Hamburg. Hamburgs herausragende Bücherdealer wurden in der Kunsthalle geehrt. Vorausgegangen war eine Neuerung in der Auswahl.

Bis viertel nach zehn hatte sich das Café Liebermann schon sehr gut gefüllt. Mit frohgemuten Buchhändlerinnen und Buchhändlern, mit dem ein oder anderen Autor, so ein Szenetreff in kultivierter Atmosphäre ist an einem Sonnabendabend keine schlechte Wahl der Freizeitgestaltung. Der Buchhandlungspreis sollte hier und heute vergeben werden, im Rahmen der Langen Nacht der Literatur. Zehn Buchhandlungen standen im Finale, man fieberte der Verkündung entgegen.

Dass die sich nach hinten verschob, lag an Kolleginnen und Kollegen vom Buchladen in der Osterstraße. Torsten Meinicke, Bettina Wittich und Ute Meyer schneiten dann in dieser lauen Sommernacht aber doch noch hinein, wenn nicht alles täuschte: beseelt von der vorherigen Lesung in der 1978 gegründeten Eimsbütteler Institution. Annika Büsing hatte im Buchladen ihr krachendes Debüt „Nordstadt“ vorgestellt. Muss gut gewesen sein.

Buchhandlungspreis: Verleihung begann gegen halb elf

Die Preisverleihung begann dann erst gegen halb elf so richtig, wir kommen darauf zurück. Zunächst aus diesem guten Anlass zu dem, was sich seit fast einem Jahrzehnt schon „Lange Nacht“ nennt und in der Hauptsache, also ohne die anschließende Stehparty mit Musik („Gipsy Swing“ von Danube’s Banks), am späten Nachmittag und frühen Abend zumeist in Hamburger Buchhandlungen stattfindet. Zu den Lesungen!

Klar, die Kunsthalle, genauer: der Werner-Otto-Saal, wurde auch im Hinblick auf über Ausstellungen hinausgehende Kulturveranstaltungseignung geprüft und für gut befunden. Ulla Hahn las vor großem Publikum aus ihrem schönen Öko-Eichhörnchen-Roman „Tage in Vitopia“. Aber das Herz der Langen Nacht der Literatur schlägt in den Buchhandlungen. Marie-Alice Schultz in der Buchhandlung Lüders, Leona Stahlmann im Büchereck Niendorf Nord, Ingebjørg Berg Holm in der Krimibuchhandlung Jussi – es waren vor allem Autorinnen, die diesmal am Start waren.

Lucy Fricke bei Cohen + Dobernigg zu Gast

Lucy Fricke, die gebürtige Hamburgerin und langjährige Berlinerin („Ich kriege seit zwei Jahren immer Heimweh, wenn ich in Hamburg bin, was soll das eigentlich mit Berlin?“) war mit ihrem aktuellen Roman mal wieder bei Cohen + Dobernigg zu Gast. Und wartete mit einem Bekenntnis vor der intimen Besucherschar auf. In Buchhandlungen kommen aus Platzgründen ja selten mehr als 50, 60 Leute. Doch auch die wollen geschickt unterhalten werden, dergestalt, dass sie anschließend ein Buch erwerben. Fricke punktete mit charmantem Auftreten. Ihr sei bei jedem neuen Buch wichtiger, was Daniela Dobernigg und John Cohen über dieses denken, als die Jury des Deutschen Buchpreises.

Damit sie auch ja bloß wieder eingeladen werde in die Buchhandlung im Karolinenviertel. Die ist an einem Abend am Wochenende inmitten der Ausgehfrak­- tion situiert, die Gastronomie zwischen Schanze und Feldstraßenbunker brummt an diesen Tagen. Weshalb das Klappfenster-auf-Klappfenster-zu-Spiel engagiert durchgezogen wurde. Es war einerseits arg geräuschig draußen, andererseits ein bisschen stickig drinnen. Pandemie war ja auch noch. Frickes aktuelles Werk heißt „Die Diplomatin“ und handelt vom täglichen Geschäft in Botschaften. Das ist ein Thema, mit dem man locker auf der Bestsellerliste landen kann und auch ein erwartungsvolles Buchhandlungspublikum schnell auf seiner Seite hat.

„Das sind selbstironische Leute da"

Frickes Bericht aus der Diplomatie und ihren gesellschaftlichen Anlässen („Ich stehe da immer rum und bin bloß Deutschland“) kam übrigens auch bei den Diplomaten im echten Leben gut an. Fricke recherchierte viel; klar, dass sie nach Veröffentlichung des Buches auch im Auswärtigen Amt las. „Das sind selbstironische Leute da, die lachen schon, wenn ein Wort wie ,Personalabteilung‘ fällt“, erzählte Fricke dem Publikum.

John Cohen, Co-Inhaber von „Codo“, wie die Stammkundschaft das Geschäft manchmal liebevoll nennt, hatte vor der Veranstaltung noch eine Regierungserklärung für seine Zunft abgegeben: „Die Lange Nacht der Literatur zeigt, dass es nicht nur große Festivals gibt, sondern dass auch wir etwas auf die Beine stellen.“

Codo will den Kleinen Saal der Laeiszhalle voll machen

Was an diesem, dem Fricke-Abend fraglos stimmte. Und was auch am 14. September stimmen wird, da vielleicht noch mehr, wenn Codo in Konkurrenz zum dann laufenden Harbour Front Festival tritt und den Kleinen Saal der Laeiszhalle voll machen will. Die Booker-Prize-Gewinnerin Bernadine Evaristo („Mädchen, Frau etc.“) ist auf Einladung der Buchhandlung in der Stadt – wow!

Cohen + Dobernigg waren bis zum Sonnabend die amtierenden Träger des Buchhandlungspreises. Jetzt gibt es mehrere Nachfolger. Erstmals und nach einem neuen Prozedere wurden gleich drei Buchhandlungen ausgezeichnet. Die Preisträger 2022, wie sie am späten Abend in der Kunsthalle verkündet wurden, sind die Buchhandlung Seitenweise in Hamm, die Buchhandlung am Sand in Harburg und der Buchladen in der Osterstraße/Eimsbüttel.

Buchhandlungspreis geht nach Hamm, Harburg und Eimsbüttel

Aus den Händen von den Initiatoren der Langen Nacht der Literatur, Buchhändlerin Christiane Hoffmeister und Literaturhaus-Chef Rainer Moritz, sowie der Hamburger Literaturreferentin Antje Flemming erhielten alle drei Prämierten Blumen und Urkunden. Da war der Jubel jeweils groß bei Ausrufung der unter Verschluss gehaltenen Siegernamen. Es war also wie bei den Oscars, nur ohne Glamour. Wobei, ganz ohne Spott, glänzende Buchhändler halt doch dann besonders gut sind, wenn innere Werte mit im Spiel sind. Die wurden in kurzen Laudationes gepriesen. Eine Stammkundin tat dies im Falle von Seitenweise („Enormer Booster von Lebensqualität“), der Autor Sebastian Stuertz bei der Buchhandlung am Sand und Franziska Otto (Edition Nautilus) beim Buchladen in der Osterstraße.

2022 erhält jede Sieger-Buchhandlung ein Preisgeld in Höhe von 4000 Euro. Die siebenköpfige Jury entschied sich in diesem Jahr erstmals für Buchhandlungen in Hamm und Harburg, womit deutlich wird: In Hamburg gibt es in vielen Stadtteilen gut ausgestattete, moderne Geschäfte für Literatur, die eine wichtige Rolle im kulturellen Leben des jeweiligen Quartiers spielen. Der Buchladen in der Osterstraße pflegt auch im Jahr 2022 noch unverdrossen das Motto „Lesen fängt links an“. Damit ist er erst zum Klassiker geworden und jetzt zum verdienten Preisträger.