Hamburg. Der Geiger Joshua Bell liefert mit der Academy of St Martin in the Fields ein Konzert ab, das höchste Bewunderung verdient.

Was haben Bach und Paganini miteinander zu tun? Der gottesfürchtige Protestant und der diabolische Virtuose? Beide haben horrend anspruchsvolle Violinliteratur geschrieben. Der amerikanische Geiger Joshua Bell hat die Frechheit besessen, für die Tournee mit der Academy of St Martin in the Fields, deren Chefdirigent er ist, die tiefernste Chaconne von Bach und das schwindelerregend akrobatische erste Violinkonzert von Paganini in einem Programm zu verbinden. Und was soll man sagen: Es funktioniert.

Es funktioniert, weil Bell Bell ist. Ein himmelhoch-souveräner Interpret, der sich an das Werk hingibt, aber nie wirkt, es ginge ihm darum, sich selbst als Person auszustellen. Die Chaconne spielen Bell und das Orchester in einer sehr besonderen Fassung: Robert Schumann hat den barocken Satz für Violine solo 1853 mit einer Klavierbegleitung versehen. Diese Version wiederum hat der Komponist James Stephenson für Orchester arrangiert: Die Streicher spielen Stützakkorde oder zeichnen um die Läufe und Girlanden der Sologeige herum die großen Linien nach. Die Bläser dagegen fungieren als Dialogpartner des Solisten, greifen einzelne Motive heraus und beleuchten sie dadurch anders, stellen sie in einen neuen Zusammenhang.

Elbphilharmonie: Man kommt aus dem Staunen nicht heraus

Ein Meisterwerk wie die Chaconne ist offen für die vielfältigsten Lesarten. Wie unter einem Vergrößerungsglas erscheinen die Strukturen in der Instrumentierung. Bell spielt den Solopart ungeachtet aller spieltechnischen Klippen mit edlem Ton, einer emotionalen Intensität und einer Demut, die zu Herzen gehen. Die Zwiesprache mit den Holzbläsern klappt über die Distanz nicht immer reibungslos, aber wo sie klappt, greift sie ans Herz wie eine Soloarie aus einem Bachschen Oratorium.

Und dann Paganini? Es ist erstaunlich, wie die beiden Werke einander gerade in ihrer Unterschiedlichkeit verstärken. Paganini lässt sich keine geigentechnische Schwierigkeit entgehen. Mehr als eine halbe Stunde lang tobt Bell in atemberaubendem Tempo über das ganze Griffbrett, schüttelt Doppelgriffe, Läufe und klangliche Spezialeffekte aus dem Ärmel. Der Bogen scheint ohne sein Zutun zu rasen, zu tanzen, zu hüpfen. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Aber obwohl Paganini sich hübsche Melodien einfallen lässt und das Orchester mit ordentlich Tschingderassabum zur Geltung bringt, vermisst man über die Strecke eine Durcharbeitung des musikalischen Stoffes. Auf die Dauer wirkt das Zirzensische etwas ermüdend, auch wenn Bell mit seiner Leichtigkeit und Anmut eine fortdauernde Freude zu hören ist.

Konzert in der Elbphilharmonie als vertrauensvolles Miteinander

Auch da hilft eine kluge Dramaturgie. Nach der Pause erklingt, als diskrete Verneigung vor dem Bearbeiter der Chaconne, die zweite Sinfonie von Schumann. Diesmal übernimmt Bell den Konzertmeisterposten. Wie die Academy die filigrane und zugleich tiefsinnige Sinfonie ohne Dirigenten bewältigt, wie selbstständig die Bläser agieren, das verdient höchste Bewunderung. Bells spontanes, lebendiges Spiel reißt alle mit. Das Scherzo glitzert nur so mit seinen huschenden Läufen, im Adagio blüht der Gesang von Oboe und Geigen.

Ein inspirierendes, vertrauensvolles Miteinander ist das, Kammermusik für ein Sinfonieorchester. Dass das kein Widerspruch ist, hat dieser Abend gezeigt.