Hamburg. Dörte Hansens Roman „Altes Land“ ist der literarische Knaller der Saison. Ein Treffen mit der unverhofften Erfolgsautorin in Ottensen
Das muss jetzt nicht zwangsläufig so passieren. Aber es passiert, denn Mütter aus Ottensen lassen sich von so ein bisschen Regen nicht abhalten. Dörte Hansen, die nach Längerem mal wieder auf dem Spielplatz in der Mottenburger Hühnertwiete ist, „auf der Motte“ also, muss lachen, als ausgerechnet beim Fotomachen fürs Abendblatt eine ihr bekannte Mutter ihren Weg kreuzt. Es ist Mittag, der Sommer macht kurz Pause, und jene Dame sagt trocken: „Wir hätten hier noch ein paar Kinder mit musikalischer Früherziehung, die können doch auch mit aufs Bild.“
Hat ja nie jemand behauptet, dass Ottenser Mütter keine Selbstironie haben. Diese Ottenser Mütter (und deren behaupteter Hang zum Überehrgeiz) haben im derzeit erfolgreichsten Buch der Lese-Republik ihren großen Auftritt. Und dass Dörte Hansen, die Autorin von „Altes Land“, nun damit rechnen muss, in ihrer ehemaligen Heimat permanent auf Leser zu treffen, ist natürlich sehr logisch. Vor zehn Jahren noch, bevor sie ins Alte Land zog, war diese kurzhaarblond-zierliche Frau, die ihre original Hamburger „Derbe“-Jacke bestimmt auch vor den Toren der Stadt trägt, selbst oft mit ihrer kleinen Tochter hier.
„Es gibt diese Eltern, die sehr vor sich hertragen, was für eine Leistung sie vollbracht haben, indem sie ein Kind bekommen haben“, sagt Hansen. Sie meint es nicht böse, aber sie kann auf den feinen Spott nicht verzichten: Nicht zuletzt er ist es, der „Altes Land“, jenen toll geschriebenen, doppelbödigen Stadtfrust-und-Landlust-Roman zu einem lesenswerten Buch macht. Das finden derzeit auch mindestens 170.000 Menschen, die als Käufer dafür gesorgt haben, dass „Altes Land“ seit Monaten auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste steht. Das ist umso sensationeller, als das Buch ein Debüt ist – Hansen, geboren 1964 in Husum, muss geflasht sein von diesem Überraschungserfolg, überwältigt. Also, Frau Hansen, wie fühlt sich das alles an?
Das Alte Land hat profitiert
„Ich genieße es. So toll wird es wohl nie wieder – das Unverhoffte, Unerwartete macht alles um dieses Buch so besonders“, so spricht sie über das, was viel mehr beschreibt als die 15 Minuten Ruhm, die Andy Warhol einmal jedem Menschen versprach.
Denn man kann mit Literatur auch heutzutage noch berühmt werden, aber sicher. Im Falle Hansens ist es zum Beispiel so, dass es dank ihres Romans neuerdings noch mehr Verkehr aus Hamburg in Richtung Altes Land gibt. Die Leute wollen auf den Spuren der Romanhelden wandeln, besonders wahrscheinlich auf denjenigen der superspröden Vera und ihrer Nichte, die rübermacht über die Elbe – kein Bock mehr auf In-Viertel. Und manche würden vielleicht gerne wissen, wo die Schöpferin dieser Figuren genau lebt.
Aber was heißt eigentlich „Schöpferin“? Dass die Journalistin Hansen, die lange für den NDR gearbeitet hat, ihre Helden erfunden hat, wollen viele gar nicht glauben. So, wie sie das erzählt, müssen Hansen-Lesungen immer auch wunderbare Veranstaltungen des Wiedererkennens sein. Was gleichbedeutend ist mit einer Geringschätzung der künstlerischen Erfindungsgabe. Die Leserin, die ganz sicher ihren Chef identifiziert haben will – „ich erinnere dann durchaus mal daran, dass ich mir das alles ausgedacht habe“.
Die Frau, die in literarischer Hinsicht Redundanz überhaupt nichts abgewinnen kann, ist auch im Gespräch eine pointierte Erzählerin. Wenn sie über die Gründe für den eigenen Hamburgwegzug redet, dann findet sie dafür ein einziges Bild: das des klaustrophobischen Lessingtunnels in Altona, durch den sie mit Fahrrad und Kleinkind einst öfter fahren musste. Das sei ihr nicht mehr als „artgerechtes Leben“ erschienen, „was nicht heißen muss, dass ich mein gesamtes restliches Leben auf dem Land verbringen werde“. Was exakt die Sphäre des Ungefähren benennt, der man im Roman begegnet. Romantisiert wird hier gar nix und schon gar nicht das Dorfleben.
Artgerechtes Leben, gutes Stichwort. Wie geht der Knaller der Saison eigentlich mit dem ganzen Bohei um, der bei Hansen immerhin die irgendwie bodenständig klingenden Unterpunkte „Föhr“ (da las sie gestern) und „Husum“ (vorgestern – in der Aula der Schule, die sie einst besuchte, aufregend!) umfasst. Am Ende ihrer Lesereise wird sie 80 Lesungen hinter sich gebracht haben. Es hätten noch mehr sein können, „ich habe Stopp gesagt“.
Es mag vorhersehbar sein, aber natürlich muss man mit Dörte Hansen, die von sich sagt, sie habe sich in berufliche Herausforderungen immer hineingewurschtelt, auch über das sprechen, was dann kommt, wenn das magische Momentum sich verflüchtigt.
Es geht nun also um das verteufelt schwierig zu schreibende zweite Buch.
Ein Geschenk ist, sagt Hansen, „dass ich nun die Chance habe, ohne zeitlichen Druck zu schreiben“. Alles andere dürfte für die nun ausschließlich vom Schreiben Lebende kein Geschenk sein. „Mein treuester Freund ist der Selbstzweifel“, sagt Hansen.
Dass sie nun wieder bei null anfange, ist eine Binse, aber das heißt nicht, dass man das genauso sagen darf. Und man versteht auch, dass die unterhaltsam, aber nie anspruchslos schreibende Autorin, die in „Altes Land“ populäre Gegenwartstypen auftreten lässt, dass diese Autorin die alte Grundunsicherheit gut kennt. Wer soll das eigentlich lesen wollen? Wen interessiert das? Wenn sie morgens am Schreibtisch sitzt, fragt sie sich jedes Mal, was das denn für ein Quatsch ist, den sie am Tag vorher geschrieben hat. „Schreiben ist wie Joggen, es ist dann gut, wenn man es hinter sich hat“, findet Hansen.
Was alle wissen, aber denen, um die es geht, wenig hilft, ist die Tatsache, dass es der Zweifel ist, der Exzellenz hervorbringt, nicht die Komfortzone der Selbstzufriedenheit.
Vom Nachfolgebuch verrät Hansen, dass es in ihrer Heimat Nordfriesland spielen wird. Und, dass es etwas anders erzählt sein wird als „Altes Land“. Sie wird beim literarischen Verfertigen der Sätze zu vergessen suchen, dass es so etwas wie das „Dörte-Hansen-Wunder“ (Rainer Moritz, Literaturhaus) je gegeben hat, schließlich muss das Dörte-Hansen-Wunder ja auch morgens so profane Dinge erledigen, wie der bald 13-jährigen Tochter ein Schulbrot zu schmieren.
Letztere ist übrigens im gleichen eher entspannt euphorischen Modus wie ihre Mutter unterwegs. „Ist ja ganz gut“, lautete das Urteil der Tochter nach der Lektüre von „Altes Land“.
Das muss man unbedingt als großes Lob verstehen.