürschchen Octavius Cäsar, Adoptivsohn des großen Cäsar (Thomas Niehaus), die Chance zur Alleinherrschaft wittert. „Der einz’ge Sinn des Lebens ist es, so zu tun, als würde man sich lieben, während man sich an die Gurgel geht und küsst“, lässt Shakespeare den desillusionierten Antonius sagen. Hier verkommt die Macht zur Karikatur, wobei Stefan Bachmann den Sittenverfall genüsslich auskostet. Ein erneuter, folgerichtiger Bruch in der Ästhetik, wenn auch teils im Klamauk. Etwa wenn Niehaus vor dem Vorhang „Wo ist Antonius, wenn man ihn braucht?“ mit Kopfstimme singt. Oder wenn Merlin Sandmeyer als Bote mit Brett vor dem Kopf ständig vor die gleichen Wände laufen muss.

Bachmann hat in seinem Macht-Panorama „Rom“ eindringliche Bilder, verspielten Pop-Glamour und von den Schauspielern grandios gebändigte Textmassen fein ausbalanciert. Herausgekommen sind lehrreiche, zeitlose Polit-Intrigen, die über zweieinhalb Stunden mit szenischer und spielerischer Leichtfüßigkeit daherkommen, und dann sehr abrupt mit einer vereinsamten Cleopatra enden. Aber auch das ist nur ein Zeichen, dass die Geschichte weitergeht. Die Machtgierigen werden sich neu sortieren, Revolutionäre weiter selten die Früchte ihrer Revolte ernten. Es gilt, die Freiheit der Demokratie zu verteidigen.

Prädikat: sehenswert.

„Rom“ weitere Vorstellungen am 28.3., 2.4., 6.4., 7.4., 29.4., 2.5., jew. 19.00, 9.5., 19.30, Thalia Theater, Alstertor, Karten: T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de