Hamburg. Beim Schleswig-Holstein Musik Festival kam Henry Purcells „King Arthur“ zur Aufführung. Ein oft berührender, manchmal gar derber Abend.

Es werde ein besonderer Abend, mit „viel Magie“: So hatte es Ann-Kristin Zoike vom Schleswig-Holstein Musik Festival bei ihrer kurzen Begrüßung in der Laeiszhalle angekündigt. Und das war nicht zu viel versprochen. Schließlich spuken allerlei Luft- und Erdgeister, Nymphen und Sirenen durch Henry Purcells „King Arthur“. Eine kurzweilige, kontrastpralle „dramatic opera“, in der Arthur, König der Briten, eine feindliche Invasion zurückschlägt – und dabei gern mal die Hilfe übernatürlicher Kräfte in Anspruch nimmt.

Laeiszhalle: Wenn beim SHMF auch mal kunstvoll gegrölt wird

Das ist von Purcell gewitzt bis genial komponiert und von Paul McCreesh in eine griffige Konzertfassung gebracht. Der britische Dirigent forscht seit über einem Vierteljahrhundert zur Quellenlage des Stücks und hat einiges umgestellt und ergänzt, aber auch Sprechpassagen gestrichen, um Purcells Musik noch besser zur Geltung zu bringen.

Es dauerte allerdings ein Weilchen, bis sich deren Zauber so richtig entfalten konnte. Genauer gesagt, bis in den zweiten Akt. Dort beschwört Purcell ein ländliches Idyll aus dem barocken Bilderbuch, mit Schäferinnen und Schäfern, irgendwo im Grünen, und einer Hirtenarie im sanft schwingenden Sechs-Achtel-Takt. Dass dieser Hirte zu Beginn seiner Arie davon säuselt, wie glücklich und froh die Schäfer und Mädchen doch seien, wenn Trommeln und Trompeten zum Kampf rufen, wirkt erst mal befremdlich. Aber der zweite Teil mahnt friedlich dazu, die Freuden des Lebens zu genießen.

Im Vordergrund stehen – bildlich und im Wortsinn gesprochen – die Vokalstimmen

Ein guter Rat, den der Tenor Matthew Long seinem Publikum zart in die Ohren schmeichelt, begleitet nur von der leisen Laute. Hinreißend. Anschließend nimmt der Chor seine Melodie auf. Und wie McCreesh da, anstatt zu dirigieren, einfach mitsingt: Das ist ein schönes Bild für die familiäre Atmosphäre und den kammermusikalischen Geist der Aufführung, die vielleicht auch ohne einen Leiter funktioniert hätte.

Ganze 14 Mitglieder umfasst das Gabrieli Consort, dazu noch eine dreiköpfige Continuogruppe, besetzt mit Cembalo und zwei Zupfinstrumenten vorne rechts auf der Bühne.

Im Vordergrund stehen jedoch – bildlich und im Wortsinn gesprochen – die Vokalstimmen. Ein Ensemble aus neun britischen Sängerinnen und Sängern, die alle chorischen und solistischen Partien stilsicher interpretieren und dabei ihre große Lust auf den Text offenbaren. Etwa wenn sie den kleinen Knalleffekt vom Wort „beat“ (schlagen) mit einem Akzent anschärfen.

Henry Purcells „King Arthur“: Bass Dingle Yandell ragt heraus

Aus der fast ausnahmslos exzellenten Riege ragt einer heraus: der Bass Dingle Yandell, der im fünften Akt als Windgott Aeolus auftritt und befiehlt, die „blasenden Brüder des Himmels“ mögen sich gefälligst zurückziehen, um Britannien erstehen und über das Meer triumphieren zu lassen. Umwerfend, mit welcher Klangfülle Yandell die Kraft des Windgottes verkörpert und in den Saal abstrahlt. Stark aber auch, wie er sich später ins Pianissimo zurücknimmt und nur noch auf einem halben Stimmband flüstert, als er die heitere und ruhige Zukunft der Insel ausmalt.

Wie seine Kolleginnen und Kollegen singt auch Yandell auswendig und nutzt den Freiraum, um die Aufführung mit szenischen Momenten anzureichern. Im dritten Akt, den Purcell in einer verschneiten Winterlandschaft starten lässt, sitzt der Bass als „Genius der Kälte“ wie festgefroren auf einem Stuhl. Erst Cupido, Gott der Liebe, gelingt es, den Genius und das Volk allmählich aufzutauen und zusammenzubringen. Die Sopranistin Charlotte Shaw entfrostet alle, als sie als Cupido über die Bühne eilt. Sie fasst die Menschen an Armen und Ellbogen und berührt mit ihrem schlanken, beweglichen Timbre, das genau die richtige Wärme hat, um das Eis schmelzen zu lassen.

Purcell hat diesen Wandel aufregend und plastisch vertont. Stockende Achtelbewegungen malen das anfängliche Zittern vor Kälte aus. McCreesh und sein Gabrieli Consort formen einen kühlen Klang, indem die Streicher nahe am Steg spielen. Ein Sound wie mit eisiger Hand in die Saiten geschabt. Brrrr!

Laeiszhalle: Die Sängerinnen und Sänger berühren in den zärtlichen Momenten

Hier ist das gewollt und klasse. Anderswo allerdings weniger passend. Einige Instrumentalpassagen bedienen das Klischee der vermeintlichen britischen Kühle. Da McCreesh vor allem auf das Gerüst der Streicher baut, Oboen und Fagott nur erstaunlich selten dazumischt und das Bassregister eher dünn besetzt, fehlt es dem Gabrieli Consort an Breite und Tiefe im Klang. Die Geigen dominieren. Sprich, das Ensemble kommt manchmal ziemlich fiepsig daher. Da hat die Magie ihre Lücken.

Aber die füllen die Sängerinnen und Sänger auf, mit einem breiten Spektrum des Ausdrucks. Sie berühren in den zärtlichen Momenten, wie beim Duett der beiden Sopran-Sirenen, von Anna Dennis und Mhairi Lawson allerliebst gezirpt. Aber sie reißen auch mit, können auch derbe zupacken. Im Chor der Bauern, kurz vor Schluss, sind die Landleute schon genau so voll wie die Scheunen. „Wir trinken unser Bier bis zum Umfallen aus“ heißt das Credo, das Purcell den Männerstimmen in die Kehlen legt. Und die Jungs auf der Bühne haben Spaß daran, kunstvoll zu grölen. Ihr Unisono klingt wie auf dem Weg ins Stadion. Die Magie der Musik hat viele Gesichter.