Vor 65 Jahren begann die Verkehrsplanung der Zukunft. Erinnerung daran, welchen Unsinn man sich ausdachte – und was realisiert wurde.

Die Pläne muteten geradezu utopisch an: Breite Straßendurchbrüche von Ost nach West, von Nord nach Süd, ein enges Netz neuer unterirdischer Schnellbahnen, zwei neue Tunnel unter dem Strombett der Elbe, neue zweigleisige Straßenbahnen durch das Innere der Stadt – all dies und noch viel mehr sah ein Verkehrskonzept der Hamburger Baubehörde vom Frühjahr 1951 vor.

Die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges waren damals, vor 65 Jahren, noch unübersehbar. Für Planer lag darin eine Chance, die Stadt von morgen zu entwickeln. Dazu gehörten Ideen, wie der öffentliche und private Verkehr künftig organisiert werden und wie man Hamburg langfristig vor einem Kollaps bewahren sollte. Man erwartete nämlich, dass die Zahl der Einwohner und der Autoverkehr sprunghaft zunehmen würden. „Die Bevölkerung wird in absehbarer Zeit die Zwei-Millionen-Grenze erreicht haben“, berichtete das Abendblatt. 1951 waren in der Hansestadt 60.000 Autos angemeldet. „Bei 1000 neuen Zulassungen im Monat werden es in spätestens zehn Jahren 180.000 sein.“

Um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten, erarbeitete der spätere Oberbaudirektor Otto Sill den verwegenen Plan. Dazu gehörten fünf neue U-Bahn-Linien in der Innenstadt, sechs U-Bahn-Zweiglinien in die Vororte sowie fünf neue Straßenbahnlinien. Damit der Strom der Autos zügiger durchs Zentrum rollen konnte, wurde die Verbreiterung der Lombardsbrücke in Angriff genommen. Außerdem plante man zwei große Ost-West-Straßen zwischen Deichtor und Millerntor. Der alte Elbtunnel sollte durch einen zweiten entlastet werden, der vom Baumwall – mit direkter Verbindung zum Stephansplatz – bis zu den südlich der Innenstadt liegenden Hafenbecken führen sollte.

Auch tauchte schon Anfang der 50er-Jahre die Idee der heutigen A 7 auf. „Der vom Süden kommende Autoverkehr soll später einmal westlich der Stadt nach Norden durchdringen, und zwar mit Hilfe eines Tunnels auf der Höhe von Teufelsbrück“, hieß es im Abendblatt. „Das würde den Weg von Cuxhaven nach Hamburg verkürzen.“

Eine zwei Kilometer lange, 36 Meter breite,
sechsspurige Schneise durch die Stadt: Bau
der Ost-West-Straße
im Jahr 1956
Eine zwei Kilometer lange, 36 Meter breite, sechsspurige Schneise durch die Stadt: Bau der Ost-West-Straße im Jahr 1956 © ullstein bild

Im Juni 1955 beschloss der Senat, jährlich 60 Millionen D-Mark für die Verwirklichung dringender Verkehrsprojekte auszugeben. „Der Senat hält dieses Programm für ebenso dringlich wie den Wohnungsbau, den Wiederaufbau des Hafens und den Schulbau“, formulierte es eine Denkschrift.

Man lotste den Verkehr in das Zentrum hinein, statt ihn draußen zu halten

So sollte beispielsweise der Wallring zu einer Stadtautobahn ausgebaut werden. Zwischen Deichtorplatz und Lombardsbrücke legte man einen Straßentunnel an. Die geplante Hochstraße zwischen Lombardsbrücke und Millerntor wurde allerdings durch ein Machtwort des damaligen Bürgermeisters Max Brauer (SPD) verhindert. Er wollte keine „amerikanischen Scheußlichkeiten“.

Die Ost-West-Straße aber wurde realisiert – eine zwei Kilometer lange, 36 Meter breite sechsspurige Schneise durch die Innenstadt, vorwiegend über Trümmergelände – vom Meßberg zum Millerntor. 1963 war sie fertig. Das Hauptproblem zeigte sich später: Leistungsfähige Straßen ziehen Autofahrer magisch an, und schon nach wenigen Jahren war die Ost-West-Straße überlastet, und sie ist es heute noch.

Allerdings traf Hamburg in den 50er-Jahren auch fatale Fehlentscheidungen. So verzichtete die Stadt auf einen Autobahnring. Stattdessen sollten wichtige Ausfallstraßen ausgebaut werden, um den Verkehr besser zur City zu lotsen – auch den Durchgangsverkehr. Heute weiß man, dass es besser ist, den Verkehr vom Stadtzentrum fernzuhalten und den Durchgangsverkehr um die Metropole herumzuleiten.

Ende der 50er-Jahre bemühten sich Hamburgs Verkehrsplaner, zu retten, was zu retten war. 1958 brachte die Baubehörde Stadtautobahnen ins Gespräch. „Mit den herkömmlichen Straßen werden wir in absehbarer Zeit in Hamburg nicht mehr auskommen können“, sagte Prof. Otto Sill, inzwischen Oberbaudirektor, dem Abendblatt.

Kernziel war es seinerzeit, ein 135 Kilometer langes Stadtautobahnnetz zu bauen. „Diese Stadtautobahnen sollen kreuzungsfrei angelegt werden: zum größten Teil in Tunneln unter der Erde, zu einem geringen Teil auch auf Hochviadukten über dem bisherigen Straßennetz“, hieß es. Damit wollte man „rasche Schnellverbindungen zwischen den einzelnen Stadtteilen“ schaffen. Bis in die 70er-Jahre hinein wurden die Planungen immer wieder modifiziert, aber nie in die Tat umgesetzt.

Breite Straßen ziehen Autofahrer
magisch an: die Ost-West-Straße
1968, fünf Jahre nach Fertigstellung
Breite Straßen ziehen Autofahrer magisch an: die Ost-West-Straße 1968, fünf Jahre nach Fertigstellung © HA

Konsequent verwirklicht wurde die Idee einer westlichen Umgehung, der heutigen A 7, und des neuen Elbtunnels. Geplant waren aber auch eine Ost- und eine Kerntangente sowie eine Querspange. Eine östliche Stadtautobahn – vierspurig und teilweise als Hochstraße – sollte die Fahrt von Norderstedt (mit Anschluss an die A 7 bei Quickborn) über Langenhorn, Fuhlsbüttel, Winterhude, Stadtpark, Barmbek bis nach Horn ermöglichen. Eine Querspange sollte zwischen Eidelstedt und Eppendorf verlaufen.

Die Kerntangente wiederum sollte Wandsbek und Eimsbüttel verbinden. Erste Pläne sahen sogar die Unterquerung der Außenalster zwischen Sechslingspforte und Pöseldorf vor, spätere Entwürfe zwischen Rabenstraße und Uhlenhorst. Die Stadtentwickler erhofften sich eine Entlastung der Ost-West-Straße sowie der Lombards- und der Kennedybrücke. 1974 ergaben aber Computerberechnungen, dass die Kerntangente mehr Verkehrsprobleme schaffen als lösen würde.

Auch von den anderen Stadtautobahnplänen blieb nicht viel übrig. Zunächst stellte sich Bürgermeister Max Brauer quer und bezeichnete sie als grotesk. Das eigentliche Aus kam dann aber Ende der 70er-Jahre durch den Widerstand von allerlei Bürgerinitiativen. „Von ‚Stadtautobahn‘ ist überhaupt keine Rede mehr“, schrieb das Abendblatt im Frühjahr 1979. „Das ist heute ein Reizwort wie Kernkraftwerk.“