Hamburg. Die Sängerin Suzanne Vega über ihre Rolle als Erzählerin in Philip Glass’ Minimal-Music-Oper und die wahre Botschaft des Stücks.
Kleine Pop-Quiz-Frage gefällig? Welches Musiktheater-Stück dauert in der Originalfassung ohne Pause schlanke viereinhalb Stunden, hat keine klar erkennbare Handlung und wer will, kann jederzeit zwischendurch raus und sanktionsfrei zurückkommen? Einzig mögliche Antwort: Philip Glass‘ erste, längste Oper „Einstein On The Beach“, 1976 von Bob Wilson in Avignon uraufgeführt. Seitdem eines der schillerndsten Einhörner der Musik des späten 20. Jahrhunderts – legendärer Ruf, praktisch nie zu sehen.
An diesem Sonntag in der Elbphilharmonie in Hamburg aber doch, in einer mehr als konzertanten Tour-Produktion vom Collegium Vocale Gent und dem Ictus Ensemble. Den Part der Erzählerin übernimmt Suzanne Vega, die Suzanne Vega, die ansonsten als Singer-Songwriterin („Luka“, „Tom’s Diner“) bekannt ist. Eine Überraschung ist das nur, wenn man noch nicht wusste, dass sie und Glass sich seit Jahrzehnten kennen und mehrmals gemeinsame Sachen gemacht haben.
Hamburger Abendblatt: Wie kamen Sie und Philip Glass zusammen und was kam dann?
Suzanne Vega: In den 70ern war ich Tänzerin, ich arbeitete mit verschiedenen Choreographen. Wir kannten alle die Musik von Steve Reich, und wir wussten von Glass und ebenso von seiner Minimal Music. 1984 erhielt ich meinen Plattenvertrag bei A & M. Die Frau, mit der ich ihn abschloss, war mit einem Mitarbeiter vom Philip Glass Ensemble verheiratet. Sie nahm mich 1984 zu einer „Einstein“-Aufführung mit und schlug mich für Glass‘ „Songs from Liquid Days“-Projekt vor. Ich traf Phil, er sah sich meine Texte an und der Rest ist Geschichte. Für einen Song auf meinem dritten Album schrieb er das Streicher-Arrangement, ich habe an einer seiner Filmmusiken mitgewirkt. Vor zehn, 15 Jahren fragte er mich, ob ich für ein Benefiz-Konzert in Brooklyn den „Einstein“-Schlussmonolog lesen würde. 2018 kam die Anfrage vom Ictus Ensemble für diese Produktion. Klar wollte ich.
Sie müssen es ja wissen: Worum geht es in diesem Stück, das ganz eindeutig keinen eindeutigen Plot hat?
Vega: Wir erkunden Physik, das Verhältnis von Raum und Zeit und wie relativ all das ist. Wenn Sie einmal eine „Einstein“-Aufführung erleben, werden Sie schon merken, wie relativ Zeit dort ist. Am Ende steht eine Geschichte darüber, wie grenzenlos die Liebe ist. Ich möchte gern glauben, dass das die eigentliche Botschaft des Stücks ist.
Wird man bei einer Aufführung nicht verrückt wegen des ständigen Zählens, um bei den ständigen Wiederholungen und Verschiebungen auch ja nicht aus dem Takt zu kommen?
Vega: Stimmt, ich muss immer nah am Stoff bleiben. Alles ist sehr präzise. Aber innerhalb dieser Präzision habe ich Spielräume: In den Noten mancher Passagen steht, ich soll sie remixen. Also: zunächst langsam und methodisch, dann spiele ich mit der Musik, den Worten, der Intonation, werde sexy, hysterisch… Außerdem: Ich bin Buddhistin und habe Gebete, die ich zweimal täglich laut aufsage. Das ist sehr meditativ, diesen Geisteszustand finde ich für mich in Philip Glass‘ Arbeit.
Ihre Tournee-Fassung ist deutlich kürzer als der Urtext, rund dreieinhalb Stunden. Auch dann können alle im Publikum bleiben oder gehen, wie es ihnen passt?
Vega: Ja. Manche kommen wieder, manche nicht. Und am Ende gibt es jedes Mal diese wunderbare Stimmung aus Freude und Befreiung.
Normalerweise ist es eher nicht nett gemeint, wenn jemand vorzeitig eine Show verlässt.
Vega: Mir hilft, dass ich die 1984 in New York die große Wiederaufnahme gesehen habe. Ich verstehe durchaus, wenn Leute gehen. Es ist nichts Persönliches. Ich mache einfach weiter im Text.
Die „LA Times“ nannte „Einstein“ damals „die wichtigste Oper der letzten 50 Jahre. Stimmt das, stimmt das für Sie immer noch?
Vega: Interessante Meinung. Auf jeden Fall ist „Einstein“ ein Einzelgänger, ein Einzelstück, dadurch wird das Stück so interessant. Es ist radikal, immer noch, polarisierend. Einige hassen es, andere verwirrt es, manche lieben es. Man muss immer ins Programm sehen. Wenn ma, die Stücke jedes Abschnitts kennt, erkennt man die Strukturen und die Bedeutungen. Das hilft, wenn man drin sitzt und sich fragt, was zur Hölle da eigentlich gerade passiert.
Wie szenisch ist Ihre Produktion? In der Elbphilharmonie steht Ihnen ja keine klassische Opern-Bühne zur Verfügung.
Vega: Diese Inszenierung hat den Untertitel „Musicians at work“. Es wird also eine Art Proben-Atmosphäre zu sehen sein. Die Bühnenränder sind so etwas wie ein Strand, wo sich die Ausführenden hinlegen, etwas lesen oder Sonnenbrillen tragen. Keine Tanzszenen, keine aufwendige Lichttechnik.
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Jetzt sind wir fast fertig und niemand von uns beiden hat bis jetzt die zwei Elefanten im Raum erwähnt: Ihre größten Hits „Luka“ und „Tom’s Diner“, beide aus dem Jahr 1987. Ist das ok für Sie?
Vega: Klar. Das macht mir nichts. Ich habe einen kleinen privaten Witz: Dass „Tom’s Diner“ auf gewisse Weise ein Beispiel für minimalistisches Songwriting ist, weil dieses kleine Motiv immer wieder kreist. Glass‘ Ideen haben mich jahrzehntelang beeinflusst. „Einstein“ kam 1976 heraus, „Tom’s Diner“ habe ich 1981 geschrieben. Es lag also in der Luft.
Konzert: 27. November, 19 Uhr, Elbphilharmonie. Großer Saal. Ausverkauft, evtl. Restkarten an der Abendkasse. Die Aufführung wird auf www.elbphilharmonie.de als Livestream übertragen.