Sylt. Neues Doku-Drama zeichnet den Bau des Hindenburgdamms nach – mit faszinierenden Bildern von der damals armen Insel.
Wenn Hubertus Meyer-Burckhardt ins Erzählen kommt, sollten die Zuschauer die Fernbedienung aus der Hand legen – denn dann wird es spannend. Bereits zum fünften Mal führt er als Moderator durch ein Doku-Drama, das norddeutsche Geschichte veranschaulicht. In der losen Reihe „Unsere Geschichte“ hatte er sich zuvor der deutsch-deutschen Transitstrecke wie dem Bau des Nord-Ostsee-Kanals gewidmet. Nun nimmt sich der frühere Medienmanager des Hindenburgdamms an, der 11,3 Kilometer langen Verbindung der Sehnsuchtsinsel Sylt mit dem Festland – zugleich ein Meisterwerk der Technik-, Wirtschafts- und Tourismusgeschichte.
Das Sylt der Zwanzigerjahre ist eine eher arme Insel
Den Regisseuren Manfred Uhlig, Ulf Thomas und Torsten Wacker ist das Kunststück geglückt, eine noch lebende Zeitzeugin zu finden, deren Schicksal eng mit dem Bau des Hindenburgdamms zwischen 1923 und 1927 verwoben ist. Karin Lauritzen ist inzwischen 97 Jahre alt und hatte als kleines Mädchen dem damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg bei der Eröffnung der Strecke einen Blumenstrauß überreicht. Sie war nicht nur das Blumenmädchen vom 1. Juni 1927, sondern zugleich die Tochter des Morsumer Pastors Hans Johler, der gegen massive Widerstände im Dorf für den Bau des Damms kämpfte. „Der Damm hat unsere Familie nach Sylt gebracht und von Sylt vertrieben“, konstatiert Lauritzen.
Mit ihr reist der Zuschauer in die Vergangenheit: Das Sylt der Zwanzigerjahre ist eine eher arme Insel – die Pastorenfamilie lebt in einem Haus ohne fließendes Wasser und Strom, Morsum ist ein Flecken mit Sandwegen und verstreuten Gehöften. Die Volksabstimmung 1920 in Folge des Versailler Vertrages nimmt der Insel den Fährhafen auf der Festlandseite – Hojerschleuse wird wie Tondern dänisch. Sommerfrischler benötigten fortan ein Visum oder müssen in verplombten Zügen reisen. Der Damm, schon vor dem Ersten Weltkrieg ersonnen, wirkt da für den Westerländer Kurbetrieb wie ein Versprechen.
„Über den Damm kommt nur Gesindel zu uns herüber“
Doch zwei Welten treffen aufeinander. Die Einheimischen fürchten Veränderungen, einen Verfall der Sitten: „Über den Damm kommt nur Gesindel zu uns herüber“, sagen sie. Pastor Johler hofft auf einen Aufschwung in schlechten Zeiten. Immer energischer wirbt der gebürtige Hamburger für den Bau und den „Sprung in ein neues Zeitalter“.
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Lange trösten sich die skeptischen Insulaner damit, dass die Nordsee, der Blanke Hans, sich den Damm schon holen werde. Denn das Vorhaben klingt zu tollkühn: Mit jeder Tide laufen 28 Millionen Kubikmeter Wasser herein und wieder heraus, der Hindenburgdamm will Priele und Strömungen trennen. Es wird ein episches Ringen des Menschen mit der Natur, im Watt entsteht die vorübergehend größte Baustelle Europas. Tatsächlich schwemmt eine schwere Sommersturmflut am 23. August 1923 alles bis dahin Erschaffene fort, die Arbeit eines Jahres ist zerstört. Doch der Ingenieur Hans Pfeiffer, Vorstand des Preußischen Wasserneubauamtes Dammbau Sylt in Husum, findet eine Lösung mit Spundwänden und Lahnungen.
Die Arbeiten für die mehr als 1000 Männer sind hart und gefährlich, bis zu 18 Stunden müssen sie schuften, mehrere kommen ums Leben, viele werden fürs Leben entstellt. Insgesamt 18 Millionen Reichsmark werden im Watt verbuddelt – aber der Damm hält und wird in den Siebzigerjahren zweigleisig ausgebaut. Heute ist die Strecke die wohl lukrativste der Bahn – jährlich rollen rund 700.000 Fahrzeuge über den Damm, eine Dreiviertelstunde dauert die Überfahrt durch diese Zwischenwelt aus Stadt und Land. Der Hindenburgdamm hat die Insel verändert.
Dokumentation liefert faszinierende Bilder einer faszinierenden Insel
Die Mischung aus Spielszenen, historischen Filmen und computeranimierten Sequenzen überzeugt wie stets in der NDR-Reihe „Unsere Geschichte“. Bei ihren Recherchen fördern die Autoren im Husumer Archiv Unmengen von Plänen und Aufzeichnungen zu Tage, alte Fotos und historische Aufnahmen versetzen die Zuschauer in die Zeit des Dammbaus. Im Winter war Sylt vor einem Jahrhundert oft über Wochen von der Außenwelt abgeschnitten, weil die Nordsee zugefroren war – was man nicht glauben mag, wenn man nicht die historischen Bilder sähe.
Die Dokumentation liefert faszinierende Bilder einer faszinierenden Insel – und der Film spielt souverän die Stärken des Mediums Fernsehen aus. Zugleich gelingt es, durch die Spielfilmsequenzen trotz mitunter etwas hölzerner Dialoge den Menschen in den Mittelpunkt zu rücken (Charles Brauer spielt den Reichspräsidenten) und eben nicht ins Technisch-Kühle abzugleiten. Am Ende hätte es der TV-Dokumentation aber nicht geschadet, die faszinierende Geschichte von 90 auf 60 Minuten zu straffen.
„Unsere Geschichte: Sylt, das Blumenmädchen und der Damm“20.15 Uhr, NDR Fernsehen