Hamburg. Der Amerikaner Joshua Bell gab in Hamburg den Geiger und Konzertmeister in einem

Ein Musikersprichwort lästert über Dirigenten: Mit ist es sicherer. Aber ohne macht’s mehr Spaß. Dass in diesem flapsigen Spruch mitunter ein bis drei Körnchen Wahrheit stecken können, belegte der jüngste Auftritt der Academy of St. Martin in the Fields, der die Vorteile, aber auch die Risiken und Nebenwirkungen eines Dirigentenverzichts offenbarte.

Nach dem Residenz-Tripelpack mit Murray Perahia und Beethovens Klavierkonzerten zu Beginn des Monats war das britische Ensemble jetzt wieder mit einem reinen Beethoven-Abend in der Elbphilharmonie zu Gast, diesmal unter Ägide seines künstlerischen Leiters ­Joshua Bell.

Der amerikanische Geiger – der sich auch mit knapp 50 seinen Sonnyboy-Charme bewahrt hat – führte die Academy als Konzertmeister vom ersten Pult. Dabei nutzte Bell seinen Bogen als Taktstock, und er beugte, drehte und streckte den Oberkörper unermüdlich, um Rhythmen abzubilden, Kräfte zu bündeln und Schwerpunkte zu setzen. Diese physisch spürbare Musizierlust übertrug sich schon mit den ersten Tönen der Egmont-Ouvertüre auf den Klang des etwa 40-köpfigen Kammerorchesters, der Transparenz und Sinnlichkeit vereint. Allerdings folgten Bell die Kollegen in seiner Nähe, auf der linken Seite, pünktlicher als die weiter entfernten auf der rechten. Es holperte ein wenig, nicht andauernd und nicht furchtbar schlimm, aber doch mehr als es wohl mit Dirigent passiert wäre.

Das Violinkonzert von Beethoven spielte Joshua Bell dann im Stehen, für alle gut sichtbar, und mit süßem, schokoladigem Stradivari-Schmelz. Arme, Hände und Finger bilden bei ihm ein streichertechnisches Dream-Team, in seinem Legato scheinen sich die Töne verliebt aneinander anzuschmiegen. Dieser Ansatz entspricht dem Charakter des Konzerts, in dem Beethoven sich verträumt und schwärmerisch gibt wie selten. Und doch wirkte die Aufführung, so ganz ohne herbe Töne und raue Momente, eine Spur zu glatt und schön um wahr zu sein.

Nach der Pause, mit Beethovens fünfter Sinfonie, änderte sich das Bild allerdings. Da trieb Joshua Bell, jetzt wieder am ersten Pult sitzend, seine Kollegen zu einer feurigen Interpretation, in der auch scharfe Akzente aufzuckten. Jedes Orchestermitglied schien vor Energie zu glühen und musizierte mit einer solistischen Präsenz, die in größeren Besetzungen manchmal verloren geht. Im regen Austausch von Blicken und Gesten verbanden Bell und seine Kollegen diese Einzelstimmen zu einem vibrierenden Ganzen, stürmten unwiderstehlich voran und nahmen dabei in der Hitze des Gefechts klappernde Einsätze in Kauf. Auch das wäre mit Dirigent sicherer gewesen. Hätte aber Musikern und Publikum vielleicht nicht so viel Spaß gemacht.