Hamburg. Geiger Christian Tetzlaff sorgt beim SHMF für beglückende Momente, doch Teile des Publikums stören leider die intensive Atmosphäre.
Sommer, Sonne, Festival, gerade noch. Im Großen Saal der Elbphilharmonie herrschen helle Kleidung und fröhliche Stimmung vor. Christian Kuhnt, Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals, spricht ein paar launige Begrüßungsworte und ermuntert das Publikum, die „tragbaren Fernsprechgeräte“ abzuschalten. Das kann nie schaden. Wozu er das Publikum leider nicht ermuntert: mit dem Klatschen jeweils auf das Ende eines Stücks zu warten. Das wird sich rächen.
SHMF in der Elbphilharmonie: Dazwischenklatscher stören Konzerterlebnis
Das Londoner Philharmonia Orchestra beginnt mit dem Violinkonzert von Elgar, einem Werk wie schwerer, dunkler Samt. Elgar befand sich im Zenit seines Ruhms, als er sich von dem Geiger Fritz Kreisler inspirieren ließ, ein Violinkonzert zu schreiben. Uraufgeführt 1910, steht das Stück hörbar in der Nachfolge von Brahms.
Wer wäre dafür als Interpret berufener als der bekennende Brahms-Fan Christian Tetzlaff? Er ist der Glutkern der folgenden 50 Minuten, in denen sich Santtu-Matias Rouvali, der Chefdirigent des Orchesters, auf eine eher moderierende Tätigkeit beschränkt. Tetzlaff muss unsichtbare Magneten am Rücken haben, jedenfalls nimmt er die Musiker und Musikerinnen unwiderstehlich mit.
Christian Tetzlaff: Manchmal kann einem vom Zusehen schwindlig werden
Die Musik fließt durch jeden Zoll seines Körpers. Manchmal kann einem vom Zusehen schwindlig werden, wenn er in die Knie geht, sich krümmt und in alle Richtungen windet. Die gängige Lehrmeinung ist, dass zu viel körperliche Bewegung der Musik Energie abziehe. Tetzlaff ist der klingende Beweis des Gegenteils. Sein Bogen verliert kein Zehntelgramm an Kontakt mit der Saite. Seine Greiner-Geige (er spielt einen Neubau statt einer Stradivari oder Guarneri, ohne die es doch angeblich nicht geht) knurrt und faucht, zagt und fleht, strahlt und flirrt.
Beglückend kammermusikalische Passagen wechseln in dem Konzert mit solchen, in denen Solo und Tutti mit- oder gar gegeneinander zu kämpfen scheinen. Im langsamen Satz darf das Orchester aussingen. Tetzlaff lässt auch hier nicht nach an Intensität. Noch am Ende eines schier endlosen vibratolosen Tons, mit dem er sich förmlich in die Herzen der Zuhörer gebohrt hat, bleibt ihm Raum, um den Ton aufblühen zu lassen, eine neue Harmonie zu beleuchten, eine ganz andere Welt zu betreten. Ungezählte Nuancen entlockt er der Musik und geht dabei ständig ins maximale Risiko. Wenn es im Finale bei einer der unzähligen hochvirtuosen Stellen mal kracht oder knarzt oder ein Ton wegbleibt, wen stört denn das?
Pauke, Bässe und tiefes Blech sind als Rhythmusgruppe oft zu laut
Das Publikum jedenfalls nicht. Das klatscht zwischen den Sätzen los und nutzt auch sonst jede Spannungspause. Der innere Zusammenhalt ist zerrissen, die Künstler scheinen zusammenzuzucken, Rouvali macht diskrete, aber vergebliche Zeichen.
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Bei Tschaikowskys Fünfter nach der Pause lässt er die Arme zwischen den Sätzen nicht mehr sinken. Das hilft. Allerdings ist sein Dirigat insgesamt recht straff. Es ist ein arg sportlicher Tschaikowsky, der da erklingt, man hört gewissermaßen das Skelett.
Rouvali ist von Haus aus Schlagzeuger. Vielleicht sind deshalb Pauke, Bässe und tiefes Blech als Rhythmusgruppe oft zu laut, während die Streicher insgesamt blass und obertonarm klingen, ohne sich mit der Akustik des Saals zu verbinden. Von der freischwingenden Melodik, vom Atmen und Innehalten, von den irisierenden Klangfarben Tschaikowskys ist wenig zu hören. Dass der Komponist in diese Sinfonie seine Seelenqualen gegossen hat, das teilt sich an diesem Abend nicht wirklich mit.
Am Ende gibt es trotzdem frenetischen Applaus.