Othmarschen. NDR erzählt in einem Doku-Drama vom Bau des „Elbtunnels – Pionierwerk und Staufalle“. Entertainer war als Betonbauer mit dabei.

Man kennt es aus dem Kino, von Netflix oder dem Buchmarkt: Erfolgreiche Ideen verlangen Weiterdrehen, Weitererzählungen, neue Staffeln. Eine Erfolgsgeschichte seit mehreren Jahren sind die NDR-Doku-Dramen „Unsere Geschichte“ zur norddeutschen Historie – mit Hubertus Meyer-Burckhardt als Geschichtslehrer und Geschichtenerzähler.

Er berichtete 2020 vom Bau des Nord-Ostsee-Kanals, 2021 über die Transitstrecke zwischen Hamburg und Berlin oder 2022 über die Errichtung des Hindenburg-Damms nach Sylt. Die Quoten kletterten dabei auf bis zu 15 Prozent im NDR-Land und lagen damit laut Sender fast doppelt so hoch wie im Durchschnitt. Der Trick der Redaktion funktioniert – eine Mischung aus Spielfilmsequenzen, Archivaufnahmen, Experteninterviews und dem prominenten Erzähler.

NDR geht auf faszinierende Reise in die Vergangenheit

Die jüngste Folge (Regie: Ulf Thomas) führt zurück in die 70er-Jahre und tief unter die Erde – in die Entstehungszeit des Elbtunnels. Schon die erste Einstellung nimmt die Zuschauer mit auf die Reise: Die Spielfilmsequenz atmet das Jahr 1970, mit Musik, Kaffeeservice und Koteletten, es geht zurück in eine Zeit, als sich „Otto“ durch Othmarschen grub.

Der neue Elbtunnel aus der Luft fotografiert
Der neue Elbtunnel aus der Luft fotografiert © Baubehörde Hamburg | Baubehörde Hamburg / „Elbtunnel - Verkehrsweg unter dem Strom

Der Bau des 3,3 Kilometer langen Elbtunnels, 27 Meter unter der Erde, war eine Herausforderung für die Ingenieure: Für die rund einen Kilometer lange Unterwasser-Strecke mussten vorgefertigte Tunnelelemente eingeschleppt und abgesenkt werden, der nördliche Elbhang musste untertunnelt und im weiteren Verlauf in einer offenen Baugrube gebaut werden. „Mit Lot und Laserlicht sorgten die Ingenieure für technische Präzision. Eine analoge Meisterleistung“, nennt das Meyer-Burckhardt.

Elbtunnel wurde nach sechs Jahren Bauzeit 1974 vollendet

Sechs Jahre dauerte das gewaltige Straßenbauprojekt, bevor Bundeskanzler Helmut Schmidt den Elbtunnel im Januar 1975 feierlich eröffnete. Die Behörden gingen mit den Anwohnern in Othmarschen in dieser Zeit nicht eben zimperlich um: Zu Wort kommt im Film Angela Kirmeß, die mit ihrer Familie die Wohnung von jetzt auf gleich verlassen und umziehen musste – und ihre Freundin Anke Krienke, die an der Bernadottestraße beim Bau der vierten Elbtunnelröhre noch einmal Jahre des Lärms, Staubs und der Belastungen erlebte. Doch vor 50 Jahren wie vor einem Vierteljahrhundert schlug das Gemeinwohl auf recht rustikale Art jedes Privatinteresse.

Als besonderem Clou gelingt es der NDR-Redaktion um Marc Brasse, einen prominenten Tunnelbauer vor die Kamera zu bekommen: Mike Krüger. „Bevor ich Entertainer wurde, wollte ich Architekt werden“, erzählt der 71-Jährige. Zu diesem Zweck lernte er Betonbauer: Eine seiner Aufgaben bestand darin, Eisenstäbe zusammenzubinden: „Wenn es regnet, läuft der Rost den Arm entlang, dann sieht es abends erst mal nicht gut aus. Und zweitens hast du sowieso deine Hände hier irgendwann aufgerissen, dann läuft der Rost rein.“ Sein späterer Hit „Bodo mit dem Bagger“ ist von der Elbtunnel-Baustelle der beginnenden 1970er-Jahre inspiriert – eine ganz eigene Version singt er dann für die Dokumentation.

Peter Lohmeyer spielt den Stadtplaner Otto Sill

Eher holzschnittartig hingegen wirken die Spielszenen, die mit Peter Lohmeyer, Niko König und Alexander Klaws hochkarätig besetzt sind. Etwas sehr zeitgeistig gerät die Figur des Leiter des Tiefbauamtes und späteren Oberbaudirektor Otto Sill (Ex-NSDAP-Mitglied und Verfechter der Stadtautobahn) im Gegensatz zu Bürgermeister Max Brauer (Hitlergegner und Kritiker der Stadtautobahn).

Zwei Männer, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Hamburgs erster Bürgermeister Max Brauer (Nicolas König) und Otto Sill (Peter Lohmeyer)
Zwei Männer, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Hamburgs erster Bürgermeister Max Brauer (Nicolas König) und Otto Sill (Peter Lohmeyer) © jumpmedientv | Hardy Brackmann

Beide sind Kinder ihrer Zeit: Das Wirtschaftswunder war hierzulande der Traum von der automobilen Freiheit: Gab es 1955 erst 2,35 Millionen Fahrzeuge, vervierfachte sich diese Zahl bis 1965 auf 10,15 Millionen. 1975 waren es schon 19 Millionen Fahrzeuge – die Straßen in der Bundesrepublik aber kamen mit diesem Wachstum zunächst kaum nach. Auch der Elbtunnel stieß bald an seine Grenzen: 1980 gab es knapp 24,5 Millionen PKW und LKW, zehn Jahre später gut 32 Millionen und zur Jahrtausendwende 40,6 Millionen Fahrzeuge auf Deutschlands Straßen. Heute rollen sogar mehr als 60 Millionen Kraftfahrzeuge über Deutschlands Straßen.

NDR: Vierte Elbtunnelröhre stößt auf massive Proteste

Der Bau der vierten Röhre stößt auf massive Proteste: Erst 1995 geben Gerichte grünes Licht, 1997 kommt die Tunnelbohrmaschine Trude zum Einsatz: „Tief runter unter die Elbe“, im Oktober 2002 wird die vierte Röhre schließlich eröffnet. Doch die Staus sind geblieben.

Auch Othmarschen hat unter dem Bau des Elbtunnels massiv gelitten: „Othmarschen muss man sich vorstellen als kleines Dorf mit drei großen Höfen, vielen Restaurants, als eine Art Naherholungsgebiet für die Altonaer. Die kamen Sonntag hier raus zum Kaffeetrinken“, erzählt Christoph Mühlhans, Pächter des Röperhofs – eines Fachwerkhauses direkt am Elbtunnel. Er erzählt vom schönen Othmarscher Teich, der dem Tunnel weichen musste. Und fast hätte auch sein reetgedecktes Restaurant, 1769 erbaut, für die vierte Tunnelröhre abgetragen werden müssen.

Es sind diese Zeitzeugen, die das Doku-Drama so sehenswert machen – und die spektakulären Bilder aus dem Archiv vom Bau des Elbtunnels. Da fallen kleinere Ungenauigkeiten, wie die nach Brauer durchaus fortgesetzten Stadtautobahn-Pläne oder wo der Elberadweg genau entlangführt, kaum ins Gewicht. Vielmehr dürfen sich die Zuschauer wohl schon jetzt auf eine neue Folge von „Unsere Geschichte“ freuen.

Unsere Geschichte - Der Elbtunnel: Pionierwerk und Staufalle; Donnerstag, 20. Juli, 20:15 bis 21.45 Uhr