Kiel. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident kritisiert Aktivisten im Gespräch mit dem Abendblatt scharf. Was aus den Landesfinanzen wird.

Für ihn sind es Kriminelle, so sagt es Daniel Günther im Abendblatt-Interview. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident kündigte im Abendblatt-Interview an, die von Klima-Klebern begangenen Straftaten konsequent zu verfolgen.

„Da wird es keine Toleranz geben“, sagte der CDU-Landesvorsitzende in dem Gespräch, in dem es auch um schmerzhafte Einschnitte in den Landeshaushalt und ein Jahr Schwarz-Grün ging.

Hamburger Abendblatt: Sie nennen sich selbst Aktivisten der Letzten Generation, sie blockieren Flughäfen und Straßen, zerstören Kunstwerke, beschädigen Pipelines oder Flugzeuge, beschmieren Gebäude. Was ist die Letzte Generation für Sie: eine radikale Umweltschutzgruppe oder eine kriminelle Vereinigung?

Daniel Günther: Diejenigen, die Straftaten begehen, sind Kriminelle, ganz einfach. Die hinter den Delikten stehenden Ideen können und dürfen zu keiner Legitimation führen. Dazu bin ich nicht bereit, und der Blick der Gesellschaft darauf ist auch ganz klar. Es gibt ausreichend legale Protestformen, um Positionen deutlich zu machen.

Klima-Kleber: Innenministerium prüft, Einsätze in Rechnung zu stellen

Sie haben härtere Maßnahmen im Umgang mit der Letzten Generation angekündigt. Was wurde davon bislang umgesetzt in Schleswig-Holstein?

Wir haben dafür gesorgt, dass die Aktionen polizeilich konzentriert und dadurch beschleunigt bearbeitet werden; dafür ermittelt der Staatsschutz zentralisiert. Zudem ist die Polizei vorbereitet, in schweren Fällen, wenn die Voraussetzungen vorliegen, bei Gericht Anträge auf Präventivgewahrsam zu stellen. Wir sind klar für ein konsequentes Vorgehen. Ich hoffe, dass unsere Linie auch dauerhaft Wirkung entfaltet.

Hat das Land schon Rechnungen verschickt für Einsätze? Oder Schadenersatzforderungen gestellt?

Erste Urteile mit Geldstrafen von 900 Euro wurden bereits verhängt. Eine andere Frage ist die Kostenerstattung für den Einsatz von unmittelbarem Zwang – also für das Wegtragen beispielsweise. Hierzu haben wir bisher keine Regelung in Schleswig-Holstein, da viele Fallgestaltungen darunterfallen würden. Dies prüft aber derzeit das Innenministerium.

Regierungschef: Klima-Kleber schaden dem Umweltschutz

Es wird also keine Toleranz im Umgang mit dieser Gruppierung geben, sondern ein klares und konsequentes Durchgreifen?

Ja, die von dieser Gruppierung begangenen Straftaten werden konsequent verfolgt, da wird es keine Toleranz geben.

Wer im Stau steht, weil sich Menschen auf der Straße festgeklebt haben, kann das nur als Zumutung oder Nötigung ansehen.

Neben der strafrechtlichen Einordnung ist das in der Tat eine Zumutung und ein zutiefst unsoziales Verhalten anderen Menschen gegenüber. Hier muten Leute im vermeintlichen Glauben, für eine gute Sache zu kämpfen, anderen Menschen eine große Belastung zu. Das geht einfach nicht.

Die Aktionen wurden zuletzt immer radikaler. So wurden für den Tag nach der Blockade des Hamburger Flughafens in gleich 26 Städten neue „Aktionen“ angekündigt. Die Gewerkschaft der Polizei beklagt einen zunehmenden Fanatismus bei der Letzten Generation. Teilen Sie diese Einschätzung?

Für mich ist wichtiger: Jede durch diese Gruppe begangene Straftat, die darauf abzielt, öffentliche Wirkung zu entfalten, fügt dem Ziel des Klimaschutzes objektiv erheblichen Schaden zu. Niemand, der davon liest, erst recht niemand, der davon betroffen ist, wird damit irgendetwas Positives in Zusammenhang mit der Idee des Klimaschutzes verbinden. Und das ist kontraproduktiv. Jeder, der sich so verhält, schadet den Bemühungen um Klimaneutralität. Für dieses Ziel – wir wollen bis 2040 in Schleswig-Holstein erstes klimaneutrales Industrieland sein – müssen wir die Menschen mitnehmen. Wir müssen das zusammen schaffen. Aber durch solche Aktionen heizt sich die Stimmung eher auf, und sie bringen die Menschen gegen den Klimaschutz auf.

Günther: FDP tut der Opposition gut

Themenwechsel. Wen empfinden Sie nach einem Jahr Schwarz-Grün als Hauptgegner? Eine FDP, die nach ihrem Regierungs-Aus schnell in der Opposition angekommen ist, eine SPD um ihren neuen Fraktionschef Thomas Losse-Müller oder den SSW?

Ich spreche lieber von politischen Konkurrenten. Die sind wir natürlich alle. Schwarz-Grün verfügt über eine Zweidrittelmehrheit, also über eine sehr stabile Regierungsmehrheit. Wir sehen uns einer Opposition gegenüber, die ihren Job macht und uns kritisiert. Die Zusammenarbeit mit allen drei Parteien ist absolut in Ordnung. Von daher will ich nicht beurteilen, wer unser größter Konkurrent ist. Aber die FDP ist erstaunlich schnell in der Opposition angekommen, hat die Rolle angenommen und vergisst dabei mitunter, was es bedeutet, zu regieren. Ich nehme die FDP aber als sehr belebendes Element in der Opposition wahr.

Ihr Bundespartei-Chef Friedrich Merz hingegen hat die Grünen als Hauptgegner ausgemacht. An demselben Tag, an dem er das sagte, lobte er zugleich Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein. Was sind die Grünen denn jetzt für Sie? Ein guter, verlässlicher Regierungspartner oder auch ein Gegner?

Natürlich auch ein Konkurrent, wie eben alle Parteien konkurrierende Mitbewerber sind, die auch immer ihre eigenen Ergebnisse im Blick haben. CDU und Grüne kommen bei vielen inhaltlichen Themen von unterschiedlichen Positionen. In unserem schwarz-grünen Bündnis respektieren wir diese unterschiedlichen Positionen. Wir gönnen uns gegenseitig Erfolge, das ist eine Stärke. Ich sehe die Grünen in Schleswig-Holstein vor allem als verlässlichen Regierungspartner, mit dem ich sehr gerne zusammenarbeite und das auch in den nächsten Jahren tun möchte.

Regieren wird jetzt schwieriger

Sprechen wir über den Landeshaushalt. Im Moment fehlen rund 450 Millionen Euro, um alle für 2024 geplanten Ausgaben zu finanzieren. Der grüne Fraktionschef hat im Gespräch mit unserer Zeitung gesagt, das Regieren werde jetzt „schwieriger“. Er erwartet, dass es in der Koalition „mehr Verteilungskämpfe ums Geld“ geben werde. Sehen Sie das auch so?

Die Handlungsspielräume werden jedenfalls enger, wir müssen gucken, wo wir Schwerpunkte setzen und wo wir einsparen. Zum ersten Mal seit Jahren haben wir Steuereinnahmen, die hinter den Erwartungen bleiben, dazu kommen Tarifabschlüsse und die schwächelnde Wirtschaft. Gleichwohl werden wir die Schuldenbremse einhalten. Wichtig ist für mich dabei, dass die Einsparungen ausgewogen erfolgen und wir die Zukunftsfähigkeit des Landes weiter sichern.

Sie haben Mitte Juli im Landtag gesagt, dass es sich „grundsätzlich falsch anfühlt, den Rotstift anzusetzen“. Aber genau das werden Sie vermutlich tun müssen.

Ja. Das werden wir machen müssen, und das fühlt sich definitiv nicht richtig an. Das Geld der vergangenen Jahre haben wir in absolut sinnvolle Projekte investiert. So haben wir in Corona-Zeiten das Land gut durch die Krise geführt. Und wir haben die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine bei den Energiekosten und der Energiesicherheit, der Unterbringung Schutzsuchender und auf die Wirtschaft abgemildert. Wir haben in der Schule und im Kitabereich Geld ausgegeben. Das war richtig. Jetzt bleiben die Einnahmen hinter den Erwartungen, zudem müssen wir mit Kürzungen auf Bundesebene leben. Das erfordert schwere Entscheidungen. Aber die treffen wir mit derselben Geschlossenheit und Sorgsamkeit der vergangenen sechs Jahre.

Haushaltsaufstellung auf Dezember verschoben

An welchen Stellen werden die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner merken, dass Sie sparen müssen?

Zunächst einmal benötigen wir ein klares Bild von der Lage, daher haben wir die Haushaltsaufstellung für 2024 auch auf den Dezember verschoben, um die November-Steuerschätzung und den Tarifabschluss einfließen lassen zu können. Je nach Entwicklung müssen dann die Konsolidierungsbeiträge ausfallen. Insofern will ich dem Verfahren nicht vorgreifen. Beim Landeshaushalt sind die Möglichkeiten aufgrund des hohen Anteils an Personalkosten und bundesgesetzlich vorgeschriebenen Leistungen nicht sonderlich groß.

Je kleiner Kitagruppen und Schulklassen sind, desto höher sind die Ausgaben für das Personal. Ist es denkbar, dass die Gruppen oder die Schulklassen größer werden, um die Ausgaben pro Kind signifikant zu senken.

Wir haben uns für die Verschiebung auf Dezember entschieden, um diesen Haushalt achtsam und sorgsam aufstellen zu können. Deshalb will ich nicht ins Spekulieren kommen. Ziel ist aber, dass wir unsere Zukunftsfähigkeit sichern. Und unsere größte Zukunft sind unsere Kinder und Jugendlichen. Diese Überzeugung wird in der Koalition geteilt.

Die Schuldenbremse engt Ihren Gestaltungsspielraum stark ein. Um sie zu umgehen, fordern Grüne ein neues Sondervermögen. Eine schlechte Idee aus CDU-Sicht?

Wir werden einen verfassungskonformen Haushalt aufstellen und natürlich darauf schauen, wie man trotz Einsparungen auch klug in die Zukunft investiert. Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen müssen, dürfen nicht dazu führen, dass wir dauerhaft Lasten auf die nächsten Generationen verteilen. Wir haben in Schleswig-Holstein über die Jahrzehnte schon jetzt einen Schuldenstand von über 32 Milliarden Euro aufgebaut.

„Kritik prallt an Realitäten in Schleswig-Holstein ab“

Sprechen wir über Ihre Regierungsarbeit. Die Opposition bemängelt landesweiten Stillstand.

Wir haben uns in einem Jahr Schwarz-Grün von Anfang an darum gekümmert, das Land in dieser Krise zusammenzuhalten. Wir waren die erste Landesregierung, die einen eigenen Energie-Gipfel durchgeführt hat, mit dem Ziel, Energie einzusparen, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu mindern und die Wirtschaft und Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. Wir haben in Rekordgeschwindigkeit geholfen, die Energiesouveränität in Deutschland sicherzustellen, indem wir ein LNG-Terminal aufgebaut haben, das Wasserstoff-ready ist. Wir treiben den Windkraftausbau voran, wir nutzen die Chancen der erneuerbaren Energien für Wirtschaftsansiedlungen. Wir wirken dem Fachkräftemangel unter anderem mit einem Welcome-Center entgegen, schaffen es, Eltern von Kitakindern zu entlasten, stärken die innere Sicherheit. Währenddessen leistet die Bundesregierung nicht das, was sie leisten müsste. Mit ihrer Kritik an unserer Arbeit wollen SPD und FDP in Schleswig-Holstein auch von eigenen Versäumnissen auf Bundesebene ablenken.

Die SPD kritisiert unter anderem, dass ein Klimaschutzgesetz fehlt, das sicherstellt, dass sich alle Menschen die angepeilte Klimaneutralität auch leisten können.

Wir haben im Land das Ende von rein fossilen Heizungen bereits vergangenes Jahr eingeläutet, im Übrigen, ohne dass es öffentliche Verwerfungen gegeben hätte. Die Reihenfolge ist: Erst gucken wir, wie wir mit kommunalen Wärmeplänen möglichst viele Menschen durch kommunale Wärmenetze erreichen können, ohne dass sie selbst investieren müssen. In einem zweiten Schritt werden wir feststellen, wo diese Netze nicht schnell genug ausgebaut werden können und es deshalb individuelle Lösungen braucht. Von daher prallt die Kritik der Opposition an den Realitäten in Schleswig-Holstein ab.

Opposition: schwach angefangen, stark nachgelassen

Die Kommunen beziehungsweise die kommunalen Stadtwerke müssen sich den Auf- und Ausbau dieser Wärmenetze erst einmal leisten können.

Das ist eine sehr große Investitionsleistung. Die kommunalen Versorger in Schleswig-Holstein haben uns vorgerechnet, dass sie zwischen sechs und acht Milliarden Euro dafür benötigen. Das Land trägt seinen Beitrag dazu bei und wird ihnen Bürgschaften in Höhe von bis zu zwei Milliarden Euro garantieren.

Die Opposition kritisiert Ihre Regierung scharf. Sie hätten schwach angefangen und dann stark nachgelassen, heißt es. Sie nennen das „kleinteiliges Gemaule“. Aber zu mehr Kritik an der Opposition haben Sie sich nicht hinreißen lassen. Warum diese Zurückhaltung?

Ich bin überzeugt davon, dass zu viel Dissonanz und polemischer Streit schadet. Ich setze auf solides Abarbeiten der Themen und den Zusammenhalt in der Regierung. Das ist vielleicht nicht so spannend, aber ich bin ja auch fürs Machen gewählt. Große Teile der Bevölkerung registrieren Oppositionskritik an Nebensächlichkeiten gar nicht erst. Wirkliche Kritik an unserem Ziel, klimaneutrales Industrieland zu werden, übt die Opposition hingegen sehr wenig.

Ihre Kritik an der Opposition gilt dann genauso für Ihre eigene Partei, die CDU auf Bundesebene?

Was ich fürs Land beschrieben habe, gilt auch auf Bundesebene. Menschen geben der Opposition nur dann den Vorzug vor der Regierung, wenn sie glaubhaft mit eigenen Ideen und Angeboten überzeugen kann. Die Zeit ist vorbei, in der eine Opposition einfach nur sagen konnte, die Regierung mache alles schlecht. Wenn wir als CDU beispielsweise bei der Wärmeversorgung alternative Handlungsoptionen nicht klar genug kommunizieren und damit bei der Bevölkerung durchdringen, dann profitieren wir auch nicht von der Unzufriedenheit mit der „Ampel“. Wenn wir das aber gut hinkriegen, dann werden wir auch als Union wieder deutlich über 30 Prozent kommen.