Hamburg. Die Sammlung Falckenberg zeigt eine „Literaturwurst“ – und das druckgraphische Werk Dieter Roths: „Gepresst Gedrückt Gequetscht“.
Im zweiten Stock der Harburger Sammlung Falckenberg hängt sie dann doch noch, ein wenig verschämt hinter einer Mauer: eine Literaturwurst. Der Künstler Dieter Roth war einst mit solchen Objekten bekannt geworden: Büchern, Zeitschriften, Texten, die geschreddert und mit Fett und Gewürzen in einen Darm gepresst wurden, in diesem Fall eine Ausgabe der Klatschzeitschrift „Neue Revue“. „Wenn Roth etwas verachtet hat, dann hat er es verwurstet“, beschreibt Kuratorin Ina Jessen die Literaturwurst-Praxis, und, tatsächlich, die Dinger sind so lustig wie sinnlich.
Nur sind sie in der Sammlung Falckenberg eben auch ziemlich selten. Weil die Ausstellung „Gepresst Gedrückt Gequetscht“ sich nicht auf das konzentriert, was man von Roth kennt, auf die ironische, berührende, auch ein bisschen eklige Kunst aus Lebensmitteln und organischem Material, das langsam vor sich hinsuppt.
Sondern auf das druckgrafische Werk des 1998 gestorbenen Künstlers. Das ist natürlich nicht so spektakulär wie die rottenden Objekte, die sich beispielsweise im vom Künstler selbst gestalteten und 2003 wegen Gesundheitsgefährdung abgerissenen „Schimmelmuseum“ an der Außenalster befanden – aber tatsächlich zieht sich Druckgrafik durch das gesamte Lebenswerk Roths.
Sammlung Falckenberg: Humor, Ekel und Lust auf Regelbruch
Immerhin, der Künstler war ausgebildeter Werbegrafiker, der schon Ende der 1940er-Jahre begonnen hatte, mit Linol- und Kaltnadelstichen zu arbeiten. Die von der Kunsthistorikerin Ina Jessen und Dirk Dobke, dem Präsidenten der Dieter-Roth-Foundation, kuratierte Schau beginnt entsprechend mit nahezu altmeisterlichen Drucken, Zirkusmotiven, die der damals gerade 18-jährige Roth anfertigte und in denen man schon erste Schritte in Richtung Abstraktion entdecken konnte, einer Abstraktion, hinter der sich der Humor des späteren Roth verbarg.
Mit der Gründung der Zeitschrift „Die Spirale“ (sowie mit Lithografien, die genau das zeigten, was der Titel versprach) ging der Künstler einige Jahre später weiter in Richtung Op Art, Konstruktivismus und Bauhaus, vor allem aber befreite er sich von den Begrenzungen der Grafik. Plötzlich fand Konkrete Poesie Eingang in seine Kunst, experimentierte er mit Künstlerbüchern, die das Kunstwerk in die Hände der Betrachtenden legten. „Es geht darum, sich den Veränderungsprozess zu erblättern“, beschreibt Kurator Dirk Dobke diese Phase.
Um von dort zu den sogenannten „Materialgrafiken“ zu gelangen: Ist es eigentlich noch ein Druck, wenn man eine Banane in die Druckerpresse legt? Lassen sich Wurstscheiben drucken? Bei Roth: auf jeden Fall. Als „romantisch“ bezeichnet Ina Jessen ein Bild, auf dem ein mildfarbiger Strahlenkranz an einen Sonnenuntergang denken lässt, in Wahrheit aber aus dem austretenden, ranzigen Wurstfett besteht.
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„Viel radikaler kann man Druckgrafik nicht verstehen“, beschreibt Dobke das ganz richtig, vor allem aber: Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zum Schimmel, zum Ekel, zur Hasenskulptur aus Exkrementen und zu den Gemälden aus Lebensmittelresten. Und schließlich auch zur Literaturwurst, die ja immerhin auch ein Pressobjekt darstellt. Druckgrafik ist das nicht mehr, aber der Titel „Gepresst Gedrückt Gequetscht“ passt trotzdem.
Die Ausstellung ist riesig
Die Ausstellung ist riesig: Rund 1000 Arbeiten verteilen sich auf vier Stockwerke, und auch wenn die etwas konventionelle Präsentation in der doch oft auf Schock und Spektakel setzenden Sammlung Falckenberg erst mal überrascht, ergibt sie Sinn: Immerhin 38 Roth-Werke sind Teil der Sammlung. Und überhaupt: Konventionalität ist hier gar keine Kategorie.
Auch Roth war als Grafiker eigentlich ein konventionell arbeitender Handwerker, aber wie er die Grenzen dieses Handwerks dehnte, mit Humor und mit Freude am Regelbruch, das wird erst im Rahmen dieser Schau klar.
„Gepresst Gedrückt Gequetscht“bis 19.3.2023, Sammlung Falckenberg (S Harburg), Wilstorfer Straße 71, So 12.00–17.00 ohne Anmeldung, im Rahmen von Führungen Fr 16.00, 18.00, Sa 15.00, Eintritt 10,-/6,- (erm.), Katalog 15, www.sammlung-falckenberg.de