Hamburg. Vor 125 Jahren gruben 9000 Arbeiter den Nord-Ostsee-Kanal durch Schleswig-Holstein. Eine NDR-Dokumentation erinnert daran.

Wie faszinierend Geschichte ist, lässt sich heute im NDR-Fernsehen erleben: In einem Dokudrama erinnert der Sender an die Fertigstellung des größten Bauwerks im Norden vor 125 Jahren. Fast 100 Kilometer lang zieht es sich durch das Land, teilt Schleswig-Holstein in zwei Hälften und verbindet zwei Meere, ist bis heute die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt – und hat sogar zwei Namen: Kiel-Canal oder Nord-Ostsee-Kanal.

Das Doku-Drama „125 Jahre Nord-Ostsee-Kanal“ erzählt die bewegte Geschichte dieser Wasserstraße. Faszinierende Fotos und Filmaufnahmen aus der Bauzeit wechseln sich ab mit eigens gedrehten Spielfilmpassagen: Charles Brauer gibt den Reichskanzler Otto von Bismarck, den politischen Vater des Kanals, Nicolaus König spielt den genialen Ingenieur Otto Baensch.

Auch die „Fragen eines lesenden Arbeiters“, die Bert Brecht einst als neue Sicht auf die Geschichte formulierte, werden beantwortet: Das anonyme Heer der Arbeiter – insgesamt schufteten zwischen 1887 und 1895 rund 9000 Mann zwischen Brunsbüttel und Kiel-Holtenau – bekommt Namen, etwa Jegliewski oder Kumbartzky.

Geschichten und Spekulationen

Diese Namen sind echt. Hartmuth Jegliewski und Oliver Kumbartzky, die Urenkel der damaligen Arbeiter, leben bis heute am und vom Kanal und kommen im Doku-Drama zu Wort. Als Erzähler führt Hubertus Meyer-Burckhardt durch den Film von Dietrich Duppel. In den Spielfilmpassagen bekommen die Zuschauer einen Eindruck vom Leben in den zwölf Barackenlagern, in denen bis zu 400 Arbeiter untergebracht waren und für die damalige Zeit gut versorgt wurden.

Liebevoll werden Geschichten und Spekulationen um den Kanal ausgebreitet – etwa vom Dorf Sehestedt, das der Kanal in der Mitte durchschneidet. Erzählt wird von „Prunkstücken aus Stahl und Nieten“ wie die Rendsburger Hochbrücke oder die Hochbrücke Hochdonn. Meisterwerke der Ingenieurskunst sind auch die gigantischen Schleusentore.

Das Dokudrama schildert auch die vielen Probleme beim Kanalbau – etwa abrutschende Böschungen und andere lauernde Gefahren. Während der Tidenhub in Brunsbüttel bis zu sechs Meter beträgt, sind Ebbe und Flut an der Ostsee zu vernachlässigen. Im Osten müssen sich die Arbeiter durch Hügel graben, zur Nordsee hin liegt das Land unter dem Meeresspiegel. Deshalb müssen aufwendige Deiche errichtet werden. „Wenn wir uns verrechnet haben, gehen nicht nur wir unter, sondern halb Schleswig-Holstein versinkt im Schlamm“, sagt Baensch im Film. Teilweise nur mit Schaufeln graben die Arbeiter an der größten Baustelle des Kontinents; 90 Menschen kommen bei dem Großprojekt ums Leben.

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Doch das Undenkbare gelingt. Der schwierige Bau bleibt nicht nur im Zeitplan, sondern auch im Kostenplan: Insgesamt 156 Millionen Mark werden in Schleswig-Holstein investiert. Am 21. Juni 1895, nach acht Jahren Bauzeit, eröffnet der Kaiser die neue Wasserstraße.

Manchmal verfällt das Doku-Drama in Politkitsch. Dann werden die Arbeiter aus Ostpreußen zu „Wirtschaftsflüchtlingen von heute“, der italienische Gastarbeiter singt „Bella Ciao“ oder „Bandiera Rossa“, schon bevor diese Lieder überhaupt geschrieben wurden, und der Film macht glauben, die Sozialistengesetze von 1878 stünden im Zusammenhang mit dem Bau des Kanals von 1895.

Diese Ungenauigkeiten ärgern, schmälern den Filmgenuss aber kaum. Geschichte ist faszinierend - vor allem, wenn sie gut aufbereitet wird.

125 Jahre Nord-Ostsee-Kanal 20.15 Uhr, NDR