Hamburg. Sechs Millionen Buchentleihungen gab es binnen eines Jahres in den Bücherhallen Hamburg. Die Geschmäcker variieren je nach Stadtteil stark.

Kann man an der Ausleihstatistik eines Büchereisystems ablesen, welche Menschen in welchem Stadtteil leben? Schön wär’s. Oder unschön, kommt ganz auf die Perspektive an. Aber interessant ist es halt schon zu wissen, dass in Barmbek besonders gerne Krimis und Thriller gelesen werden, Dörte Hansen aber erst auf Platz 22 auf der Liste der am meisten ausgeliehenen Romane steht. Und dass wiederum „Zur See“, der bislang letzte Roman Hansens, zum Beispiel in der Altonaer Bücherhalle unangefochten und „mit Abstand“ ganz vorne liegt, wie die Bücherhallen Hamburg nun auf Abendblatt-Anfrage mitteilten.

Listen sind ja keineswegs schnöde, wir erkennen im Gegenteil in Listen, wenn sie mit Kultur und Kunst zu tun haben, die Schönheit der Dinge, die sich hinter ihnen verbergen. In dem Fall sind es die Bücher und Geschichten hinter den Titeln. Welches sind die am meisten ausgeliehenen Bücher der Hansestadt insgesamt? Und wie sieht es in den Stadtteilen aus, den einzelnen Bücherhallen?

Bücherhallen Hamburg: Mehr als sechs Millionen Entleihungen in einem Jahr

Mehr als sechs Millionen Buchentleihungen gab es zwischen Juli 2022 und Juli 2023 Hamburg-weit. Auch andere Angebote – CDs, Vinyl, Noten, DVDs, Zeitschriften, die Bibliothek der Dinge mit u.a. Nähmaschinen, Sofortbildkameras, Playstation-Controllern – stellt der Büchereiverbund bereit, der (Nähmaschine!) wirklich nah am Menschen ist.

Vor allem kulturell, die Hamburger Öffentlichen Bücherhallen sind zweifellos ein wichtiger Versorger in der Stadt, was das angeht. Das ist ja ihre ureigentliche Aufgabe, neben dem Bereitstellen des sozialen Raums – besonders die Zentralbibliothek am Hühnerposten ist ein beliebter Treffpunkt.

In den Regalen von Zentralbibliothek, den 32 Bücherhallen von A wie Alsterdorf bis W wie Winterhude und den zwei Bücherbussen in Bergedorf und Harburg finden sich viele Klassiker sowie populäre Romane und Erzählungsbände aus vergangenen Jahrzehnten, aber auch aktuelle Titel, die teilweise noch auf der Bestsellerliste stehen. Gegenwartsliteratur dominiert die Liste der Top-Titel eindeutig.

Heinz Strunk schafft es nicht ganz auf den Spitzenplatz

Der Hamburg-weit am meisten ausgeliehene Titel ist Karsten Dusses Krimi „Achtsam morden“. Direkt dahinter liegt ein Hamburger, nämlich Heinz Strunk mit „Ein Sommer in Niendorf“ – insgesamt stammen sechs der populärsten Bücher von deutschsprachigen Autoren. Auf Platz drei ist die Chilenin Isabell Allende mit ihrem jüngsten Roman „Violeta“ notiert.

Dörte Hansens „Zur See“ steht auf Platz sieben. Das ist der Titel, der es an den meisten Standorten in die jeweilige Top-Ten-Liste schaffte. Die Husumerin, die früher auch mal in Ottensen wohnte (wurde ihr Roman deshalb in Altona besonders häufig ausgeliehen?), ist also die Autorin, auf die man sich in dieser Stadt flächendeckend einigen kann. Ausgenommen aber, wie erwähnt, Barmbek und beispielsweise auch Rahlstedt und Lokstedt.

Die Top Ten der am meisten ausgeliehenen Romane:

  • Karsten Dusse: „Achtsam morden“
  • Heinz Strunk: „Ein Sommer in Niendorf“
  • Isabell Allende: „Violeta“
  • Mariana Leky: „Kummer aller Art“
  • Tess Gerritsen: „Mutterherz“
  • Lucinda Riley: „Die Toten von Fleat House“
  • Dörte Hansen: „Zur See“
  • Susanne Abel: „Was ich nie gesagt habe“
  • Jo Nesbø: „Blutmond“
  • Charlotte Link: „Einsame Nacht“

In Billstedt, Barmbek und Bramfeld sind die Bücherhallen-Kunden verrückt nach Krimis und Thrillern. In Alsterdorf dagegen wollen sie große Gefühle und haben ein Faible für einen Meeresarm der Ostsee. Der meistausgeliehene Titel ist Eva Völlers „Die Dorfschullehrerin: Was die Hoffnung verspricht“, auch in den Top Ten sind Inken Bartels’ „Der kleine Gasthof an der Schlei“ sowie „Ein Sommer an der Schlei“. Letzteres ist am Osdorfer Born der Hit – Platz eins.

Mümmelmannsberg: Sehnsucht nach dem Hamburger Westen

Ausgerechnet im bunten Eimsbüttel steht – das ist nirgendwo sonst so – mit Stephen Kings „Fairy Tale“ ein schauriger Genreroman ganz oben. Könnte pure Kompensation sein: Angesagte Szene-Quartiere sind manchmal eng und vielleicht doch auch der Horror? Die Bücherhalle Elbvororte dagegen, gelegen in Blankenese, hatte den Hamburg-weit viel geliehenen und gelesenen 2022 erschienenen Allende-Roman „Violeta“ zur Freude seiner Kundinnen (und Kunden?) im Programm. Landete auf der Top-Position.

Auch in der Bestenliste: Annika Büsings „Nordstadt“. Nicht wirklich ein Geheimtipp, aber auch nicht megabekannt. In Mümmelmannsberg übrigens haben die Leserinnen Sehnsucht nach dem Westen, scheint’s. Marion Lagodas „Ein Garten an der Elbe“ ist der am zweitmeisten ausgeliehene Titel.

Das Interesse an den jeweiligen Titeln ist sicher nicht vorhersehbar, und man setzte sich wohl in die Nesseln des Vorurteils, würde man hinsichtlich bestimmter Stadtteile ganz bestimmte Vorlieben – E oder U, Schmonzetten oder ernste Literatur, Thriller oder Heimatromane? – tatsächlich erwarten.

Dass ausgerechnet der eher hemdsärmelige, kleinbürgerliche Stadtteil Eidelstedt das progressive „Blutbuch“ von Kim de l’Horizon, Gewinner des Deutschen Buchpreises 2022, auf dem Spitzenplatz hat, hätte man aber sicher nicht erwartet.

Harburg liest englisch, Langenhorn gefühlig

Anspruchsvollere Literatur wird besonders in Winterhude (Patrick Modianos „Unterwegs nach Chevreuse“ auf Platz eins, außerdem etwa Norbert Scheuers „Mutabor“ und Anne Tylers „Eine gemeinsame Sache“), Wilhelmsburg (Platz zwei: Eckhart Nickels „Spitzweg“), in Niendorf (etwa Hervé le Telliers „Ich verliebe mich so leicht“ und Claudia Schumachers „Liebe ist gewaltig“), Harburg (Platz eins: Daniela Dröschers sozioliterarischer Hit „Lügen über meine Mutter) und in der Holstenstraße gelesen (Platz eins: Mariana Lekys „Kummer aller Art“).

In Harburg ist übrigens auch der einzige englischsprachige Top-Ten-Titel zu finden, Matt Haigs „How to stop time“. Die Bücherhalle Langenhorn meldet eine „schöne Mischung aus Krimi und Gefühl“, wofür häufig entliehene Titel wie Lee Childs „Die Hyänen“ (Platz zwei) und Muriel Barbarys „Eine Rose allein“ (Platz vier, in der Bücherhalle Neugraben auf Platz eins!) in der Tat ein Indiz sind.

Lisa Eckhart ist in der Zentralbibliothek der Hit

Ein Wort noch zu Schnelsen: Man hat dort Fernweh nach Skandinavien und oder zumindest maritime Tendenzen auch jenseits Dörte Hansen. Top-Ten-Titel wie Detlef Jens’ „Gefährliche Gezeiten“, Viveca Stens „Kalt und Still“ und Anna Janssons „Leichenschilf“ beweisen das hinlänglich.

In der Bücherhalle Volksdorf liegt Jean-Luc Bannalecs Bestseller „Bretonische Nächte“ vorne, Linda Boström Knausgårds „Oktoberkind“ ist ein Roman für Kenner – Volksdorfer lesen nicht nur Mainstream. Warum speziell in Wandsbek Bella Mackies „How to kill your family“ den größten Kundenzuspruch erfuhr, lässt sich per Ferndiagnose nicht zweifelsfrei feststellen.

In der mit Abstand größten Bücherei Hamburgs, der Zentralbibliothek, wurde im vergangenen Jahr Lisa Eckharts „Boum“ am häufigsten entliehen. Ein Kracher, wenn man so will; aber nur ein beliebter Titel unter sehr, sehr vielen im Bücherdschungel der Freien und Hansestadt, in dem die Bücherhallen die Vielfalt des literarischen Angebots bestens bereitstellen.