Hamburg. Die Buchhandlung Kortes setzt sich deutlich von ihrem Namensgeber Alfred Kortes ab, der Mitglied der NSDAP gewesen sein soll.
Die Buchhandlung Kortes an der Elbchaussee 577 ist so etwas wie eine erste Adresse für literarisch Interessierte: eine engagiert und gut geführte Stadtteilbuchhandlung, die Lesende in Blankenese seit Jahrzehnten begleitet. Jeder der wenigen Eigentümerwechsel sorgte für neue Akzente, Qualität und guter Name blieben.
Im Oktober 2022 gab es wieder einen Generationswechsel: Pascal Mathéus (33) und Florian Wernicke (37) übernahmen das Geschäft, das zuvor von Hiltrud Klose 16 Jahre lang mit gutem Gespür für anspruchsvolle Literatur und aktuelle Themen behutsam modernisiert worden war. Auch die jungen Nachfolger wollen in diesem Geist weitermachen, also Tradition und Zukunft miteinander verbinden, mit Innovationen wie einem Literatur-Blog, einer lebendigen Homepage sowie Debattenkultur durch Lesungen vor Ort.
Blankeneser Buchhandlung Kortes reagiert auf NS-Vergangenheit
Als Pascal Mathéus jedoch begann, für die neugestaltete Website die Geschichte der Buchhandlung etwas genauer zu untersuchen, musste er feststellen, dass er und sein Kompagnon zwar eine gut geführte Buchhandlung übernommen hatten, aber keinen guten Namen. Die Recherche ergab nämlich, dass die bislang überlieferte Geschichte bis in die Nachkriegszeit hinein eher Legende mit einigen Leerstellen war, als dass sie den Tatsachen entsprochen hätte — was Konsequenzen haben wird: „Es ist klar, dass wir den Namen Kortes nicht weiter führen können“, sagt Mathéus.
Wernicke und er waren wie alle Nachfolger von Alfred Kortes davon ausgegangen, dass dieser die Buchhandlung 1921 im brandenburgischen Templin eröffnet und nach seiner Flucht aus der seinerzeit sowjetisch besetzten Zone 1945 in Blankenese wiedereröffnet hatte. „Das klang unverdächtig, doch schon erste Online-Recherchen ergaben, dass Alfred Kortes aktiver Nationalsozialist gewesen war und als Verleger und Buchhändler auf Parteilinie von 1933 bis 1945 davon profitiert hatte“, erzählt Mathéus, der als Historiker nun möglichst genau wissen wollte, was verschwiegen worden war.
Nach eigenen Recherchen ist die Buchhandlung die älteste in Hamburg
Er sichtete Dokumente im Bundesarchiv Berlin sowie in den Staatsarchiven in Potsdam, Leipzig und Hamburg, nutzte das digitalisierte Archiv des Börsenvereins des deutschen Buchhandels und schaute sich Publikationen des Verlegers Kortes im Stadtarchiv Templin an.
Aus alldem ergab sich ein Gesamtbild mit einer überraschenden Zusatzpointe. Mathéus: „Nicht einmal das Gründungsdatum der Buchhandlung war korrekt. Sie war nicht 1921 von Alfred Kortes gegründet worden, sondern bereits 1848 von Friedrich Wassermann, dessen Schwiegertochter Hedwig den Verlag mit Zeitung und Buchhandel fortgeführt und 1889 an Gottfried Kortes verkauft hatte. 1921 übergab der das Geschäft an seinen Sohn Alfred.“ Für Mathéus und Wernicke hat das den Nebeneffekt, dass ihr Geschäft in diesem Jahr 175 Jahre alt ist und deshalb als älteste Buchhandlung in Hamburg firmieren wird.
Bei Kortes gab es eine Abteilung für nationalsozialistisches Schrifttum
Die aufwendige Recherche ergab folgendes Gesamtbild: Alfred Kortes war seit Mai 1933 Mitglied der NSDAP, zeitweilig auch der SA. Er posierte öffentlichkeitswirksam in Uniform neben anderen Chargen der NS-Obrigkeit als Funktionär der deutschen Jägerschaft. Er war Verleger, Buchdrucker und Zeitungsherausgeber, verlegte die Templiner Kreiszeitung und den jährlichen Kreiskalender.
In seiner Kreiszeitung wurden Fragen wie „Wohin mit den Juden?“ erörtert und für den Vorverkauf eines „Großen Volkskonzerts anlässlich des Geburtstags unseres Volkskanzlers Adolf Hitler“ geworben. In seiner Buchhandlung gab es eine Abteilung für nationalsozialistisches Schrifttum mit Lehrbüchern sowie Karten für SA, SS und Wehrsportverbände.
Die Buchhandlung Kortes wird in Buchhandlung Wassermann umbenannt
All das verschwieg er nach seiner Flucht und Enteignung in Abwesenheit. Mithilfe zweier Zeugen war er laut Entnazifizierungsakte entlastet worden und bekam von der britischen Militärregierung in Hamburg schon 1945 die Lizenz, eine Buchhandlung und Leihbücherei in Hamburg-Blankenese zu eröffnen. Dass er ein durchaus einnehmender Geschäftsmann war, bezeugen Briefe an Verlage oder zum Beispiel an den Autor Hans Leip, die er durch persönliche Anschreiben für seine Buchhandlung zu gewinnen versuchte. Auch das erklärt, warum er in Blankenese ein akzeptierter Mitbürger und Ehrenmitglied im Bürgerverein war. 1968 verkaufte er die Buchhandlung, 1973 starb er.
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Pascal Mathéus und Florian Wernicke planen eine Podiumsdiskussion nach den Schulferien, an der Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien und ein weiterer prominenter Gast teilnehmen werden. Zur Veranstaltung wird die Buchhandlung umbenannt. Der neue Name wird Wassermann sein, was nicht schlecht zum Elbvorort Blankenese passt.
Damit diesmal nichts schiefgeht, hat Pascal Mathéus auch zum neuen Namensgeber recherchiert. Sein Fazit: „Friedrich Wassermann war kein 48er-Revolutionär, sondern königstreu. Aber er steht als Verleger für die Entstehung einer aufgeklärten Öffentlichkeit Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit der Wahl dieses Namens signalisieren wir, dass wir diese Tradition wertschätzen.“