Hamburg. „Ich mag Melodien“: Der Geiger Joshua Bell spielt am 1. September bei der „Opening Night“ des NDR Elbphilharmonie Orchesters.

Warum nur vier Jahreszeiten, die gute alte barocke Vivaldi-Nummer, wenn auch fünf Elemente möglich wären, und jedes von einem anderen lebenden US-amerikanischen Komponisten frisch vertont? Ganz so schlicht ist die Programmplanung für die „Opening Night“ des NDR Elbphilharmonie Orchesters dann aber doch nicht abgelaufen, erzählt der Geiger Joshua Bell beim Zoom-Termin.

Er macht in der bald beginnenden Saison als „Artist in Residence“ einige gemeinsame Sachen mit Chefdirigent Alan Gilbert, beide kennen sich gut und seit Langem.

Joshua Bell: „Musik soll das Leben der Menschen verändern“

„Mit dieser Idee habe ich schon seit einigen Jahren herumgespielt“, sagt Bell. Erde, Wasser, Feuer, Luft und als Bonus-Track Äther also; während der Corona-Zeit sei mehr als genügend Zeit gewesen, um die Sache konkret werden zu lassen und sich die passenden Kandidaten für „The Elements“ zu suchen. „Und als ich Alan von dem Konzept erzählte, fand er es aufregend.“

Neulich hatte Bell bei einem Workshop in Colorado erste Annäherungen an die Stücke erlebt, doch die eigentliche, richtige, amtliche Uraufführung des Pakets, die findet Anfang September in der Elbphilharmonie statt. Was er sich da bestellt habe? „In der Hinsicht bin ich eher altmodisch“, meint Bell, „Ich mag Melodien, ich mag Harmonien. Gegen Dissonanzen habe ich gar nichts – wenn sie eine Ursache haben. Klingt neue Musik aber nur beliebig, ist das für mich als Interpret eher unangenehm.“

Elbphilharmonie: Fünf Uraufführungen auf einen Streicher

Sollte das mal so sein, kann Bell inzwischen geschmeidig die Position auf der Bühne wechseln, denn er ist seit 2011 nicht nur solistisch weltweit unterwegs, sondern auch als Music Director der traditionsreichen Academy of St Martin in the Fields. Sein legendärer Vorgänger Sir Neville Marriner leitete dieses Londoner Kammerorchester nicht weniger als 53 Jahre lang, würde Bell damit gleichziehen wollen, müsste er bis 2064 durchhalten, dann wäre er 97. „Ich bin sehr optimistisch…“, kommentiert Bell diese Aussicht und muss dabei selber lachen.

Eine Langzeitbeziehung habe er anfangs jedenfalls nicht geplant, das habe sich so ergeben und nun sei man eben schon länger zusammen, er als Dirigent vorneweg. „Es gibt gerade für mich nichts Schöneres als die Erkundung dieses Repertoires.“ Jahr für Jahr neue Orchester-Abenteuer, von Mozart zu Beethoven, Mendelssohn bis Brahms. Sieht er sich deswegen jetzt als Violinvirtuose, der hin und wieder auch mal dirigiert, oder als Dirigent, der ganz ordentlich auf seiner Geige klarkommt? „Diese Unterschiede mache ich so gar nicht“ antwortet er, „für mich ist jede Musik Kammermusik.“

Joshua Bell: „Ums Beeindrucken geht es bei der Musik nicht“

Eine Sache habe sich allerdings dadurch etwas geändert, sagt Bell: Seine Toleranzgrenze im Umgang mit Dirigenten sei etwas gesunken, amüsiert er sich, Gilbert sei da aber nicht in Gefahr. Die beiden haben ja auch die Doppel-Job-Neigung Geiger plus Dirigent gemeinsam, wenn auch aus unterschiedlichen Richtungen kommend.

Auf die Idee, einfach mal die Aufgaben bei einem Konzert zu tauschen, seien sie noch nicht gekommen – Gilbert könnte später in der Saison etwas vom geplanten Tschaikowsky-Violinkonzert übernehmen, Bell würde sich mit einer Portion Mahler Fünf revanchieren. „Vielleicht in einigen Jahren, wer weiß“, kommentiert Bell. „Aber wenn ich einen Dirigenten mit Mahler höre, weiß ich, dass ich dazu noch nicht fähig bin.“ Beethoven-Symphonien? Das ginge inzwischen. Eigenhändig Debussys „La Mer“? Danke, aber danke nein, da fehle ihm eindeutig die Technik.

In seiner Heimat Indiana wurde Joshua Bell zur „Living Legend“ befördert

Seine Geigen-Kollegin Patricia Kopatschinskaja meinte einmal, perfektes Spiel würde sie nicht mehr beeindrucken, dafür gebe es Schallplatten und auch die seien nicht mehr interessant. „Das fände ich schon beeindruckend, wenn jemand tatsächlich perfekt spielt“, entgegnet Bell, „aber ums Beeindrucken geht es ja nicht bei Musik – man soll von ihr ergriffen sein. Sie soll Leben verändern.“

Was ein passendes Stichwort für ein Detail aus Bells Lebenslauf wäre, an das er schon seit vielen Jahren nicht mehr gedacht hat: 2000 wurde er in Indiana, seinem Geburts-Bundesstaat, zur „Indiana Living Legend“ befördert, auf Augenhöhe mit dem Talkmaster David Letterman, der Basketball-Legende Larry Bird, dem Rocker John Mellencamp und dem Autor Kurt Vonnegut. Große Ehre, das sicherlich, aber auch noch irgendwelche lebenslangen Vergünstigungen, sobald er mal wieder dort ist? Nein, sorry. Der Gedanke zählt, ist ja auch schön. „Das ,living‘ ist der beste Teil davon.“

Konzerte: 1.9., 20 Uhr „Opening Night“ mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester, u.a. mit Dutilleux‘ „Métaboles“ und Strawinskys „Sacre“. Am 1.9. wird live auf NDR Kultur übertragen, als Video-Stream auf NDR.de, in der Elbphilharmonie-Mediathek sowie in der NDR EO App. Wiederholung am 2.9., 18 Uhr. Evtl. Restkarten. Aktuelle Einspielung: „Butterfly Lovers“ (Sony Classical, CD ca. 19 Euro)