Hamburg. „Nackttanz“ und mehr: Der britische Tenor Ian Bostridge und das belgische Ensemble Oxalys berühren mit einem Liederabend.
Sänger – und Sängerinnen – stehen auf der Opernbühne, geben Galas mit Best-of-Arien oder Liederabende mit Klavier. Und sonst? Was ist mit dem Reich, dem Reichtum der Kammermusik? Da wird es dünn. Repertoire gibt es zuhauf, aber es passt nicht in die gängigen Konzertformate.
Deshalb ist das Programm, mit dem der britische Tenor Ian Bostridge und das belgische Instrumentalensemble Oxalys beim Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) zu Gast sind, eine wahre Fundgrube. Etwas für Feinschmecker. Man merkt es schon daran, wie aufmerksam das Publikum ist, das in den Kleinen Saal der Elbphilharmonie gekommen ist.
Ian Bostridge: Wer dabei war, geht beschenkt nach Hause
London ist ja in diesem Sommer das Traumziel des Festivals. An diesem Abend lassen wir die Megametropole allerdings hinter uns und ziehen aufs Land. In den Vertonungen von Gedichten aus der Feder von Alfred Edward Housman und William Butler Yeats erklingen die zartesten Nuancen der Flora und Fauna, die nass geregneten, silbrigen Blätter einer Espe etwa, der Schrei des Brachvogels oder der Ruf des Kiebitzes.
Die exquisiten Naturbilder stehen symbolisch für menschliche Regungen, allen voran natürlich die Liebe. Wir befinden uns schließlich in der Spätromantik; die Werke von Gustav Holst, Ralph Vaughan Williams, Peter Warlock und Felix White sind alle in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden.
Holsts „Seven Scottish Airs“ für Streichquartett und Klavier beginnen mit einer robusten Tanzweise. Aber schon bald weicht die fröhliche, rhythmusbetonte Musik einem zutiefst melancholischen Nachhorchen, auch eine Andeutung der berühmten „Greensleeves“ weht vorbei. Wie die Musiker die unterschiedlichen Stimmungen und Farben zum Klingen bringen, das fesselt vom ersten Moment an.
Elbphilharmonie: Hier kommt es auf jede einzelne Note an
Bostridge hat seinen ersten Auftritt mit Liedern von Vaughan Williams, die einem Nackttanz nahekommen: Begleitet werden sie nur von einer Geige. Keine Stütze durch eine Basslinie, kein Einkuscheln in Akkorde wie im Klavierlied. Stattdessen führen hier zwei Individuen ein hoch konzentriertes Gespräch. Die Musik beginnt tastend und steigert sich, wird dichter und virtuoser. Es kommt auf jede Note an und ganz besonders auf den Sinnzusammenhang mit dem Text.
Dieses Genre ist ideal für Bostridge, für seine klare Diktion und seine intelligente, überaus expressive Gestaltung. Bostridge hat Wesentliches zu sagen. Dass er klanglich oft Mühe hat, fällt dabei nicht so ins Gewicht.
SHMF-Konzert: Das flirrt und seufzt, das stürmt und knarzt aber auch
Warlocks Liedzyklus „The Curlew” begleiten Querflöte, Englischhorn und Streichquartett, beim Zyklus „On Wenlock Edge“ von Vaughan Williams sind wieder Streichquartett und Klavier dabei. Kein Blatt passt zwischen die Beteiligten, es ist deutlich zu hören, wie sie die feinsten Regungen aneinander wahrnehmen und in Klang ummünzen. Das flirrt und seufzt, das stürmt und knarzt aber auch.
- Laieiszhalle: Wenn auf der Bühne auch mal kunstvoll gegrölt wird
- Elbphilharmonie: Mulatu Astatke ist 79 Jahre und immer noch in Bestform
- Kampnagel: Bewegende Trauma-Bewältigung auf der Bühne
Wer dabei war an diesem Abend, geht beschenkt nach Hause. Von Wort und Text und der Verbindung, die sie eingehen. Und von einem Publikum, das sich ergreifen lässt und der Wirkung der Lieder Raum gibt, sich auch nach dem Schlussakkord noch zu entfalten, bevor es gedankenlos losklatscht. Geht doch.