Hamburg. Der Schockrock-Pionier über das neue Album „Road“, sein geplantes Musical, Johnny Depp und die Loyalität der deutschen Fans.
Da sitzt er gemütlich in einem Sessel des Hamburger Luxushotels The Fontenay, ein höflicher Gentleman und 75 Jahre alter Großvater. Treu, gottesfürchtig, wohlüberlegt und ausführlich erzählend. Ein „nice guy“. Alice Cooper ungeschminkt und nicht auf der Bühne zu sehen, ist ein geradezu grotesker Kontrast zu den Bühnenshows des Schockrock-Pioniers, der sich seit Jahrzehnten auf seinen Tourneen enthaupten, erdrosseln, erhängen und wer weiß wie ins Reich des Todes schicken lässt. Vor ein paar Wochen spielte Vincent Damon Furnier, wie er bürgerlich heißt, mit Johnny Depp und Luke Perry von Aerosmith als Hollywood Vampires, als „teuerste Coverband der Welt“ im Hamburger Stadtpark. Nun ist es Zeit, mit seiner 1975 gestarteten Solokarriere (von 1968 bis 1974 war Alice Cooper noch eine Band) weitere Meilen abzufahren: „Road“ heißt das neue Studioalbum, das von den Licht- und Schattenseiten des Unterwegsseins als Musiker erzählt.
Hamburger Abendblatt: Nach 60 Jahren Leben auf Tour erscheint jetzt mit „Road“ ein Album über: das Leben auf Tour. Gerade waren sie mit den Hollywood Vampires unterwegs, jetzt geht es mit Ihrer eigenen Band in den Bus. Haben Sie kein Zuhause?
Alice Cooper: Ich habe immer Themen- und Konzeptalben aufgenommen. „Welcome To My Nightmare“ handelte von Alpträumen, „Along Came A Spider” war eine Krimigeschichte, und auf „Road“ drehen sich alle zwölf Songs um das Tourleben. Auch, weil ich meine Tourband im besten Licht präsentieren will. Also sagte ich: Lasst uns Songs über das Tourleben schreiben. Ich bin seit 60 Jahren on the road, und viele davon mit euch Straßenratten.
Alice Cooper: „Road“ klingt wie ein Best-of der vergangenen 60 Jahre
Es ist ein sehr spielfreudiges Album mit tollen Gitarrensoli, Bassläufen, Trommelwirbeln, auch der Sänger ist nicht schlecht. Es ist mehr ein Alice-Cooper-Bandalbum als ein Alice-Cooper-Soloalbum.
Cooper: Genau so soll es auch sein: Schreibt Lieder über die Straße, was ihr darüber erzählen wollt, macht Themen-Vorschläge und ich überlege, wie Alice es erzählen würde. Also nicht ich, sondern mein Alter Ego, das Charaktere immer überzeichnet: „White Line Frankenstein“ zum Beispiel erzählt von Menschen, die nur im Bus oder Truck leben und Mittelstreifen zählen. „Road Rats“ ist eine Ode an die Roadies, Stagehands, Beleuchter, die unser Leben und unsere Shows erst möglich machen.
Stilistisch bewegt sich „Road“ zwischen Metal, Hardrock und Garagenrock der vergangenen 50 Jahre. Wie ein Medley aller Alice-Cooper-Jahrzehnte, ein Best-of. Vielleicht ist das Ihr definitives Album.
Cooper: Was dieses Album so einzigartig macht, ist, dass von gut 30 Alben nur zwei so ähnlich entstanden sind wie „Road“: „The Eyes Of Alice Cooper“ 2003 und „Dirty Diamonds“ 2005. Wir schrieben die Songs zusammen als Band und nahmen sie live im Studio auf. Das zeigt, wie gut die aktuelle Band ist. Und wir hatten den Spaß unseres Lebens.
Alice Cooper: „Ich habe aber nie gezielt nach Gitarristinnen gesucht.“
Schön, dass auch Gitarristin Nita Strauss wenige Monate nach ihrem Ausstieg wieder zurück an Bord ist.
Cooper: Ich nenne es meine Drehtür. Wenn zum Beispiel mein Gitarrist Ryan Roxie einen Song schreibt, der es ins Radio schafft, sag ich: Los, ab mit dir, mach was draus, ich unterstütze dich dabei und finde schon Ersatz, es gibt ja viele großartige Gitarristen. Wenn Du Erfolg hast, gönne ich ihn dir. Aber: Wenn du es nicht schaffst, bist du immer willkommen. Meine Show ist wie eine Schule: Leute kommen, lernen etwas und gehen wieder.
Eine große Bühne für Rockgitarristinnen wie Nita Strauss oder ihre Vorgängerin Orianthi ist leider immer noch eine Ausnahme.
Cooper: Sie sind einzigartig. Spektakulär. Ich habe aber nie gezielt nach Gitarristinnen gesucht. Als ich Nita das erste Mal gehört habe, war es mir völlig egal, wer sie ist oder wie sie aussieht, sie musste einfach in meine Band. Sie steht absolut für sich, sie ist ihre eigene Welt, eine Naturgewalt, die auf der Bühne alle in den Bann zieht. Und eine absolut gefestigte, problemlose Persönlichkeit, die perfekt zu den anderen Jungs passt. Alle sind beste Freunde, es gib kein Gemecker backstage, und auch die freien Tage werden gemeinsam verbracht – verrückterweise ist es genauso bei den Hollywood Vampires. In acht Jahren gab es nicht einen Streit innerhalb der Band.
Das ist nicht selbstverständlich in einer Band voller Superprominenz wie die Hollywood Vampires: Joe Perry, Johnny Depp, Alice Cooper.
Cooper: Dabei waren die Leute entsetzt, als sie mitbekamen, dass Johnny Gitarre spielt. Hey, er wäre nicht in der Band, wenn er nicht ein großartiger Gitarrist wäre. Bei uns ist er nicht der Schauspieler, er ist der Gitarrist.
Alice Cooper: „Ich liebe das Touren. Meine Frau ist immer dabei.“
Sie beenden zum Zeitpunkt dieses Gesprächs gerade eine Tour, bringen ein Album heraus, gehen danach wieder auf Tour, arbeiten am nächsten Album, haben eine Radiosendung, planen ein eigenes Musical. Ein sehr voller, ermüdender Terminkalender für einen – mit Verlaub – nicht mehr ganz so jungen Künstler. Nicht zu vergessen Ihre Familie. Wie kriegen Sie das alles unter einen Zylinder?
Cooper: Ich bin ein Entertainer. Ich liebe das Touren. Meine Frau ist immer dabei. Und ich wüsste nicht, was ich sonst tun sollte. Warum soll ich in Rente gehen? Klar, wenn die Gesundheit nicht mitspielen würde, wäre das etwas Anderes. Aber noch denke ich wie ein Schachspieler immer zwei Züge voraus, mein ganzes Leben lang. Aerosmith ist auf Abschiedstour, KISS ist auf Abschiedstour, aber ich bin noch nicht so weit.
Was Ihr Musical betrifft, wäre das neue Album „Road“ eine gute Story dafür. Abenteuer auf der Straße, viele Nebenhandlungen, Skandale.
Cooper: Ja, das könnte gehen. Ich träume schon lange von einer Broadway-Show wie The Whos „Tommy“ oder „Tina“ über Tina Turner. Die Musik ist schon geschrieben, und diese Broadway-Show ist „Welcome To My Nightmare“: Eine Alice-Cooper-Geschichte von Anfang bis Ende für alle Sinne.
Sie haben ja selber bereits in Musicals wie „Jesus Christ Superstar“ mitgespielt...
Cooper: Das Ding ist: So viele Menschen vergessen in unserem Geschäft, Spaß zu haben. Eine Band beginnt, feiert zuerst wie verrückt, um dann nach fünf Jahren ausgebrannt zu sein. Ausgefeiert. Ist auch nicht schön. Aber zu viele denken daran, wie viel Prozent sie an jedem T-Shirt verdienen, statt zu überlegen, wie ihre Songs und Shows besser werden können. Zu viel Ablenkung vom Wesentlichen und der Spaß bleibt auf der Strecke. Als ich meinen Manager Shep Gordon 1968 kennenlernte, sagte ich zu ihm: „Erzähl mir nie auch nur irgendwas über Finanzen“. So läuft das seit bald 60 Jahren. Mit Vertrauen. Aber klar, so funktioniert das nicht bei allen. Es gibt genug Bands, die übel betrogen wurden.
Alice Cooper: „Diese wilden Zeiten sind vorbei, die meisten sind verheiratet“
Ihr neuer Song „Go Away“ erzählt von einem Fan, der sein Idol auf Schritt und Tritt verfolgt. Passierte Ihnen das auch?
Cooper: In den 60ern und 70ern, der Hochzeit von Groupies und One-Night-Stands. Wir waren jung und haben viel mitgemacht. Diese Zeiten sind vorbei, die meisten sind verheiratet, keine Drogen mehr. Für uns ist es eine andere Welt heute.
- Konzert Hamburg: Band M83 legt im Stadtpark den lautesten Auftritt des Jahres hin
- Wolfmother in Hamburg: Geilgeilgeil! Aber dennoch so tragisch
- James Blunt: Der sanfte Superstar kommt nach Hamburg
Ihr 2021 erschienenes Album „Detroit Stories“ war ihr erstes Nummer-eins-Album in Deutschland. Haben Sie eine besondere Beziehung zu den Fans hier?
Cooper: Das ist interessant. In den 54 Jahren des Tourens sind die deutschen Fans die absolut loyalsten. Da sind Familien, die seit mehreren Generationen zu den Shows kommen. Mit Kindern. Mit Enkelkindern. Und mich haben sie adoptiert. Das ist großartig, und deshalb spiele ich mehr Shows in Deutschland als anderswo. Vielleicht liegt es daran, dass ich aus Detroit stamme und so klinge: Industrie, harte Arbeit, Fleiß, Mittelklasse.
Mit ihrer ersten Band The Earwigs spielten Sie 1964 Beatles-Songs. Jetzt sind Sie in Hamburg, der Stadt in der die Fab Four erwachsen wurden. Ist Ihnen das bewusst bei Ihren Besuchen in der Hansestadt?
Cooper: Hamburg hat wirklich eine fantastische Geschichte. Die Tatsache, dass sie hier viele Monate verbracht haben und lernten, wie man eine Show spielt, erinnert mich immer an meine Anfänge: Wir spielten wie die Beatles in Bars Coversongs, in unserem Fall von den Yardbirds bis The Who. Stunde spielen, Pause, Stunde spielen, Pause. Immer weiter. Das Dasein als Bar-Band schult ungemein. Daher sagte ich auch 2015, als wir die Hollywood Vampires gründeten: „Lasst uns eine Bar-Band sein“. Na, ja. Einen Augenblick später spielten wir bei „Rock in Rio“ vor 100.000 Leuten.
Alice Cooper: „Road“ (earMusic) bereits im Handel; www.alicecooper.com