Hamburg. Miese Kritiken begleiten die Band schon seit Jahren – die aktuelle Tour setzt noch einen drauf. Und an der Technik liegt es nicht.
Eine große hagere Gestalt im Nebel. Die Augen hinter einer Sonnenbrille. In der Bühnenmitte angekommen, breitet er die Arme väterlich aus, als wolle er alle Anwesenden umarmen. Erwartungsvolle Euphorie im HamburgerDocks. Doch bald weicht sie einer herben Enttäuschung. Die Band, die hier auf der Bühne steht, war mal groß. Und wenn nicht groß, dann vielleicht aber doch wichtig. Und es ist bestürzend, was davon nun zu hören bleibt.
The Sisters of Mercy ist eigentlich kaum noch eine Band. Sänger Andrew Eldritch schlurft von links nach rechts über die Bühne, ab und zu hebt er sein Mikrofon, aber Gesang kann man das kaum nennen, was dann zu hören ist. Eher ein Krächzen und heiseres Flüstern, durchzogen von Aussetzern.
Sisters of Mercy im Docks Hamburg: bestürzend schlechtes Konzert
Das liegt nicht an der Technik, wie man schnell bemerkt, sondern an der Form des Sängers, der es nun nach 15 Jahren Bühnenabstinenz noch mal wissen will. Wie so viele ist auch das Hamburger Konzert ausverkauft. Miese Kritiken begleiten die Band nun schon einige Jahre – die aktuelle Tour setzt da noch einen drauf. Es lässt sich nicht leugnen.
Eldritch ist von der Gründungsmannschaft der letzte Verbliebene. Die Liste der Gitarristen und Bassisten, die er über die Jahre im Streit verloren hat, ist lang. Die Bühne teilt er inzwischen nur noch mit einem Programmierer, der den Drumcomputer bedient, und mit dem Gitarristen Ben Christo, der die Sisters-of-Mercy-Riffs alle brav studiert hat, zum Klingen bringt und auch stimmlich den Gesang ein wenig stärkt, sich aber vor allem aufs coole Posieren versteht.
Sisters of Mercy: Die Liste der Gitarristen und Bassisten, die über die Jahre im Streit gingen, ist lang.
The Sisters of Mercy zählten Anfang der 1980er-Jahre gemeinsam mit The Cure oder Joy Divison zu den Vätern des Dark Wave im Fahrwasser des Punk. Sie waren die Coolen mit viel Leder, Sonnenbrille, ernster Miene. Und sie schufen mit „This Corrosion“ oder „Temple Of Love“ einige wirklich tolle dunkel-emotionale Songs, die bald mehr und mehr Richtung Hard Rock tendierten – aber gleichzeitig einige schöne pathetische Chöre einflochten. Und sie drehten ambitionierte Musikvideos dazu. Davon ist bei dem Auftritt nicht mehr viel zu spüren.
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Von einem Song ohne größere Pause zum nächsten jagend, wirkt die Präsentation ziemlich lieblos. Das ganze Set wird gleichbleibend fad heruntergeleiert. Durch den Computer klingt die Musik ohnehin sehr uniform. Eigentlich ändert sich nur das Licht von Blau zu Grün zu Rot zu Gelb.
Sisters of Mercy in Hamburg: Ab und an blitzt dann doch der Glanz früherer Tage hervor
Dabei sind die wirklich gekonnten originalen Songstrukturen noch immer zu erahnen. Und ab und an blitzt dann doch der Glanz früherer Tage hervor. Bei dem wundervoll melodiösen „Marian“, bei „Summer“ oder auch bei „Dominion“. Im letzten Drittel erlangt die Stimme mehr Substanz.
Eldritch, der fließend Deutsch spricht, hätte sich auch seinen treuen Anhängern mit ein paar Worten zuwenden können. Aber mehr als ein „Hello Hamburg!“ Ist lange nicht drin. Nach knappen 80 Minuten und drei noch mal mit einem letzten Aufbäumen gegebenen Hitzugaben biegt der Abend zum Glück in die Zielgerade. Und kurz vor dem Ende sagt Eldritch dann „Jetzt verlasse ich mich auf euch.“ Zum Glück. Die textsichere Menge bekommt den Hit „This Corrosion“ nämlich besser hin als ihr Schöpfer.