Ob Weihnachten oder Nikolaus, Bestseller oder Geheimtipp: Die Abendblatt-Redaktion empfiehlt die heißesten Bücher für die kalten Tage. Hamburger Autoren und Geschichten spielen dabei eine große Rolle.

Hamburg. Die Bücher und der Winter, das ist eine unschlagbare Verbindung: Weil lesen immer noch einer der besten Indoor-Zeitvertreibe ist. Außerdem steht Weihnachten an – da muss etwas auf den Gabentisch. Warum nicht „das gute Buch“? Das Hamburger Abendblatt hat seine Experten Volker Albers, Thomas André und Armgard Seegers gebeten, für alle, die noch Geschenke suchen, eine Liste mit Literatur-Tipps zusammenzustellen. Kurz und knackig - klicken Sie sich durch.

Donna Tartt

Die Dicke eines Buches hat selten etwas über seine Qualität ausgesagt, schließt diese aber nicht aus. Das beste Beispiel ist Donna Tartts faszinierend opulent erzählter Abenteuer- und Bildungsroman „Der Distelfink“, der von der langen Reise des Theo Decker erzählt: Sie führt von New York über Las Vegas nach Amsterdam, sie handelt vom Verlust, vom Erwachsenwerden – und von einem wertvollen Gemälde, durch dessen Besitz Theo in kriminelle Zusammenhänge verwickelt wird. Man vergisst diesen Theo als Leser lange nicht: Hin und hergeworfen wird er von der Macht des Schicksals, gebannt folgt man ihm über 1000 Seiten (Goldmann Verlag, 24,99 Euro).

Sebastian Fitzek

Er bringt Menschen zum Lesen, die sonst kein Buch zur Hand nehmen, sagt sein Verlag: Sebastian Fitzek ist der Popstar unter den Thrillerautoren, er ist ein Phänomen, das mit der Lust am Grausamen spielt. Das war bei seinem Debüt „Die Therapie“ (2006) so, das ist bei seinem aktuellen Thriller „Passagier 23“ nicht anders. Fitzek, 43, erzählt die Geschichte des Polizeipsychologen Martin Schwartz, der Jahre zuvor während einer Kreuzfahrt Frau und Sohn verlor. Wie sie verschwanden, weiß niemand. Seit diesem Vorfall hat Schwartz nie wieder ein Schiff betreten, bis er eines Tages den Anruf einer alten Dame erhält: Sie habe Hinweise darauf, was damals auf dem Kreuzfahrtschiff geschehen sei... Fitzek schreibt keine Hochliteratur, aber Spannung erzeugen kann er wie kein zweiter (Droemer, 19,99 Euro).

Jo Nesbö

Es gibt einen Haufen guter skandinavischer Kriminalschriftsteller - und es gibt Jo Nesbö. Weltweit bekannt gemacht hat den Autor und Rockmusiker seine Serie mit dem Ermittler Harry Hole.

In „Der Sohn“ nun schickt er einen anderen Kommissar ins Rennen: Simon Kefas steht kurz vor der Rente und macht sich auf die Suche nach dem Polizistensohn Sonny, der aus dem Knast ausgebrochen ist. Sonny, der Junge mit dem freundlichen Lächeln, ist auf einem Rachefeldzug. An seinem Vater begangenes Unrecht gedenkt er auf seine Weise wieder gutzumachen. Jo Nesbö erzählt seine Story sprachlich verdichtet, mit überraschenden Wendungen, genau gezeichneten Charakteren und mit atemloser Spannung, die einen das Buch nicht zur Seite legen lässt. Große Kriminalliteratur (Ullstein, 22,99 Euro).

Stephanie Bart

Johann Rukelie Trollmann, der Boxer, der kein Herrenmensch war: Deshalb musste der zu der Volksgruppe der Sinti und Roma gehörende Sportler 1944 im KZ Neuengamme sterben. 1933, Im Jahr der Nazi-Machtergreifung, kämpfte Trollmann noch um die Deutsche Meisterschaft, weil er sich mutig gegen den Rassenwahn seiner Zeit stellte. Die Schriftstellerin Stephanie Bart erzählt in ihrem packenden Roman „Deutscher Meister“ von dieser Ausnahmegestalt der deutschen Boxgeschichte, von ihrem am Ende aussichtslosen Kampf – sowie dem Nationalsozialismus und dem, was er mit den Menschen machte (Hoffmann & Campe Verlag, 22 Euro). Trollmann ist vor der Roten Flora im Schanzenviertel ein Stolperstein gewidmet. Es gab bereits einen Film über sein Leben.

Joachim Lottmann

Sicher, der Humor von Joachim Lottmann, dem 1956 in Hamburg geborenen Autoren, ist für manche gewöhnungsbedürftig. Er nimmt es ja mit den Fakten nie genau, und seine Naivität ist so gespielt wie seine Bewunderung vieler Hervorbringungen des Zeitgeists. In seinem neuen Roman „Endlich Kokain“ rückt er mit parodistischen Mitteln der Wirklichkeit der Kunstwelt zu Leibe – und beschreibt den Celebritywahn szenegeiler Metropolenbewohner und die eitle Durchgeknalltheit der Kunstmenschen. Mittendrin: Stephan Braum, der biedere und nach einer selbstverordneten Kokain-Diät nicht mehr dickleibige ehemalige Redakteur eines öffentlich-rechtlichen Senders. Witzigstes Buch des Jahres (KiWi Verlag, 9,99 Euro).

Ulla Hahn

Hilla Palm ist wieder da: Ulla Hahns Romanheldin, die viele Gemeinsamkeiten mit ihr selbst hat, lebt im dritten Teil der Lebensbeschreibung in Köln – und befindet sich mitten im Aufbruch einer Generation, die Autoritäten in Frage stellt und mit kritischem Blick auf die Welt sieht.

Die Freude am kulturellen Leben, die Lust am Lebensgenuss, die Liebe zu Hugo – Hillas Jungsein ist eine Feier des Lebens, aber ihre Ziele verliert sie nie aus den Augen. Die Hamburgerin Ulla Hahn erzählt in „Spiel der Zeit“ rasant von den Twentysomething-Jahren der jungen Frau, die sie war – und den wilden Sechzigern (DVA, 24,90 Euro).

Lutz Seiler

25 Jahre nach dem Mauerfall legt Lutz Seiler seine Version des Wenderomans vor: „Kruso“ spielt auf Hiddensee, wohin sich Sozialismus-Aussteiger zurückzogen, wenn sie ihrem Land so halbwegs entkommen wollten. Auf Hiddensee lebt man wie in einer Kommune, Honecker und die SED scheinen aber weit weg. Manch einer versucht die Republikflucht – und ertrinkt in der Ostsee. Den Aussteigern und Ausreißern setzt der vor allem als Lyriker in Erscheinung getretene Seiler in „Kruso“ ein sprachmächtiges Denkmal. Auf der Buchmesse in Frankfurt wurde er für seinen Roman mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet (Suhrkamp, 22,95 Euro).

Schmidt – Lenz: Geschichte einer Freundschaft

Ein letzter Gruß vom großen deutschen Autor Siegfried Lenz, wenn man so will: Die Geschichte seiner jahrzehntelangen Freundschaft mit dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, mit dem er das Zuhause-Sein in Hamburg teilte.

„Schmidt – Lenz. Geschichte einer Freundschaft“ beschreibt die Verbindung der beiden berühmten Männer, die Kunst und Politik zusammenbrachten. Jörg Magenau, der Verfasser dieses kundigen Bandes, traf Schmidt und Lenz mehrmals zum gemeinsamen Interview – und tauchte mit seinen Gesprächspartnern tief in die persönliche und die Geschichte der Bundesrepublik ein (Hoffmann und Campe, 22 Euro).

Karl Ove Knausgard

Wenn man sich wie ein Junkie auf ein Buch stürzt, dann muss es ein ganz besonderes sein. Besonders an den Romanen des Norwegers Knausgard ist die Absolutheit, mit der sich hier einer erinnern will – an schlichtweg alles. Besonders ist die Wahrhaftigkeit, mit der Knausgard sein Leben zu beschreiben scheint – so wahrhaft es eben geht. Der vierte Band seiner Autobiografie eines normalen Mannes heißt „Leben“ und taucht ein die späten Teenagerjahre Karl Oves, wirft aber dank der Vermischung der Zeitebenen immer auch einen Blick auf des älteren Knausgard: auf einen, der mit dem Leben zu kämpfen hat wie wir alle, immer wieder (Luchterhand, 22,99 Euro).

Michael Kleeberg

„Karlmann“ hieß Kleebergs erster Roman, in dem der Autor seinen Helden fünf Jahre lang durch das Auf und Ab seines Hamburger Mittelstandslebens in den achtziger Jahren spannungsreich begleitet hat. In „Vaterjahre“ ist Karlmann erwachsen und solide geworden, hat eine Ärztin aus dem Osten als Frau, zwei Kinder, einen gut bezahlten Job in einem Hamburger Traditionsunternehmen und lebt kurz nach der Jahrtausendwende. Und trotzdem lechzt er nach Prüfungen und Selbstbestätigung in seinem bürgerlich-arrivierten Normalleben. Kleeberg beschreibt sehr subtil, feinfühlig und mit viel Empathie Karlmann als modernen Jedermann zwischen Lächerlichkeit und Triumph. Er verwandelt ein durchschnittliches Männerleben in große Literatur (DVA, 24,99 Euro).

Dave Eggers

Dave Eggers' „Der Circle“ ist der Roman des Jahres, denn er beschreibt nicht nur, mit welcher Sorglosigkeit, ja sogar Freude junge Menschen ihre persönlichen Daten und Meinungen öffentlich machen und wie wir uns dabei alle um unsere Freiheit bringen. Er zeigt auch, wie die junge Mae zwischen Tweeds und Blogs und Feedbacks mit pausenloser Anwesenheit und ständiger Überwachung klarkommt. Sie findet es prima und spannend, uns Lesern kommt es eher furchterregend vor. Auch, weil vieles davon in unserem wirklichen Leben längst existiert. Mit "Der Circle" hat Dave Eggers einen hellsichtigen, hochspannenden Roman über die Abgründe des gegenwärtigen Vernetzungswahns geschrieben. Google, Apple, Facebook und Twitter bilden einen Kreis, der Hölle nicht unähnlich, aber als Himmel missverstanden (Kiepenheuer & Witsch, 22,90 Euro).

Robert Galbraith

Als vor einem guten Jahr „Der Ruf des Kuckucks“ erschien, begann schnell das Rätselraten, wer sich hinter dem Pseudonym Robert Galbraith verbergen könne.

Eine gezielte Indiskretion brachte es an den Tag: Joanne K. Rowling war es, die Harry-Potter-Erfinderin. Und es war ein äußerst gelungenes Krimidebüt, eine Detektivgeschichte, erzählt im klassischen Stil. Auch in „Der Seidenspinner“ geht's klassisch zu: Im Mittelpunkt des Geschehens stehen erneut der skurrile Prtivatdetektiv Cormoran Strike und seine rotblonde Assistentin Robin. Ihr Job: einen seit Tagen verschwundenen Romanautor zu finden. Offenbar ist er in seinem neuen Manuskript einigen Leuten allzu sehr auf die Füße getreten... Rowling zeigt auch in ihrem zweiten Krimi eine unbändige Lust am Fabulieren und am atmosphärischen Detail. Die Frau kann einfach Geschichten erzählen, spannende zudem. (Blanvalet, 19,99 Euro)

Wolfgang Herrndorf

Aus dem Nachlass Wolfgang Herrndorfs erschien 2014 das schönste Buch des Jahres: „Bilder deiner großen Liebe“. Noch einmal begegnen wir Tschick und Maik, seinen Kult gewordenen Pubertierenden. Aber viel reizender und bittersüßer ist die Heldin Isa, mit der Herrndorf der deutschen Literatur eine Vagabundin schenkt, wie sie sie bislang noch nicht kannte. Isa wandert durch eine traumverhangene Welt, durch Wälder, Dörfer, Müllkippen, über Flüsse und Fußballplätze. Sie trifft auf Menschen und bleibt doch immer allein in ihrer Welt des Transits – eine köstlich Verlorene (Rowohlt, 16,90 Euro).

Nino Haratischwili

Wie Tolstoi, nur moderner: Nino Haratischwilis saftige Georgien-Schwarte „Das achte Leben (Für Brilka)“.

Die in Hamburg lebende Erzählerin schlägt in ihrer Familiensaga einen Bogen von der zaristischen Ära über Stalin und das Sowjetimperium bis in die Zeit nach dem Fall der Mauer.

1280 Seiten, auf denen soviel passiert wie im Breitband-Kino-Epos, ach was, es passiert viel mehr: Liebe, Betrug, Mord, Verrat, Freundschaft – von Haratischwili in satten Farben geschildert. Ein Pageturner, in dem man sich viele Abende und Nächte lang verkriechen kann, ohne dass einem die Lektüre je beschwerlich oder gar langweilig vorkäme (FVA, 34 Euro)

Katja Petrowskaja

Wieder eine aus Osteuropa stammende Autorin, die auf Deutsch schreibt: Die Berlinerin Katja Petrowskaja spürt in ihrer Familienchronik „Vielleicht Esther“ ihren Vorfahren nach, die in Polen, Russland, der Ukraine lebten. Juden, die im Mahlstrom der gewaltvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts zerrieben wurden, Menschen, deren Biografien sie nur bruchstückhaft zusammensetzen kann. Sie recherchiert an den Orten und in den Archiven; sie verwebt Fäden miteinander, ohne dass daraus ein Stoff aus einem Stück entsteht. Romanhaft wird Petrowskajas Buch dann, wenn sie die Szenen von früher imaginiert: Wie diese, als die in der Ukraine wütende SS Petrowskajas Urgroßmutter kaltblütig erschießt (Suhrkamp, 19,95 Euro).

Alexander Schimmelbusch

Man stelle sich vor, Thomas Bernhard wäre gar nicht tot, sondern friste sein Dasein auf einer Urlaubsinsel. Und ein gut abgehangener, ein bisschen jämmerlicher Kulturjournalist, der sich in Suaden Bernhardscher Qualität hineinsteigern kann, kommt ihm auf die Schliche – das klingt vielversprechend. Alexander Schimmelbusch hat sich genau dieses Szenario in seiner Bernhard-Parodie „Die Murau Identität“ ausgedacht, einem furios-unverschämten und sehr komischen Buch, das Österreich, den Literaturbetrieb, die Medien und die Gesetze des Nachruhms aufs Korn nimmt (Metrolit, 18 Euro).

Gerhard Henschel

Martin Schlosser, das Alter ego des begnadeten Satirikers und Schriftstellers Gerhard Henschel, ist jetzt schon der Held von vier Romanen: der neue heißt „Bildungsroman“ und entführt den Leser in die Achtzigerjahre, in denen Martin in Bielefeld und Westberlin studiert, den Frauen hinterherjagt und hin und wieder auch in die Heimat fährt, ins Emsland. Eine Chronik der alten Bundesrepublik, detailversessen, ironisch, humorvoll, pointenreich. Henschels Sammelleidenschaft verewigt einen längst überholten Zeitgeist – und macht aus diesem Roman für viele Leser eine höchst nostalgische Angelegenheit (Hoffmann und Campe, 24,99 Euro).

Michele Serra

Zwischen Zärtlichkeit und Bissigkeit beschreibt Michele Serra einen modernen Eltern/Kind-Konflikt. Der Sohn liegt mit Kopfhörern, Laptop und Handy träge vor dem Fernseher, sein Zimmer ist vermüllt, er selbst modisch zurecht gemacht. Allerdings nur, wenn er ausgeht, von Mitternacht bis morgens. Der Vater und seine Freunde arbeiten, ohne Hilfe der nachfolgenden Generation, die sich völlig auf ihre eigenen Themen zurückgezogen hat. „Mit zehn Jahren füllte ich meinem Vater die Gießkanne, wenn er im Garten arbeitete“, sagt der Vater. „Heute wird mir bewusst, dass mir niemand mehr eine Gießkanne reicht. Eine Kette ist zerrissen“. Konsumierende Kinder online verbunden, nur nicht mit ihren einsamen Eltern. Mit „Die Liegenden“ hat Serra einen ergreifenden Roman geschrieben, in dem jeder sich und seine Kinder wiedererkennen kann (Diogenes, 16,90 Euro).

Karine Tuil

Die Französin Karine Tuil hat mit „Die Gierigen“ einen grandiosen Roman über Liebe und Lebenslügen geschrieben. Sie beschreibt präzise, schonungslos und hintergründig, wie man sich die Biografie seines Lebens zurechtbiegen kann.

Und zeigt vor allem, wie sehr der Wettbewerb unter einstmals Verbündeten, Liebenden zu Lüge, Hass und Betrug führen können. Nina, Samuel und Samir sind Freunde. Unzertrennlich träumen sie als Studenten von Idealen, ihrer Zukunft, dem Leben.

Samuel und Nina sind ein Paar. Doch dann begehrt Samir Nina. Und Nina auch ihn. Anfangs voller Schuldgefühle, dann im Rausch des Eros, später mit dem Gedanken, dass im Namen der Liebe alles erlaubt und richtig ist. Und natürlich, so ist es im Leben und nicht nur im Roman, gerät die Biografie der drei – oder zumindest die der beiden Männer – zwischen sie. (Aufbau, 19,95 Euro).

Chimamanda Adichie

In einer US-Studie wurde festgestellt, dass Nigerianer in den USA weitaus bessere Studienabschlüsse erreichen als alle anderen Afrikaner. Die gebürtige Nigerianerin Chimamanda Ngozi Adichie hat am eigenen Leib erfahren, wie unterschiedlich Schwarzsein in ihrer Heimat und in den USA wahrgenommen wird. Darüber hat sie einen fesselnden Roman geschrieben, „Americanah“, das bezeichnet eine Afrikanerin, die in die USA ausgewandert ist.

Es ist die Liebesgeschichte um die nigerianischen Königskinder Ifemelu und Obinze und gleichzeitig ein gewaltiges Exilanten-Epos um eine afrikanische Familie, die in Nigeria und der amerikanischen Ostküste lebt. Was für eine herrliche Mischung aus Lifestyle und Rassismuskritik. Adichies Roman, der in den USA preisgekrönt wurde, zeugt von universaler Menschenkenntnis - die in Nigeria und London genauso greift wie in den USA oder bei uns (S. Fischer, 24,99).