Hamburg. Wie reich die Historienmalerei des 19. Jahrhunderts ist, zeigt die neue überwältigende Gemäldegalerie mit Hans Makart.

Making History. Geschichte machen, das gelingt Alexander Klar mit seinem jüngsten Coup. Dafür, dass er den viele Jahre verborgenen Makart aus dem Depot wieder ans Licht holt und so großartig, elegant und modern präsentiert, wird der Direktor ganz sicher in die Annalen der Hamburger Kunsthalle eingehen. Es handelt sich um das Gemälde „Der Einzug Karls V. in Antwerpen“, geschaffen 1878 von Hans Makart (1840–1884), einem der großen deutschen Historienmaler mit Atelier in Wien.

Die mit gut fünf mal knapp zehn Metern riesenhafte Komposition zeigt den rauschhaften Festeinzug des jungen Kaisers Karl V. in der belgischen Hafenstadt am 23. September 1520. Als Grundlage für sein Ölgemälde dienten Makart die Aufzeichnungen Albrecht Dürers, der bei dem Ereignis zugegen war und den der Maler auch im linken Bilddrittel porträtiert. Dürer beschrieb die Szene detailliert in seinem „Tagebuch der niederländischen Reise“ mit „Pforten köstlich geziert, mit kammerspielen, großer Freudigkeit und schönen Jungfrauen Bilder, dergleichen ich wenig gesehen habe“.

Zu Zeiten des Kaisers war es durchaus üblich, nackte Frauen als Allegorien für Begriffe wie Romantik, Wahrheit oder Gerechtigkeit oberhalb des Bildgeschehens zu zeigen; bei Makart aber tauchen die „Jungfrauen“ unterhalb des Machthabers auf, was im 19. Jahrhundert schon für Aufregung sorgte. Ein Skandalbild seiner Epoche.

Eine 50 Quadratmeter große Herausforderung

1879 erwarb die Kunsthalle dieses Hauptwerk von einer Hamburger Galerie. Bevor es dort ausgestellt werden konnte, ging das Gemälde zunächst für zwei Jahre auf ausgedehnte Europa-Tournee und zog in verschiedenen Museen mehr als 100.000 Besucher an. Ab 1881 bildete es das Herzstück des „Makart-Saals“. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Gemälde ausgelagert und wurde bis 1981 nicht öffentlich ausgestellt. Direktor Werner Hoffmann beförderte das Werk erstmals wieder zutage; doch mit Wiedereröffnung der Kunsthalle 2016 wurde es erneut ins Depot verbannt. Bis heute.

„,Der Einzug Karls V. in Antwerpen‘ ist ein großes, unübersehbares, aber erklärungsbedürftiges Bild“, so Alexander Klar, der „die Wiederkehr des Makart“ schon im Rahmen der Jubiläumsfeier des 150-jährigen Bestehens im vergangenen Jahr groß angekündigt hatte. Seine Forderung an die Kuratoren: „Stellt das Bild in einen Kontext!“ „50 Quadratmeter Herausforderung“, so nennt es Amelie Baader, die nun zusammen mit Markus Bertsch einen Ouvertürensaal eingerichtet hat, der einen tatsächlich überwältigt, sobald man die monumentale Prunktreppe emporgestiegen ist.

Auf samtigen, auberginenfarbig bespannten Wänden prangen goldgerahmt in Petersburger Hängung (also blockartig) Schätze aus der Sammlung, die zum Teil 100 Jahre nicht zu sehen waren. Der frontal platzierte Makart wird flankiert von einem Ensemble, das die Kuratoren mit „Gefühlswelten. Von Trauer, Schmerz und Abschied“ überschrieben haben.

Napoléons Porträt als gescheiterter Feldherr beeindruckt

Ein Bild, das sofort den Blick auf sich zieht, ist „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“, ein inniges Mutter-Kind-Motiv mitten im malerischen Nirgendwo. Es stammt von dem Hamburger Maler Bruno Piglhein aus der Zeit um 1890 und berührt immer noch. Dasselbe gilt für Henriette Browns „Die barmherzigen Schwestern“ von 1859. Das Gemälde, das die Umsorgung eines Waisenkindes zeigt, wurde bei seiner ersten Ausstellung in Paris als „Perle der Salonmalerei“ gefeiert.

Bei „Geschichte hautnah. Zur Historienmalerei im 19. Jahrhundert“ begegnen den Betrachtern emotionale, beinahe psychologisierende Porträts des Malers Paul Delaroche. Sehr beeindruckend ist das Bild von dem gescheiterten Feldherrn Napoleon Bonaparte. Mit ihrem Konvolut an Delaroche-Werken liegt die Kunsthalle europaweit übrigens ganz vorne. Zentrales Werk dieses Ensembles ist Friedrich Karl Hausmanns „Galilei vor dem Konzil“ (1861), das dem Museum zu seiner Gründung geschenkt wurde und das bis vor Kurzem an der jetzigen Makart-Position hing.

In „Mythos Antike. Das Ideal auf dem Prüfstand“ treffen wir auf einen Erzrivalen von Hans Makart: Anselm Feuerbach und „Das Urteil des Paris“ von 1870. Ein Gemälde, das heute viel eher den Verdacht erregt, sexistisch zu sein und Frauen zu diskriminieren, als Makarts Jungfrauen, ist Jean-Léon Gé­rômes „Phryne vor den Richtern“ (1861). Das Gemälde zeigt die Kurtisane Phryne bei einer Verhandlung vor dem Areopag (alte weiße Männer, die auf die Frau starren), vor den sie wegen Gotteslästerung gestellt wurde, da sie ihre Schönheit mit der der Göttin Venus verglichen hatte. Zum Beweis ihrer Unschuld enthüllte ihr Verteidiger Hypereides ihren makellosen Körper und erreichte so ihren Freispruch.

Historisches und gegenwärtiges Bildgedächtnis

Mit „Faszination Fremde. Der nahe Osten im Bild“ und „Stürmische Zeiten. Das Ende der klassischen Landschaft“ widmen sich zwei Sektionen typischen Motiven der Historienmalerei. „Was diese Stilrichtung alles kann, aber auch, welche Abgründe sich in ihr auftun – mit dem neuen ,Makart-Saal‘ hat Hamburg nun auch eine Gemäldegalerie, die all die Facetten des vielfältigen, spannungsreichen, pluralistischen 19. Jahrhunderts zeigt – jenseits des Kitschverdachts“, so Markus Bertsch.

Alexander Klar ergänzt: „Die Entscheidung, den Saal der Historienbilder an den Anfang des Rundgangs der Hamburger Kunsthalle zu stellen, eröffnet uns die Möglichkeit, unseren Besuchern gleich zu Beginn des Besuchs eindrücklich vor Augen zu führen, was ein Kunstmuseum eigentlich ist: das historische und gegenwärtige Bildgedächtnis unserer Gesellschaft.“

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„Der Einzug Karls V. in Antwerpen“ ist ein Gemälde, zu dem man immer wieder zurückkehren kann, in dem man sich wie in einem Wimmelbild aus Figuren, Gesten und Zitaten der Kunstgeschichte verlieren kann. Kaum zu glauben, dass der Maler bis zur Fertigstellung nur drei Monate gebraucht haben soll. Es scheint wie im Rausch gemalt. Man kann Ekkehard Nümann, der mit seinem Freundeskreis dieses Wahnsinnsprojekt maßgeblich finanziert hat, nur zustimmen. Es ist eine Schande, dass „der Makart“ und mit ihm so viele andere Schätze so lange verborgen blieben.

„Making History. Hans Makart und die Salonmalerei des 19. Jahrhunderts“, Hamburger Kunsthalle (U/S Hauptbahnhof), Glockengießerwall 5, Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–21.00, Eintritt 14,-/8,- (ermäßigt), www.hamburger-kunsthalle.de