Norbert Klugmann konnte nur mit Mühe die Räumung seiner Wohnung abwenden. Er kämpft für sein Comeback – mit einem ungewöhnlichen Angebot.
- Norbert Klugmann veröffentlichte seine 80 Romane in renommierten Verlagen
- Doch die Auflagen schrumpften, er sorgte nicht vor
- Im Alter bleibt ihm nur wenig Geld zum Leben
- Wie er jetzt sein Comeback mit einem besonderen Angebot plant
Hamburg. Gerade erst ist ein neues Buch von dem Mann erschienen, der da an seinem Herd lehnt. Norbert Klugmann ist durchaus hager zu nennen, und er blickt aus sehr wachen Augen in den Raum. 61 Kilogramm wiegt er. So hat er es in einer Mail ans Abendblatt geschrieben. Die war sehr speziell. Geschliffen formuliert. Und sie beinhaltete ein Angebot, zu diesem und zur Mail werden wir später noch ausführlich kommen.
Jetzt sind wir hier, in dieser Küche, die direkt ins Wohnzimmer übergeht. Der Raum hat bessere Zeiten erlebt. Norbert Klugmann auch. Es stehen volle und leere Plastikflaschen auf dem Boden einer Wohnung, deren Bewohner sich um eine übertrieben schöne Einrichtung nie geschert hat. Und der zuletzt am Packen war, man sieht es an den Kartons. Im Keller sind besonders viele davon. Klugmann, Ende August wird er 72, hatte eine Räumungsklage am Hals. Weil er seine Miete nicht mehr zahlen konnte.
Hamburger Bestsellerautor Norbert Klugmann drohte die Obdachlosigkeit
Wenn er vor einem steht, wirkt er nicht unbedingt wie jemand, dem vielleicht die Obdachlosigkeit gedroht hat. Das könnte daran liegen, dass ihm vom Sozialamt in Wandsbek gerade endlich Grundsicherung bewilligt wurde. Und daran, dass Klugmann sowieso glaubt, dass schon bald wieder alles ganz in Ordnung kommt. Er sagt: „Ich bin davon überzeugt, dass ich aus diesem Tief wieder herauskomme.“
Klugmann will einfach weiterschreiben. Und zwar so, wie er es in den vergangenen vier Jahrzehnten getan hat. In diesem Zeitraum sind 80 Romane erschienen. Wie gesagt, einer ist noch ganz frisch. Klugmann legt ihn auf den Küchentisch und den im März erschienenen Roman gleich daneben.
„Wendlandt und Süß“ ist ein norddeutscher Dorf- und Generationenroman, „Lüneburger Elefanten“ ein um 1600 spielender historischer Roman mit Witz und der bereits vorher in drei Bänden etablierten Figur der Hebamme Trine Deichmann. Klugmann ist immer in vielen Genres zu Hause gewesen.
Er hat Thriller geschrieben, Krimis. Auch Jugendromane und Satiren. Ein kleinerer Erfolg war zuletzt sein Waitzstraßenroman über die bizarre Unfallserie in Othmarschen, „Bitte parken Sie nicht in unserem Schaufenster“. Derzeit schreibt er wieder an mehreren Sachen gleichzeitig. Einem neuen Thriller zum Beispiel. Und an einem Roman über den nobelsten Elbvorort, verheißungsvoller Titel: „Klischees über Blankenese“.
Norbert Klugmann: Ein Vielschreiber, für den jeder Arbeitstag Kür und nicht Pflicht ist
Das Schreiben, sagt Klugmann einmal, sei ihm zur zweiten Natur geworden. Er ist Schnell- und Vielschreiber. So etwas wie eine „Schreibblockade“ hat er nie gehabt.
„Es ist nicht so, dass ich mich morgens fühle, als würde ich in den Schacht einfahren, weil die Pflicht ruft, wirklich jeder Tag ist für mich Kür“, berichtet der Mann, der 1951 in Uelzen zur Welt kam. Sein Vater leitete die Betriebskantine der Bahn auf dem Uelzener Bahnhof.
Der Sohn jenes Vaters, der durch und für die Arbeit lebt („Wenn ich mal drei Monate nicht arbeiten würde, wäre das ein ernst zu nehmendes Risiko für meine geistige und körperliche Gesundheit“), weiß um die Arbeitsprozesse bei vielen Kollegen, die ihre Werke nicht so schnell zu Papier bringen. Die rängen sich jedes Buch ab, die bekämen Depressionen, die schrien ihre Familie an, „ich bin so nicht“.
Vorhin hat Klugmann auf sein wild gemixtes Regal gezeigt, genauer gesagt auf zwei Buchreihen: „Alles Klugmann.“ Die Bände direkt darunter? Nein, nicht von Klugmann, „das ist Proust“.
Das ist nur halbironisch. Norbert Klugmann, der Autor mit den vielen, vielen Büchern, ist selbstbewusst. Er habe als Schüler gemerkt, dass er gut formulieren könne. Seitdem wollte er nur noch schreiben. Schreiben war, und es ist: sein Leben. Aber das Schreiben hat ihn zuletzt mächtig in die Bredouille gebracht. „Ja“, sagt Klugmann, „ich musste mich vor mir selbst rechtfertigen.“
- Was der RAF-Terror mit Blankenese zu tun hat
- Mordslust auf Lübeck
- Hamburger Bücherhallen- „Was Männer kosten“ ist ein Hit
- Martin Walser- Der Schriftsteller, der immer Deutschland war
Er ist dann aber immer zu dem Ergebnis gekommen: Er wollte das genau so. Die berufliche Freiheit, das Ungebundensein. Mit allen Wagnissen. Es hat halt am Ende nicht gereicht, und deswegen steht Klugmann jetzt da, wo er ist. Als einst erfolgreicher Autor voll in der Altersarmut. Eigentlich sollte er, wie der überwiegende Teil seiner Generation, mindestens in bescheidenem Wohlstand leben. Womöglich sogar nicht mehr mit Broterwerb beschäftigt sein, wobei das, wie Klugmann hinlänglich klargemacht hat, nicht so sein Ding ist.
Klugmann veröffentlichte viele seiner Bücher bei Rowohlt
Aber der Autor Klugmann, der bei vielen namhaften Verlagen veröffentlicht hat, bei Rowohlt, Hoffmann und Campe, bei Ullstein, ist dann unbemerkt in eine Art Falle getappt. Er fand für seine Bücher ja immer einen Verlag, über so lange Zeit. Aber die Entwicklung sei „tückisch“ gewesen. Seine Auflagen wurden langsam immer kleiner. Es ist nicht die leichteste Übung, lebenslang ein viel gelesener Autor zu sein.
Klugmann hat über viele Jahre durchaus etwas getan, um den Unwägbarkeiten des Buchmarkts zu begegnen. Er hat als freier Journalist gearbeitet, Reportagen geschrieben, über Jahrzehnte aber vor allem bei Programmzeitschriften gearbeitet. Im Bauer-Verlag, bei Springer, später in der Funke-Mediengruppe, in der auch das Abendblatt erscheint. „Ich habe mich aber immer mit Händen und Füßen gegen eine Festanstellung gewehrt“, sagt Klugmann.
In den guten Jahren, berichtet er, hat er bis zu 4000 Euro im Monat verdient. Das war eine sichere finanzielle Grundlage. Klugmann hat eine Tochter, sie ist 27 Jahre alt. Er war mit Mitte 40 ein später Vater. Und er war ein präsenter Vater, als dies noch weniger üblich war als heute, in Zeiten von Elternzeit und Homeoffice.
Als Freischaffender konnte er viel Zeit mit seiner Tochter verbringen. Er sei eine „singuläre Figur“ in Wellingsbüttel gewesen, sagt Klugmann, „als erster Mann in 700 Jahren Ortshistorie, der mit seinem kleinen Kind regelmäßig tagsüber öffentlich sichtbar war“.
Seine Tochter half ihm bei den Problemen mit dem Amt
Die Tochter ist mittlerweile Anwältin. Sie hat ihm jetzt beim Sozialamt geholfen und nach zuletzt monatelanger Unklarheit auf den letzten Drücker dafür gesorgt, dass er Grundsicherung erhält. Als sie bei ihm aufwuchs, habe es so gewirkt, als sei seine Tochter, sagt Klugmann, eher nach ihm geraten, dem überzeugten Freigeist. Das Hier und Jetzt zählte, nicht das Morgen. Die Reize der Solidität habe sie erst während ihres Studiums entdeckt. Er hat sie bei diesem Studium immer finanziell unterstützt. Jetzt ist es umgekehrt.
Was sagt so eine junge, tatkräftige Frau, wenn sie von den Problemen ihres Vaters hört? „Sie war schockiert“, sagt Klugmann, „sie hatte nicht damit gerechnet, als ich sie tatsächlich mit dem Thema Altersarmut konfrontierte.“
Die Geschichte eines Mannes, der auf Versicherungen nichts gab
Das ist die nicht zu leugnende Tatsache in Klugmanns Leben: Er hat nie wirklich vorgesorgt. Der Mann, der sechs bis sieben Stunden am Tag arbeitet (lediglich am Wochenende etwas weniger), dieser Mann voller Tatkraft hat nie einen Gedanken an Versicherungen verschwendet. „Es war noch nicht mal so, dass ich dachte: Mir geht es ja gut, ich brauche so etwas nicht“, sagt Klugmann.
Eine Krankenversicherung hat er schon sehr lange nicht mehr. Man stutzt dann doch kurz, bekommt man dann nicht irgendwann Post vom Zoll? Oder ist das nur so, wenn man die Beiträge bei seiner Krankenkasse nicht länger zahlt? Bei ihm ist das so oder so egal, sagt Klugmann.
Er war ja nie fest angestellt, also hat niemand nach seiner Krankenkasse gefragt. Aus dem Schrank in der Küche greift er („Sie machen sich keine Vorstellung, wie gesund ich bin“) nach einer Packung Tabletten. Bluthochdruck, hat er mal abklären lassen. 35 Euro für zwei Packungen im Jahr. Klugmann weiß genau, was ihn sein Leben kostet.
Das mit der Krankenkasse, denkt man, lieber nicht nachmachen.
Norbert Klugmann: Eine Geschichte auch über Freiheit
Aber wenn dies eine Geschichte über biografische Kurzsichtigkeit ist, dann ist es eben auch eine über Freiheit. Klugmann hat sein Leben gelebt, wie er es leben wollte. Unterwegs gab es die Scheidung von seiner Karin (Klugmann: „Man kann nicht alles haben“). Sie ist übrigens nicht die Mutter seiner Tochter. Das war auch so etwas Unstetes, die On-off-Beziehung zu einer jüngeren Frau, aus der das Kind stammt. Aber was heißt „unstet“ in einem größeren Zusammenhang? War sein Leben das denn tatsächlich?
Er ist in Hamburg oft umgezogen, das immerhin meist innerhalb Wellingsbüttels. Viele Verlagswechsel, immer freischaffend. Aber er hat sich immer, jeden Tag, an den Rechner gesetzt, um Geschichten aufzuschreiben. Was für eine Konstante.
Norbert Klugmann hat dem Abendblatt zunächst eine Mail geschrieben. Er schildert dort seine Zwangslage. Und zwar so, wie es sich für einen Schriftsteller geziemt. Man muss aus dieser Mail zitieren.
Klugmann schreibt zum Beispiel dies mit Blick auf den Corona-Einbruch, der seine schriftstellerische und journalistische Existenz beschädigte: „Zwei Mieterhöhungen in drei Monaten, da eine unaufschiebbare Verpflichtung, dort eine finanzielle Terminsache. Und aus die Maus. Zum ersten Mal in meinem Berufsleben musste ich auf den Euro gucken, und immer häufiger war gerade keiner in Sicht. Ich war alt, plötzlich und unerwartet. Als wäre ich über Nacht in ein Zeitloch gefallen. Niemand hatte mir das verraten, ich musste von selbst darauf kommen. Ich schrieb Bewerbungen, bot Stoffe an, kontaktierte Verlage, Filmfirmen, Agenturen. Heute schäme ich mich für meine Naivität. Vor zwei Jahren und vor einem Jahr war ich noch überzeugt, dass nach 200 nicht beantworteten Schreiben die erlösende Zusage bestimmt heute im Ordner liegen würde. Spätestens morgen, Nächste Woche ist auch noch ein Tag, streng genommen ja sogar sieben Tage. Dass auf der anderen Seite der Schreibtische und Leitungen mittlerweile nicht nur eine neue Generation lebt, sondern zwei Generationen – heute weiß ich’s. Den größten Teil meiner Angebote werden die Youngster gar nicht begriffen haben. Stattdessen haben sie sich gewundert, dass Dinosaurier schreiben können. Dann drückten sie eine Taste, und ich war tot.“
Schriftsteller Klugmann: Vom Arbeitsmarkt aussortiert
Ist seine Geschichte nicht auch, bei allen Besonderheiten, auf eine Weise repräsentativ? Irgendwann ist man rein altersmäßig außen vor. Die Jüngeren stehen nun im Mittelpunkt der Arena, die da Arbeitsmarkt heißt. Ist Klugmann aussortiert worden, in einer Art natürlicher Arbeitsmarktauslese?
Mit einem wie ihm können Verlage nicht mehr Social Media bespielen, Instagramkampagnen machen. Wer sich in der Branche ein bisschen auskennt, der weiß, dass der Erfolgsdruck dort sicher nicht kleiner geworden ist.
Man hat auch gar nicht das Gefühl, dass Klugmann viel jammern will, trotz gelegentlich durchklingender Verbitterung. Er hat weiterhin den unbedingten Glauben an sich selbst, an sein literarisches Tun. Er ist fit, nur deswegen auch die Bemerkung mit seinen 61 Kilogramm Gewicht. „Ich bin gesund, ich bin beweglich“, schreibt Klugmann, und das heißt vor allem: Geistig, beruflich beweglich, trotz bald 72 Jahren.
Er lebe, so Klugmann, und da gibt er dem Ort, der seine Arbeitskraft derzeit nicht haben möchte, wie es scheint, doch einen mit, „nicht hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen, sondern in Hamburg, das sich für eine Medienmetropole hält“.
Norbert Klugmann: 40 bisher unveröffentlichte Manuskripte zu verkaufen
Und jetzt zum Angebot, das der unverdrossen sein Glück versuchende, finanziell geforderte und immer produktive Schriftsteller Norbert Klugmann Hamburger Unternehmen (Klugmann: „Warum sollten die ihren Mitarbeitern nicht mal etwas Besonderes schenken?“) und auch dem Abendblatt machte. „40 exklusive Bücher von Klugmann zu verkaufen“, so wirbt der Autor, der sich neue Einkünfte erschließen möchte.
Und listet die Romanmanuskripte auf, die bisher unveröffentlicht sind. „Gelbe Alster“ heißt eines, „Thriller über eines der größten Hamburger Geheimnisse. Hauptschauplatz: die Innenstadt“. Ein anderes trägt den Titel „Konferenz auf Köhlbrand. Kaufmannsroman“ – eine „Liebeserklärung an einen wichtigen Berufsstand und seine Begegnung mit einer fremden Macht: Kultur“. Die Manuskripte sind für jeden zu haben, gegen eine anständige Bezahlung.
Klugmann sucht jetzt eine neue Bleibe. Das Amt hat ihm mitgeteilt, dass die 1100 Euro warm zu viel seien, die die Bramfelder Wohnung, in der er seit 13 Jahren lebt, ihn im Monat kostet. Kein Problem, sagt Klugmann. Er sieht das ein. Er zieht dann halt in eine günstigere Wohnung, sollte, muss aber nicht zwangsläufig Hamburg sein.
Dass manche Leute, wenn sie von seinem Schicksal erfahren, moralisch über ihn urteilen? „Damit muss ich leben“, erklärt Klugmann, „ich finde das jetzt sicher auch nicht gut, diese Krise, nach dem Motto: Toll, da kann ich drüber schreiben“. Obwohl, sagt er dann noch, das alles natürlich ein Romanstoff allererster Güte sei, eigentlich müsse daraus ein Buch werden.