Hamburg. Ein Gespräch mit Harald Falckenberg, dessen hochkarätige Sammlung an Gegenwartskunst 25. Jubiläum feiert, über Anfänge und Pläne.

Ein Besuch bei Harald Falckenberg in seiner Winterhuder Villa ist durchaus ein wenig kräftezehrend: Ein kunsthistorischer Exkurs folgt auf den nächsten, gewürzt mit der Debatte über das New Yorker Museum of Modern Art, das auf einmal Privatleute kuratieren lassen will. Er mischt sich ein, regt sich auf, mal wirkt sein Gesicht alt, dann wieder beinahe jugendlich, etwa, als er von seinen Anfängen als Mäzen erzählt.

Seine hochkarätige Privatsammlung an Gegenwartskunst, die längst zu den bedeutendsten weltweit zählt, feiert in diesem Jahr 25. Jubiläum. Bis 2023 ist sie dauerhaft an die Deichtorhallen ausgeliehen. Doch was kommt dann?

Ein Vierteljahrhundert Sammlung Falckenberg mit vielen spektakulären Ausstellungen von Hanne Darboven über William S. Burroughs bis Ralf Ziervogel – blicken Sie mehr zurück oder immer noch nach vorn?

Harald Falckenberg: Wer älter wird, blickt naturgemäß mehr zurück. Man muss loslassen und sich verabschieden können. Gerade in der Kunst bleibt der Blick aber nach vorne gerichtet. 25 Jahre Sammlung sind eine Zäsur. Man muss Rechenschaft ablegen. Der bestimmt größere Einschnitt war, dass ich im Alter von 50 Jahren beschloss, Kunst zu sammeln.

Was war da in Ihrem Leben passiert?

Falckenberg: Es gibt Kipppunkte. Ich bin fest davon überzeugt, dass in jedem von uns mehrere Persönlichkeiten stecken. Ich wollte einfach frei sein und in Alternativen denken. Kunst ist da eine wunderbare Sache. Sie wirft Fragen auf, die wir alle haben, gibt aber keine Antworten. Sie ist kein System und in meinem Verständnis auch keine Botschaft. Sie lässt uns einfach nachdenken.

Was hat Sie an Ihrem früheren Leben gestört?

Falckenberg: Eigentlich gar nicht so viel. Es geht mir um keine Abrechnung, sondern um eine Neuorientierung. Jahrzehnte habe ich intensiv Sport getrieben. Das Spielerisch-Experimentelle, auch das Utopische mit dem Ziel, Meisterschaften zu erringen, war irgendwann mit 50 und meinem Körper nicht mehr in Einklang zu bringen. Der Beruf, die Leitung des Unternehmens zusammen mit meinem Schwager, hatte ohnehin Vorrang. Natürlich konnte ich bis nachts mit Meese (der Maler Jonathan Meese, Anm. d. Red.) Bier trinken, aber selbstverständlich erschien ich am nächsten Morgen pünktlich mit Schlips im Büro, da bin ich preußisch.

Wir verdanken also einer positiven Midlife-Crisis diese einzigartige Sammlung von Kunstwerken?

Falckenberg: Wenn man so will, ja. Kein Golfspiel, keine teuren Reisen. Stattdessen habe ich wieder angefangen zu schreiben, was ich in meiner Zeit als Jurist schon getan habe. Und ich habe mich mit dem Kunstbetrieb beschäftigt. Stephan Schmidt-Wulffen, der Direktor des Kunstvereins, Werner Hofmann und Uwe M. Schneede waren meine Vorbilder. Im Essay-Band „Aus dem Maschinenraum der Kunst“ von 2008 habe ich diese Erfahrungen zusammengefasst.

Hat das erste Werk, das Sie erworben haben, einen Ehrenplatz? An den Wänden ist zumindest keine repräsentative Arbeit zu entdecken …

Falckenberg: Nein, es reicht mir, die Kunst in der Sammlung zu haben. Die brauche ich nicht auch noch zu Hause. Sie wollten aber was anderes wissen: Mein erstes Bild stammt von dem New Yorker Künstler Bill Beckley, das war ein Tipp von dem Düsseldorfer Galeristen Hans Mayer. Die Arbeit ist heute noch in der Sammlung, aber ich habe keine Präferenzen. Anders als die meisten Kunstliebhaber interessiert mich Kunst nicht aus ästhetischen Gründen. Scherzhaft habe ich mal gesagt: Ich hasse Kunst! Mir geht es um die Auseinandersetzung der Kunstwerke als Zeitzeugnisse und Ausdruck von gesellschaftlichen Veränderungen.

Wie haben Sie Ihre Sammlung aufgebaut?

Falckenberg: Ich war häufig im Vienna, dem Künstlerlokal in Eimsbüttel. Da traf ich Werner Büttner. Der redete nicht nur über sich selbst, sondern auch über seine Kollegen, was selten ist. Wenn ein Künstler über einen anderen Künstler spricht, muss der Sammler die Ohren spitzen. Die besten Empfehlungen werden von Künstlern geliefert. So kam ich auf Albert Oehlen und Martin Kippenberger. Mike Kelley, neben Büttner, Meese, ­Staeck und Paul McCarthy, einer meiner wenigen Künstlerfreunde, empfahl mir Öyvind Fahlström und Paul Thek. Unisono ihre Aussagen: „Bloß kein Mainstream, Beuys und Warhol gehören längst schon zum Establishment.“ Dieser Ansatz der Counter Culture überzeugte mich, einer Gegenkultur rebellischer Künstler, die ausgehend vom New York der späten 50er- und 60er-Jahre sich gegen die Welt der Väter wendete und ab Mitte der 70er-Jahre ihre sarkastischen, ironischen und ätzenden Ansätze mit dem Punk weltweit durchsetzte.

Auf Sie trifft der Begriff Förderer sehr viel besser zu als der Begriff Sammler, denn es ging Ihnen ja offensichtlich nicht darum, möglichst viel Namhaftes anzusammeln …

Falckenberg: Das stimmt. Es ging um die politische Kunst des Widerstands, die nicht anerkannt war und dementsprechend zu niedrigsten Preisen gehandelt wurde. Mein Anliegen war und ist, diese Kunst und die Künstler in einem internationalen Kontext zu erfassen und zu fördern. Heute sieht alles ganz anders aus. Viele der Künstler von gestern sind die Stars von heute. Kritische politische Kunst ist angesagt. Als ich 1994 mit dem Sammeln anfing, war der Markt komplett zusammengebrochen. Als Ausweg blieben den Künstlern die Biennalen und Triennalen, die bis heute von internationalen Kuratoren dominiert werden. Die damit einhergehende Auftragskunst wird nach Ablauf der Events abgebaut und oft genug zerstört. Nicht zuletzt deswegen habe ich ab 2001 in Harburg 6200 Quadratmeter Ausstellungsfläche geschaffen, damit die wichtigen Skulpturen und Installationen erhalten bleiben.

Wie entdecken Sie Künstler?

Falckenberg: Mir geht es in erster Linie um das soziale Umfeld. Bekannt ist die rätselhafte Aussage des renommierten Kunsthistorikers Ernst Gombrich: „Genau genommen gibt es die Kunst gar nicht. Es gibt nur Künstler.“ Gemeint ist offenbar, dass dritte Instanzen und nicht der Künstler über die Bewertung seiner Arbeiten als Kunstwerke entscheiden.

Als Ihre Sammlung in die Hallen der ehemaligen Phoenix-Werke zog, haben Sie im Katalog „Klopfen“ geschrieben: „Die Sammlung ist nicht auf das Erhabene, ewig Schöne, sondern auf Endliches, Widersprüchliches, Provokantes angelegt und entzieht sich so museal-dauerhafter Festlegung.“ Was haben Sie gegen Museen?

Falckenberg: Gar nichts. Ich unterstütze die Hamburger Kunsthalle seit Längerem und habe mit Hans-Jochen Waitz eine Stiftung für Gegenwartskunst eingerichtet. Damit ist es aber nicht getan. Mit den Deichtorhallen ab 1989 und der unter großem persönlichen Einsatz von Uwe M. Schneede 1997 eröffneten Galerie der Gegenwart hat Hamburg national und international wesentliche Akzente für die zeitgenössische Kunst gesetzt. Zusammen mit dem Kunstverein, Kampnagel, der HfbK, dem Warburg-Haus und einer Reihe weiterer Institutionen hat sich Hamburg eine führende Stellung für Gegenwartskunst erarbeitet. Mir geht es darum, dass diese so lange erarbeitete Position weiter ausgebaut und nicht dem Diktat von Besucherquoten und Events unterworfen wird. Kunst für alle? Selbstverständlich, aber bitte nicht unter Aufgabe der Kunst als einer der letzten Bastionen des Widerstands. Willem de Kooning, genervt durch immer wiederholte Fragen nach dem Sinn der Kunst, hat es lakonisch auf den Punkt gebracht: „It´s all about freedom.“

Der Vertrag mit den Deichtorhallen läuft bis 2023. Wird dann nicht von einer Seite gekündigt, verlängert sich die Leihgabe Ihrer Sammlung und der Ausstellungsräume in Harburg um weitere fünf Jahre. Ist das Ihr Wunsch für die Zukunft?

Falckenberg: Man wird sehen. Das Leben, zumal in meinem Alter, ist kein Wunschkonzert. Aber der Vertrag steht und wird – darüber sind sich beide Seiten einig – auch eingehalten. Also es geht definitiv weiter bis 2023. Die Zusammenarbeit mit Intendant Dirk Luckow und dem Sammlungsleiter Goesta Diercks läuft hervorragend. Selbstverständlich reden wir über das Ausstellungsprogramm. Ideen sind immer gefragt. Aber die Entscheidungen trifft Luckow in Abstimmung mit Diercks. Ich mische mich in nichts rein. Zu den Eröffnungen komme ich nach langen Jahren eigenen Kuratierens als Gast und lasse mich überraschen. Und ich bin nie enttäuscht worden.

Vonseiten der Kulturbehörde heißt es, man sei in guten Gesprächen und habe großes Interesse, die Sammlung für Hamburg zu erwerben. Anfang des Jahres wurde dann mal wieder der Standort Harburg diskutiert. Irgendwie kommen beide Seiten nicht recht zusammen, oder?

Falckenberg: Bitte haben Sie Verständnis, dass ich mich zum Stand der Verhandlungen nicht näher äußere. Es ist Diskretion vereinbart und daran halte ich mich. Wie gesagt gibt es eine bindende Vereinbarung bis 2023. Gerne bestätige ich, dass die Gespräche mit der Kulturbehörde über den endgültigen Verbleib der Sammlung positiv und freundlich verlaufen. Es wird darum gehen, Sponsoren und Mäzene zu gewinnen, die bereit sind, das Projekt auch finanziell nachhaltig zu unterstützen. Ich bin dabei, Ideen zu entwickeln.

„Installationen aus 25 Jahren Sammlung Falckenberg 30.11.2019–24.3.2020, Sammlung Falckenberg in den Phoenix-Fabrikhallen (S-Bahnhof Harburg), Wilstorfer Straße 71, Tor 2, Besuch nur mit vorangemeldeter Führung (Do, Fr 18.00, Sa, So 12.00 und 15.00, Eintritt 15,-/12,-); jeden ersten Sonntag im Monat 12.00– 17.00 ohne Anmeldung, Eintritt 10,-/6,- (ermäßigt), https://tickets.deichtorhallen.de