Udo Lindenberg saß dort viele Nächte am Tresen und schrieb neue Lieder, Sänger Al Jarreau startete im Onkel Pö seine Karriere.
Die Beschreibung war behördlich-nüchtern: „Gaststätte mit Alkoholausschank, in der auch Kapellen auftreten.“ hieß es vor mehr als 50 Jahren in der ersten Lizenz für das Onkel Pö. Doch mit Nüchternheit war diesem legendären Club in Eppendorf, der seine Wurzeln in Pöseldorf hatte, nie beizukommen.
Das Onkel Pö: Eine zweite Heimat – auch für Weltstars
Das lag einerseits an den Getränken, die dort über die Theke gingen, vor allem hektoliterweise Bier und Pineau, ein Mix aus Traubensaft und Cognac mit maximaler Kopfschmerzgarantie. „So was wie Kaffee gab es bei uns gar nicht“, erinnerte sich Peter Marxen, der das Onkel Pö von 1972 bis Ende 1978 führte. „Aber was bei uns sonst getrunken wurde ... unglaublich.“ Eine Absturzkneipe wie der „Elbschlosskeller“ oder „Zum Goldenen Handschuh“ auf dem Kiez war das Onkel Pö aber nie, denn mindestens so wichtig wie die Flüssignahrung und die Zigaretten, die dort ohne Unterlass glimmten, waren für die Besucherinnen und Besucher, die „Kapellen“.
Und das schon seit 1969 an der Ecke Mittelweg/Milchstraße, wo Bernd Cordua und Per Mathäus das Onkel Pö peu à peu eröffnet hatten. Damals spielten vor allem Ragtime und Oldtime Jazz eine große Rolle, Pianist Gottfried Böttger (noch keine 20 Jahre alt) gehörte bereits zum musikalischen Inventar und machte dann auch 1970 den Umzug nach Eppendorf, an die Kreuzung Lehmweg/Eppendorfer Weg mit.
Onkel Pö: Das Publikum lungerte gern bis zum frühen Morgen am Tresen
Eigentlich war es eher die Zeit des Liveclub-Sterbens, erlebten doch Diskotheken gerade ihre Blütezeit, wo zum Unverständnis, ja sogar Ärger der Musikerinnen und Musiker „einfach nur Schallplatten aufgelegt“ wurden. Aber das Onkel Pö, das mit vollem Namen ganz unbescheiden Onkel Pös Carnegie Hall hieß, fand im damals noch gar nicht hippen Eppendorf dennoch sein Publikum aus Studenten, Künstlern und ausdauernden Abhängern, die gern bis in den frühen Morgen am Tresen lungerten, an dem Barfrau Harriet Maué (1934–2020) bediente.
Zu denen, die dort abhingen und zugleich die ersten Schritte auf der Bühne machten, gehörten unter anderem Otto Waalkes (der bisweilen auch an der Kasse saß), Olli Dittrich (in einer Skiffle-Band) und Udo Lindenberg. Viele seiner Texte seien damals im Onkel Pö auf Bierdeckel geschrieben worden, erzählte Lindenberg später. Und in der NDR-Doku „Die Höhle von Eppendorf“ wird deutlich, wie sehr sich ein Otto Waalkes mit seiner bis dahin nie erlebten Mischung aus Musik und Quatschcomedy auf der Pö-Bühne erfand.
Sänger Al Jarreau startete im Onkel Pö seine Weltkarriere
Möglich war all das durch Peter Marxen, ein Bär von einem Mann mit großem Herzen, der ab 1972 die Geschicke des Onkel Pö leitete und schon ein Netzwerker war, bevor dieses Wort überhaupt erfunden wurde. Dank seiner Kontakte zu den in Hamburg ansässigen Schallplattenfirmen und zum NDR war das Onkel Pö nicht nur ein Ort für die lokale Szene oder Newcomer, sondern tatsächlich auch ein Ort, an dem sich Weltstars in schweißtreibender Enge erleben ließen. Dass etwa Jazzgrößen wie Chet Baker, Dizzy Gillespie und Art Blakey dort spielten, war schlicht eine Sensation.
Eine noch größere Sensation aber und eine mit großen Nachwirkungen fand 1976 statt. Da gab ein gewisser Al Jarreau aus Milwaukee sein Europa-Debüt und zunächst wollten nur etwa 50 Menschen den Sänger mit der Samtstimme, der Jazz, Soul und Pop so mühelos verband, hören. Am zweiten Abend, es hatte sich langsam herumgesprochen, was da geboten wurde, kamen schon 150 Gäste. Und am dritten Abend schließlich standen mehr als 1000 Menschen vor der Pö-Tür und wurden in kleinen Gruppen für jeweils 20-minütige Kurzkonzerte eingelassen. Bis 4 Uhr morgens ging das so, der NDR übertrug und für Al Jarreau war es der Start zu einer Weltkarriere. Noch Jahrzehnte später erinnert er sich an diese Auftritte und sprach von Hamburg als seiner „zweiten Heimat“. Ähnliches galt für Gitarrist Pat Metheny, dessen Aufstieg in die erste Liga des Jazz ebenfalls dort, im überfüllten und verrauchten Onkel Pö, seinen Anfang nahm.
Mitte der 1970er-Jahre war das Onkel Pö der Schmelztiegel der Hamburger Szene
Vor allem anderen aber war das Pö Mitte der 1970er-Jahre der Schmelztiegel der Hamburger Szene. Die Hymne zum Trend hieß „Hamburg 75“ von „Teufelsgeiger“ Lonzo und Pianist/Sänger Gottfried Böttger – den Text schrieb Satiriker Hans Scheibner. Kurioserweise lässt der Song sich mit Zeilen wie „Hamburg ’75, Jungs war das gemütlich / Da schien noch ein richtiger Mond in der Nacht / Die Musik haben wir noch mit der Hand gemacht / So was gibt es heute nicht mehr / Is’ verdammt lange her“ als Abgesang lesen – obwohl die Szene zu dieser Zeit mächtig boomte. So sehr, dass sich nicht nur die damals noch überschaubare Medienwelt auf das Thema stürzte. Auch die Plattenfirmen wollten dabei sein und mitverdienen. Ergebnis war ein Veröffentlichungsoverkill, der das Strohfeuer so schnell löschte, wie es sich entzündet hatte.
Das Pö aber blieb – und wechselte abermals den Besitzer. Holger Jass, Antiquitätenhändler und viele Jahre Stammgast, hatte gehört, die McDonald’s-Kette wolle am Standort des Onkel Pö, dessen Chef Peter Marxen die Lust an seinem Laden verloren hatte, eine Filiale eröffnen. Das durfte nicht sein und Sass erklärte sich bereit zu übernehmen – obwohl er nicht die geringste Ahnung von Gastronomie oder dem Musikgeschäft hatte. „Ich war jung, fit, ein bisschen naiv und brauchte das Geld nicht, dass ich mit wurmstichigen Möbeln verdient hatte – und ich wollte unbedingt eine Frikadellenbraterei verhindern“, so Jass in seinem anekdotenreichen Erinnerungsbuch „Mein Onkel Pö“.
Die Band U2 gab im Onkel Pö das erste Deutschlandkonzert
Tatsächlich machte sich Jass mit großem Engagement und der Hilfe von Barfrau Harriet („Ich habe ihn ein Jahr lang angelernt.“) daran, das Onkel Pö am Leben zu halten – unter anderem durch eine Erweiterung des Musikprogramms. Noch immer spielte der Jazz eine wichtige Rolle, aber es waren jetzt auch neue Bands aus ganz Europa und den USA, die den Weg nach Eppendorf fanden. Kaum zu glauben, wer dort alles spielte: Annie Lennox, bevor sie mit den Eurythmics zum Weltstar wurde, U2, deren Pö-Konzert ihr Deutschland-Debüt war und denen Holger Jass gegen den nagenden Hunger Griebenschmalzbrote schmierte, ein junger Terence Trent D’Arby, der so abgebrannt war, dass Sass ihm nach dem Auftritt 50 Mark für eine Bahnfahrt lieh.
Eines der ersten Hamburger Punkkonzerte fand im Onkel Pö statt (Big Balls and the Great White Idiot), die New Yorker No-Wave-Szene (Defunkt, James „Blood“ Ulmer) fand dort ebenso eine Heimat wie die Neue Deutsche Welle (Trio, Nichts, Ideal), und natürlich sind auch die Konzerte von Jazzlegenden wie Archie Shepp, Don Cherry und Gil Evans unvergessen.
Eine Tages kam Freddy Quinn und fragte, ob er singen dürfe
Viele Geschichten aus der zweiten Hälfte der Pö-Historie hat Holger Jass in seinem Buch versammelt, und so manches kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Etwa, dass nach einem Truck-Stop-Konzert ein unscheinbarer älterer Herr an den Tresen kam und fragte, ob er auch mal ein paar Lieder singen dürfe. Es war Freddy Quinn. „Der Held meiner frühen Kindheit“, so Jass. Natürlich durfte er. Oder wie eines Abends Mitarbeiter von WEA Records in den Laden kamen und Joe Cocker im Schlepptau hatten, der unbedingt noch irgendwo auftreten wollte. Im Pö tat er das dann ein paar Gläser später, bei Kerzenlicht (der Strom war ausgefallen) ohne Gage und vor gerade mal 60 Gästen.
Doch auch wenn sich die Liste der Anekdoten noch lange fortsetzen ließe und das Onkel Pö tatsächlich immens viele legendäre Nächte erlebt hat, war der Laden doch den Gesetzen des Marktes ausgesetzt. Vor allem der gestiegene Dollarkurs führte dazu, dass ausländische Bands kaum noch bezahlbar waren. 50.000 D-Mark seien bisweilen pro Monat an Kosten angefallen, berichtet Jass in „Die Höhle von Eppendorf“. Das war mit den Einnahmen eines Clubs, in den kaum mehr als 200 Menschen passen, nicht zu finanzieren. Förderung von der Stadt Hamburg gab es kaum bis gar nicht, die Plattenfirmen steckten das Geld inzwischen lieber in Videoclips als in Promotouren ihrer Künstlerinnen und Künstler – die Musikwelt hatte sich verändert.
Peter Marxen: „Pö-Jahre sind Hundejahre, die zählen siebenfach.“
Hinzu kam, dass die Bauaufsicht monierte, durch die Verstärkeranlage ausgelöste Vibrationen würden die Standsicherheit des Gebäudes gefährden. Da fiel Holger Jass ein Satz von Vorbesitzer Peter Marxen wieder ein, der ihm einst gesagt hatte „Pö-Jahre sind Hundejahre, die zählen siebenfach.“ So fühlte es sich jetzt tatsächlich an. Von den Knien bis zur Leber: Jass spürte, wie diese Pö-Jahre an ihm gezehrt hatten. Und so war nach dem Jahreswechsel 1985/86 endgültig Schluss. Nach 17 Jahren, Tausenden Konzerten, 350.000 Besuchern, 250.000 Litern Bier und 24.000 Flaschen Pineau. Ein trauriges Ereignis, über das sogar die „Tageschau“ berichtete, war doch eine Ära zu Ende gegangen.
Nach Entkernung und Komplettsanierung eröffnete später das Restaurant Legendär in den Räumlichkeiten, Filialen der Ketten „Schweinske“ (ab 2006) und „Mama“ (bis heute) folgten.
- Trauer um Peter Marxen, die Seele von Onkel Pö’s
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- Joe Cocker singt mit Herz, Bauch und Stimme
Für alle, die damals live dabei waren, ob Udo Lindenberg, der am Tresen und auf der Bühne des Onkel Pö groß wurde, oder NDR-Moderator Peter Urban, der nicht nur mit seiner Band Bad News Reunion immer wieder dort spielte, ist Onkel Pös Carnegie Hall ein Ort, an den sie gerne zurückdenken und der die Musikstadt Hamburg geprägt hat, wie nur wenige andere.
„Bei Onkel Pö spielt ’ne Rentnerband/Seit 20 Jahren Dixieland“ heißt es im Lindenberg-Hit „Alles klar auf der Andrea Doria“. Lange ist das her, aber schön war es doch.
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