Hamburg. Die aktuellen Buchtipps anlässlich der Langen Nacht der Literatur am Sonnabend: Wir haben die gefragt, die sich wirklich auskennen.
Zehn Jahre alt wird sie jetzt, die Lange Nacht der Literatur. Da darf man gratulieren. Einst auf Initiative der Niendorfer Buchhändlerin Christiane Hoffmeister ins Leben gerufen, hat sie längst einen festen Platz im Kulturkalender der Stadt. Im Kern ist die stadtweite Veranstaltung immer noch eine Kooperation von Büchereck Niendorf und Literaturhaus. In letzterem findet ebenso wie in einigen Bücherhallen und etwa auch den Hamburger Kammerspielen, dem Goldbekhaus, der Freien Akademie der Künste und dem Aalhaus am Sonnabend eine Lesung statt.
Das Herz der Langen Nacht der Literatur schlägt aber in den vielen Buchhandlungen, die am 2. September ihre Räume in großer Zahl öffnen. Buchhandlungslesungen haben ihren eigenen Charme, das weiß jeder, der schon mal auf einer war. 45 Veranstalter sind in diesem Jahr dabei, unter ihnen 26 Buchhandlungen. Die allermeisten Lesungen sind in den Abendstunden, aber insgesamt ist es doch eine Literaturstrecke von 12 bis 0 Uhr. Wir haben uns die 10. Lange Nacht der Literatur zum Anlass genommen, bei acht Buchhändlerinnen und einem Buchhändler einmal nachzufragen, deren Buchhandlungen in diesem Jahr an der Langen Nacht teilnehmen. Welches Buch ist in dieser Saison ihr ultimativer Lesetipp? Sie sind Vielleser, sie müssen es ja wissen!
Melanie Beck von der Buchhandlung Lüders in Eimsbüttel hat Seishi Yokomizos Roman „Mord auf der Insel Gokumon“ (Blumenbar Verlag, 22 Euro) so gut gefallen, dass sie ihm auch viele andere Leserinnen und Leser wünscht: „Japan, September 1946. Kosuke Kindaichi verschlägt es auf die Insel Gokumon, um der unheilvollen Prophezeiung eines Kriegskameraden nachzugehen und den Mord an dessen drei Schwestern zu verhindern. Doch schon bald gerät Kindaichi selbst unter Verdacht, als der erste Mord alle Inselbewohner in Schrecken versetzt ... Klassisch, spannend, ein Muss für Krimi-Fans à la Agatha Christie!“
Robert Eberhardt, Buchhandlung Felix Jud, hat sich für ein Sachbuch entschieden, Gabriel Zuchtriegels „Vom Zauber des Untergangs“ (Propyläen, 29 Euro): „In dieser Liebeserklärung an die Archäologie schreibt der Autor, seit 2021 Direktor des Archäologischen Parks von Pompeji, über die Ausgrabungen nahe dem Vesuv und fragt sich, was staubige Ruinen und Reste antiken Lebens überhaupt mit uns zu tun haben. Das Buch ist ein Spaziergang durch die untergegangene Stadt, aber eben auch über das Vergessen, das Schreiben von Geschichte und die Skelette als Thema in der Kunst der späten Römischen Republik. Denn auf Mosaiken und Silberbechern riefen die Skelette den damaligen Bewohnern zu: „Carpe diem.“ Oder wie Paulus an die Korinther wenige Jahre vor dem Vesuvausbruch schrieb: ‘Ich sterbe täglich’. Das lehrt Pompeji, unter anderem, wie man in diesem überzeugenden Sachbuch des Wissenschaftlers lesen kann.“
Die Ottenser Buchhändlerin Susanne Sießegger (Buchhandlung Christiansen in Ottensen) empfiehlt Özge Inans Roman „Natürlich kann man hier nicht leben“ (Piper Verlag, 24 Euro): „Özge Inan erzählt in ihrem Debütroman die Geschichte von Selim und Hülya, die in den 1990er-Jahren in Izmir studieren. Seit dem Militärputsch 1980 werden die Menschen in der Türkei unterdrückt: Gewerkschaften und Parteien wurden verboten, die Meinungsfreiheit wurde massiv eingeschränkt, Menschen wurden verhaftet, gefoltert, getötet. Selim und Hülya sind politisch aktiv, um die Verhältnisse zu ändern. Als Hülya schwanger wird, stellt sich die Frage, ob das Kind in der Türkei aufwachsen soll. Dieses Kind wird Nilay sein, in Deutschland geboren, die sich 2013 den Demonstranten auf dem Taksim-Platz in Istanbul anschließen will. Ein spannender und berührender Roman, durch den wir die jüngere türkische Geschichte miterleben können.“
Marie Pruter, Buchhändlerin bei Heymann in Eimsbüttel, ist von Max Richard Leßmanns „Sylter Welle“ (Kiepenheuer & Witsch, 22 Euro) ziemlich angetan: „ Ein Buch über den letzten gemeinsamen Urlaub mit den eigenen Großeltern. Und gleichzeitig ein Zurückblicken auf Jahre voller Streitigkeiten, Verschwiegenheit, schlechten Scherzen und liebenswürdigen Momenten – kurzum: das, was eine Familiengeschichte ausmacht!“
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Dorothee Ridder (Buchhandlung Klauder in Duvenstedt) empfiehlt die Lektüre von Dana Vowinckels Debütroman „Gewässer im Ziplock“ (Suhrkamp, 23 Euro): „In dieser deutsch-israelischen Familiengeschichte erlebt man zusammen mit der 15-jährigen Margarita einen Sommer zwischen den jüdischen Lebenswelten in Berlin, Chicago und Israel. Rebellion und Pubertätstumult stehen im Kontrast zu Gemeindeleben, religiösem Empfinden und der Überfürsorge des Vaters, der mit aller Kraft versucht, die frühe Trennung von der Mutter zu kompensieren. Mit jugendlicher Leichtigkeit, Humor und Empathie zeichnet Dana Vowinckel ein lebendiges Bild jüdischen Lebens in der heutigen Zeit.“
Cathrin Stenzel, die in der Blankeneser Buchhandlung Kortes (demnächst Wassermann) arbeitet, hat als Lesetipp das Buch einer Engländerin – Hilary Mantels „Sprechen lernen“ (Dumont, 22 Euro): „Die Erzählungen der kürzlich verstorbenen Autorin Hilary Mantel erschienen auf Englisch bereits vor 20 Jahren. Autobiografisch gefärbt beschreiben sie das England ihrer Jugend in den 50er- und 60er-Jahren. Der atmosphärisch-melancholischen Stimmung, in der unscheinbare Dörfer und Menschen in schwierigen Verhältnissen gezeigt werden, kann man sich schwer entziehen.“
Katja Cebulla von der Buchhandlung am Sand in Harburg empfiehlt Deborah Levys neues Buch „Augustblau“ (AKI Verlag, 24 Euro): „Das neue Buch der großen Deborah Levy ist eine Art magische Spurensuche. Die gefeierte Pianistin Elsa, deren Instrument bislang die Welt für sie bedeutete, patzt bei einem Rachmaninow-Konzert und flieht daraufhin vor dem Durcheinander in sich und ihrer wankenden Welt, um über Umwege und Rätsel sowie eine geheimnisvolle Doppelgängerin vielleicht am Ende bei sich selbst anzukommen. Ein höchst atmosphärisches Kleinod, genau richtig, um angenehm an einem verregneten Spätsommer- oder Frühherbstnachmittag zu versinken und die Gedanken leise nachklingen zu lassen. Und in der fantastischen Ausstattung des AKI Verlags – diesmal zeigt das Cover eine Fotoarbeit der Künstlerin Shirana Shahbazi – ist das Buch ein wahres Gesamtkunstwerk!“
Auch Marte Ohrt von der Buchhandlung Blattgold in der Neustadt hat für Deborah Levys „Augustblau“ viel übrig, der Roman ist ihr Lesetipp für diesen Spätsommer: „Eine Frau in der Sinnkrise, ein kosmopolitisches Bildnis unserer Zeit und bei all den komplexen Themen der Gegenwart leichtfüßig und packend! Die Autorin Deborah Levy ist stets auf der Suche nach den ‘missing female characters’ und entwirft hier widerspenstige und trotzdem stets sympathische Figuren, die sich aus der klassischen stringenten Erzählweise befreien.“
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Nina Jades, wie Ohrt Inhaberin von Blattgold, setzt in dieser Literatur-Saison auf Louise Erdrichs „Jahr der Wunder“ (Aufbau, 26 Euro): „Minneapolis, November 2019 – November 2020: Der Geist einer verstorbenen Stammkundin geistert in einem Buchladen umher, während die Pandemie die Welt auf den Kopf stellt und die Stadt nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd in Flammen steht. Im Inneren der Indigenen Tookie brodelt es nicht weniger, und sie und ihr indigenes Umfeld schauen fassungslos auf die Ereignisse, die sie so gut nachfühlen können.“
Daniela Dobernigg von der Buchhandlung Cohen + Dobernigg im Karolinenviertel ist begeistert von Amir Gudarzis „Das Ende ist nah“ (dtv, 23 Euro): „2009 muss der Student A. sein Heimatland Iran verlassen. Mit kaum mehr im Gepäck als seinen Erinnerungen an Familie, Freunde, seine Kindheit und Jugendzeit, muss er sich ein neues Leben in Österreich aufbauen. Aber wie, wenn er die Sprache nicht spricht, den Behörden ausgeliefert und zum Nichtstun verdammt ist? Dieses Buch hat mich zutiefst berührt, aufgewühlt und beeindruckt, und es hat das mir leider sehr fremde Land Iran ein kleines Stück näher gebracht.“
Alle Informationen zur Langen Nacht der Literatur unter www.langenachtderliteratur.de