Hamburg. Auch literarisch gehen die Klimakämpfer aufs Ganze. „Wut“ ist dennoch nachdenklich – und handelt vom kollektiven Aussteigen.

Für die Politik ist klar, man geht auch im Hinblick auf die Deutung des Wählerempfindens auf Nummer sicher: Es muss mit harter Hand agiert werden. Wer das Airport-Geschäft sabotiert, hat mit Kriminalisierung, Gerichtsklagen und, trotz mancher Sympathiebekundungen, gesellschaftlichem Unmut zu rechnen.

Die Aktivisten der Letzten Generation legitimieren ihre Blockadeaktionen mit dem Klimanotstand. Dass sie sich fragen, wie weit ziviler Ungehorsam tatsächlich gehen kann, sollte aber angenommen werden.

Letzte Generation: Roman „Wut“ – Klimakampf bis alles in die Luft fliegt

Jedenfalls darf Raphael Thelens Roman „Wut“ als Selbstzeugnis der Aktivisten gelten, die seit Monaten von München bis Hamburg die Republik in Atem halten. Thelen, 1985 in Bonn geboren, ist von Hause aus Journalist, etwa für „Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“, und trat zuletzt auch als Autor des Buches „Zwei am Puls der Erde: Eine Reise zu den Schauplätzen der Klimakrise und warum es trotz allem Hoffnung gibt“ in Erscheinung.

Was die Hoffnung angeht, hat Thelen seine eigenen Schlüsse gezogen: Anfang 2023 stieg er aus dem Journalismus aus und schloss sich der Letzten Generation an.

Die Letzte Generation, literarisch: „Wut“ erzählt vom Klimakampf

Sein Debüt, das im Hamburger Arche-Verlag erscheint, berichtet also aus dem Herzen der Klimafinsternis. Und ist ein Manifest der Generation Klimakampf, das Aktivismus mit den Mitteln der Literatur in Szene setzt: Im heißen Berlin geht die Action ab, als Vallie, Sara und Wassim bei einem Protestzug ausbrechen, mit Gleichgesinnten die Zentrale eines Energieunternehmens und eine im Bau befindliche Pipeline besetzen.

Vallie, deren Liebesbeziehung mit der radikalen Sara an einem Scheidepunkt steht, repräsentiert dabei die nachdenkliche Seite der Protestbewegung, die im Roman nicht als „Letzte Generation“ auftritt, aber getrost als Abbild der realen Gruppe genommen werden kann.

Auch die Roman-Aktivisten sind entbrannt für den Kampf um die Rettung des Planeten. Sie haben den Kipppunkt im Blick und wissen um die starken Defizite im menschlichen Verhalten. Natürlich klingt das hier alles wie in der Wirklichkeit auch frustrierend, sowohl was die bedauerlichen Wahrheiten hinter den Thesen als auch das Belehrende angeht.

E-Autos, die lediglich Greenwashing sind, tonnenweise CO2, das beim rücksichtslosen Vielfliegen rausgeblasen wird; „Wut“ ist unter anderem ein Pamphlet, das sich auch die zynischen CEOs böser Energiefirmen vornimmt. Engagierte Literatur mit vielen Bekenntnissen und klaren Aussagen, zunächst ohne Zwischentöne, mit allen Vor- und Nachteilen.

Raphael Thelens „Wut“: Der Autor ist selbst bei der Letzten Generation

Also inhaltlichen Knalleffekten, einem saftigen Plot – und dem Verzicht auf Kunst, Suggestion, zweite Ebene. „Wut“ ist die Fortsetzung und Spiegelung des politischen Kampfs auf Papier – auch formal.

Bis sich dann aber die Zweifel bei den fiktiven Figuren Bahn brechen. Insbesondere bei Vallie, der Aktivistin, der Thelen seine Hauptaufmerksamkeit widmet. Gibt es nicht schon genug Wut und Aggressivität in der Welt, fragt sich die aus sicher nicht unterprivilegierten, also bürgerlichen Verhältnissen stammende Frau.

Raphael Thelen trat 2023 der Letzten Generation bei. Als Journalist arbeitet er nicht mehr.
Raphael Thelen trat 2023 der Letzten Generation bei. Als Journalist arbeitet er nicht mehr. © Hannes Jung

Das negative Energiefeld, das sich auf den Straßen aufbaut, wenn Lkw-Fahrer ihren Job nicht mehr machen können, bildet „Wut“ durchaus ab. Der Roman kennt auch das Pathos der Selbststärkung: „Diese Generation, wir, die politisches Handeln durch die Figur des Influencers kennengelernt hatten, also durch Personen, die nicht ihre ,Community’, sondern die eigene Vermarktbarkeit im Sinn haben, wir begriffen irgendwann, dass die Sache mit dem Klima nichts Privates ist. Wir politisierten uns jung, jünger als frühere Generationen. Frühreif und schnell alternd.“

Neuer Roman „Wut“: Wie radikal dürfen wir werden?

Wie radikal dürfen wir eigentlich werden? In „Wut“ hastet der fraglos parteiische Autor-Aktivist Thelen durch die Status-Veränderungen des Klimaprotestes. Am Ende lassen sich die jungen Leute Hand in Hand von der Staatsgewalt niederknüppeln. Aber im Hintergrund explodiert das Öldepot eines Kraftwerks. Ein Unfall, ausgelöst von einem heftigen Sturm, also dem Klimaeffekt.

Tote und Verletzte sind Pflicht, denn das hier muss ein Eskalationsroman sein. Die Menschheit muss aufwachen, sagt die Letzte Generation. Im Roman darf sich die ganze Misere deswegen noch mehr zuspitzen als im wirklichen Leben.

Raphael Thelen: „Wut“, Arche-Verlag, 176 S., 20 Euro
Raphael Thelen: „Wut“, Arche-Verlag, 176 S., 20 Euro © Arche Verlag

Was Thelens Klima-Kombattanten vom friedlich-utopischen Schluss seines, wie soll es anders sein, nachdenklich machenden, ganz sicher auch emotionalisierenden Romans wohl halten? Ob dieser Schluss gar zum Erwartungshorizont realer Klimaaktivisten gehört?

Er geht so: Der Straßenkampf endet. Die Klimaretter haben einen kollektiven Burnout. Und dann mit einer komplett anderen Vorgehensweise Erfolg: Die jungen Leute steigen massenhaft aus dem kapitalistischen Hamsterrad aus. Man arbeitet nicht mehr, konsumiert nicht mehr, man steckt höchstens noch mal eine Kartoffel in einen Auspuff.

Man sabotiert die Wirtschaft, das Wachstum endet, das gilt auch für die CO2-Emissionen. Nicht alle machen mit, aber immer mehr: „Und noch immer haben die alten Mächtigen viele Ressourcen, und noch ist nicht klar, ob sie nicht doch noch mal die Überhand gewinnen, schließlich ist alles immer ein endloser Kreislauf, aber genau das ist es, was wir gewonnen haben: Wir laufen nicht mehr geradeaus, linear, unausweichlich auf die Klimakatastrophe zu. Der alte Satz, dass sich viele eher das Ende der Welt als das Ende des Kapitalismus vorstellen können, stimmt nicht mehr.“