Hamburg. Die Sammlung Falckenberg zeigt eine große Retrospektive über die Fotografin Charlotte March. 300 Werke – viele davon Momentaufnahmen.
Charlotte March selbst bezeichnete ihre Fotografien als skizzenhaft. Denn zu 100 Prozent durchgeplant waren sie nie, auch nicht die Modefotografien, die die Hamburgerin bekannt machten. March überließ immer auch ein Moment dem Zufall. Sie ließ das Unübliche triumphieren, ihre Bilder sollten anders sein, sensibel machen für die Kostbarkeit der Einzigartigkeit. Das zeigt die 300 Werke umfassende Ausstellung in der Sammlung Falckenberg in Harburg.
Kurator Goesta Diercks hat gemeinsam mit Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow einen Querschnitt durch die verschiedenen Schaffensperioden der Fotografin ausgewählt, deren Nachlass mit 30.000 Fotografien seit 2006 zur Sammlung gehört. Viele bekannte Bilder sind in der Schau wiederzutreffen, zu entdecken gibt es aber auch weniger bekannte Seiten von Charlotte March.
Ausstellung: Aufnahmen von Donyale Luna machten March berühmt
Berühmt sind wohl die Aufnahmen, die sie Ende der 1960er-Jahre von Donyale Luna schoss. Die Fotografin ließ sie in einer Aufnahme zu einer Art buckligen Raubkatze werden, die in ihr Kleid hineinbeißt. Zu einer Zeit, in der Models mit dunkler Hautfarbe ohnehin ein Novum waren. „Das Bild zeugt von einem fotografischen Abenteuer, das weit mehr war als die bloße Erfüllung des nächsten Modeauftrags“, schreibt Dirk Luckow im Ausstellungskatalog zu einer weiteren Aufnahme Lunas, auf der sie aus nächster Nähe zu sehen ist.
Das berühmte Model Gloria Friedrich lichtete March im kuscheligen Oversize-Pullover, Weintrauben kauend, ab, ganz so, als wäre es mit sich allein und nicht vor der Kamera. Bademode präsentierte sie unter fließendem Wasser, feucht glänzend und ziemlich sinnlich. Die in Bademode gekleidete Anita Pallenberg ließ sie sogar von zwei Piraten überfallen. Wie eine Bühneninszenierung wirkt Pallenbergs Tanz der Befreiung. Was heute harmlos wirkt – und das bedeutet nicht, dass Marchs Bilder an Anziehungskraft verloren hätten –,, glich Mitte der 60er-Jahre einem Tabubruch.
Modefotografien aus anderer Perspektive
„Von Fotomodellen lasse ich mich eher überraschen, als dass ich spezielle Bedingungen an sie stelle“, schrieb die Fotografin 1973. Marchs Models waren nicht der Mode unterworfen, sie machten sich die Mode zu eigen, drängten sie dabei aber nicht in den Hintergrund. Die Aufnahmen lassen hinter die glamouröse Fassade blicken – ohne dabei an Glanz zu verlieren. March fing auch ironische Situationen ein, sie durchbrach die makellose Schönheit und machte sie dadurch interessant. Die Hamburgerin arbeitete für Magazine wie „Harper’s Bazaar“, „Vogue“ „Vanity Fair“, „Brigitte“ und „Elle“ sowie für „twen“ und die Illustrierte „Quick“.
Gleich zu Anfang der Schau begegnet einem aber zunächst eine ganz andere Charlotte March: die Dokumentarfotografin. Mitte der Fünfziger hielt sie ihre Eindrücke von Hamburg fest, auf dem Fischmarkt, im Gängeviertel, auf dem Dom. In der Hansestadt hatte March, die 1929 in Essen geboren wurde, ihr Studium begonnen, an der Kunstschule Alsterdamm ließ sie sich zur Grafikerin und Modezeichnerin ausbilden. Dabei fand sie über Modemagazine auch zur Fotografie, das Handwerk brachte sie sich in Eigenregie bei. Hamburg sollte ihr Hafen werden.
Momentaufnahmen in schwarz-weiß
Ihre Schwarz-Weiß-Aufnahmen geben Auskunft über ihre Beobachtungsgabe, sie erzählen vom anstrengenden Alltag der abgebildeten Personen. Da wäre die Frau im Kassenhäuschen, die zwei Männer, die sich Pfeife rauchend im Gras eine Pause gönnen, die Händler vom Fischmarkt mit ihren Tieren.
Auch auf der italienischen Insel Ischia hielt sie das alltägliche, überwiegend ärmliche Leben fest. Wer einmal googelt oder die Insel heute kennt, mag kaum glauben, dass es sich um denselben Ort handelt. Ein Bild, auf dem Kinder in verschlissener Kleidung, barfuß auf einer Straße zu sehen sind, hat sie ironischerweise „Votate!“ genannt. Das Wort ist auch im Hintergrund an einer Hauswand zu sehen – doch wählen konnten diese Kinder wahrscheinlich nicht. Aber auch an anderen Orten wurde March zur Flaneurin: in Paris, Berlin, London, auf den Bahamas.
Charlotte March zeigt selbstbestimmtes Frauenbild
In Harburg wird auch ein Kontext zwischen ihren Fotografien und anderen bedeutenden Werken aus der Sammlung von Harald Falckenberg hergestellt – unter anderem von Nan Goldin, Larry Clark und Philip-Lorca diCorcia, Künstlern, die dafür bekannt sind, geltende Ideale zu hinterfragen und einen schonungslosen Blick auf die Realität zu werfen. Die Ausstellung im Rahmen der 8. Triennale der Photographie holt die Hamburger Fotografin zurück ins Bewusstsein.
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„Womöglich war Charlotte Marchs früher Ruhm zu sehr verblasst, (…) als dass sich ein wie auch immer geartetes Ausstellungsinteresse hätte artikulieren können“, schreibt der Autor Hans-Michael Koetzle im Ausstellungskatalog. Dem diesjährigen Triennale-Titel „Currency“ wird nicht nur das Außergewöhnliche in Marchs Bildern gerecht, sondern auch das Frauenbild, das ihre Arbeiten entstehen lassen.
Das selbstbestimmte, starke Frauenbild spiegelt sich nicht zuletzt in den Männeraufnahmen der Fotografin wider. 1977 erschien ihr Buch „Mann, oh Mann!“, Marchs „Vorschlag zur Emanzipation des attraktiven Mannes“. Die Männer, die nun auch in der Harburger Schau zu sehen sind, spielen mit Marchs weiblichem Blick, sie werden zum Objekt der Begierde, die Fotografin hat die Rollen umverteilt. Dabei strebte sie an, Sensibilität für den zärtlichen und verletzlichen Mann, der nicht dem Klischee entspricht, zu schaffen. Ob es gelingt? Im Vordergrund steht wohl die Erotik. Dabei ist das Thema noch immer aktuell.
„Charlotte March. Fotografin/Photographer“ bis 4.9., Sammlung Falckenberg (S Harburg), Wilstorfer Straße 71, So 12.00–17.00, Kurzführungen 13.00, 14.00, Anmeldung erforderlich, Eintritt 10,-/6,- (erm.), tickets.deichtorhallen.de, www.sammlung-falckenberg.de